Unterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 176.
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Die Stadt.
Mittwoch, den 10. September.
( Nachdrud verboten.)
sid
Roman von Nicolaus Kraug. Lene wurde abwechselnd rot und blaß. Mit fiebernden Fingern schob sie die beiden Guldenzettel weiter über den Ladentisch. Doch die Fleischhackerin wollte nicht sehen. Sie fuhr fort:
" Ja, aber... bei Ihnen, Frau Försterin, ist das ja ganz was andres!" Sie haben a Geld, wie's heißt, verstehen das Geschäft... und die schöne Pension..." „ Schöne?"
Es war schier grimmig das Lachen.
Die Schlächterfrau war mit einem Mal ganz Neugierde. „ Ja, es heißt allgemein so... Ich hab' Sie schon lang einmal fragen wollen Die Stadt Eger wird doch net!..." Zwölf Gulden!... Aber ich hab' schon eine Eingabe gemacht!..."
Frau Heß war etwas enttäuscht. Aber zwölf Gulden find zwölf Gulden!... Vierzig Kreuzer den Tag. Flink ging es ihr vom Munde:
,, Das ist recht, das ist recht, Frau Försterin!... Nur ordentlich hineingeigen den Großköpfen auf'm Stadthaus droben!... Ist denn das a Wets', was die aufführen? Zotzahlen muß man sich noch, wenn's net bald anders wird!... Aber's wird anders! Der Brezelbäck wird es ihnen schon zeigen, wenn jetzt die neue Wahl ist.... Was hat er g'sagt, Gottfried?"
' runter müssen sie, und wenn sie an die Stühl geleimt find!.
"
Das Beil fuhr bekräftigend in den Haustock. Es tamen Leute in den Laden.
Ziehen Sab, Frau Heß!..." Alsdann, wenn Sie gar net anders wollen " Ja, und
..."
morgen rechnen wir zusammen. Ich glaub' allweil, auf's Büchel giebt man leichter aus, als wenn man jeden Tag' s Geld einstecken muß
Die Schlächterfrau lächelte sauer. Sie wußte noch mehr: Wer bei ihr im Buche stand, konnte ihr nicht so leicht mit der Kundschaft weitergehen und nahm's nicht so genau mit Fett und Knochen als Zuwage.
Um ihr Unbehagen zu verbergen, schmeichelte sie eine dicke Köchin an:
„ Na, Jungfert, was schaffen wir denn Gut's?"
Die Angesprochene mußte sich erft Luft machen. Sie warf ihre runden, roten Arme in die Luft und schmetterte:
1902
Herr giebt mir's Essen!.. Und er hat meiner Mutter versprochen..!"
Lene schob den Teller von sich..
,, Deine Mutter! Ja, Deine Mutter!... Die hält noch im Sterben die Hand auf und bittet und weint! Brüderl, wenn ich Deine Mutter wär', Du wärst schnell wo in der Lehr'!
"
Meine Mutter hat g'jagt: Maß, studier' nur zu! Und wenn's zwanzig Jahr dauert, was mußt D' doch werden!..." Er ficherte in sich hinein und begann mit dem Essen. „ Die Nudelsuppe ist aber heut' wieder gut, Frau Tant!" Lene schwebte ein böses Wort auf der Zunge, sie schüttelte aber wie abwehrend den Kopf und erhob sich.
Zugleich ging die Thür. Ein achtjähriges Mädchen kant herein. Sie ging etwas auf den Zehenspizen, ein leichtes Lächeln lag auf dem vollen blassen Gesicht, die runden, braunen Augen hatten das Zimmer mit einem Blick überflogen.
Vor Lene that sie einen Knir.
Die Frau reichte ihr freundlich die Hand.
,, Aber immer schöner wird das Annerl, immer schöner!.. Was macht denn die Tant'?..." ,, Danke!
Lene verspürte ein leises Ziehen der kleinen Hand und lächelte.
" Ja, ja, geh' nur zu Deinem Franz! Da auf dem Stoffer vor seinem Bett sitt er schon seit einer Viertelstunde und wartet auf Dich..."
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Das Kleine" hatte sich ganz an die Wand gedrückt, um seiner Freundin recht viel Platz zu lassen. Er faßte ihre Hand und behielt sie. Und so saßen die Kinder, die einander gefunden an dem Tage, an dem Lene in dieses Haus ge30gen, still und glücklich.
