Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 180.
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Die Stadt.
Dienstag, den 16. September.
( Nachdruck verboten.)
Roman von Nicolaus Krauß.
III.
Sie hob sich auf den Zehen und faßte ihn an den Klappen des schwarzen Gehrockes. Ihr volles, von Gesundheit blühendes Gesicht lachte, die Augen glänzten. Sie liebte ihren Mann noch immer so innig, wie vor dreißig Jahren, als sie, die Erbtochter, dem blutarmen Kaufmannsdiener ihre Hand bot.
" Du, Herr Bürgermeister, Du weißt doch, daß heute die Frau Försterin kommt?"
Er that, als sähe er über sie hinweg, und machte ein Gesicht, als stände er mit dem Stadtrat und der gesamten versammelten Gemeindevertretung vor einer folgenschweren Entscheidung.
Aber sie kannte ihn und wußte, wie oft er sie schon mit dieser Amtsmiene geneckt hatte. Sie lehnte ihre linke Wange an seine Brust, blickte