Kein Wort wurde zwischen ihnen laut, während Lene am Fenster mit Schüffeln und Tellern in der Spülstande klapperte, der Matz nach jedem besonders guten Bissen geräuschvoll schmaßte, das Gemurmel der lernenden Studenten vom großen Zimmer her drang.
Und plößlich schrie die freche Stimme des Vogt:
"
Du, Pfarrer, wie heißt der Maulefel auf Lateinisch?..." II.
Unterhalb der alten Burg blieb Lene stehen,
"
Müssen wir denn so laufen, Herr Nitschelwißer?... Wenn das Kleine nicht mehr zu halten ist,... na ja, die Bratwürst!... Aber..."
Sie faßte den Kopf einer Zaunlatte und drückte den AbHaben S's schon g'hört?!... Haben S''s schon fatz ihres Zeugschuhes gegen den Boden.
"
g'hört?!... Auf'm Markt ist ein Bauernesel wütig word'n!... Wenn man über den Johannisplatz gehen will, sollte Fünf Menschen hat er umgearbeit't und drei Kinder!... man tüchtige Lederstiefel anziehen... wie die Liese... Und Eins soll schon tot sein!.
Nun war für eine Viertelstunde an kein Geschäft zu denken.-
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Das Mittagessen war vorüber. Jett konnte auch die Kostfrau sehen, ob ihr noch einige Bissen geblieben.
Lene gegenüber, auf der leichten Lehnbank, die sonst für zwei reichte, saß breit und zufrieden der Mazz. Er hatte feinen Eßtiegel auseinander genommen und die einzelnen Näpfe in einer Reihe vor sich hingestellt. Jetzt war er unschlüssig: Sollte er mit der in der Weinsauce ruhenden Mehl speise beginnen, mit dem Lendenbraten oder regelrecht mit der Suppe. Nachdem er eine Weile die verschiedenen Düfte in sich gesogen, entschied er sich zuletzt, wie immer, für den Löffel. Ehe er seine liebste Arbeit auhub, sagte er mit einem Seitenblick auf seine Verwandte:
Die Köchin vom Doktor Leutwein wollt mich heut' ausschimpfen,..
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Hast D' was ang'stellt?"
„ Das nicht... Sie meint, ich soll später kommen.. wenn die Herrschaft gegessen hat Und überhaupt: Wie lang' ich noch käm? Jetzt sei es vier Jahre!... Und es gäb viel ärmere Leut'!
Lene quoll der Bissen im Munde. " Und was hast Du g'sagt?"
" Ich?... Nix!... Was soll ich denn da sagen? Sie geht das doch nichts an, sie ist ein Dienstbot! Ihr
erst die Mühlgasse!..."
Ihr Blid fiel auf die Schloßecke über ihr, die zerbröckelnden Rundbogenfenster, über die kein Dach mehr sich hob, die frischen Strebepfeiler, mit denen man das wankende Mauerwerk zu stüzen versucht.
Mit einer raschen, halben Wendung, die er seinem Ideal, dem Schulinspektor abgesehen, drehte sich der Lehramtskandidat den alten Mauern zu.
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„ Der Bankettsaal! Hier wurden Wallensteins Freunde umgebracht, kurz zuvor, ehe man ihn selbst nieder. stieß..."
Die Frau war ernst geworden. Der finstere Mann!.
„ Der finstere Mann!... Ich hab' sein Bild gesehen." " Ja, im Stadthaus!... Früher soll dort auch sein Blut zu sehen gewesen sein... Außen an der Mauer, nach dem Kirchplatz zu."
Nitschelwiger schivieg einen Augenblick und fuhr dann im unfehlbaren Ton des Historikers fort:
War selbstverständlich ein Schwindel der Jesuiten Sie strichen jedes Jahr frisches Hühnerblut an die Mauer Er räusperte sich etwas.
Wallenstein ist in dem Zimmer vorn am Marktplatz cr mordet worden, in dem jetzt der Herr Bürgermeister amtiert. Und sein Blut konnte gar nicht die Mauer herablaufen, denn er wurde mitten im Zimmer vor seinem Himmelbett erstochen...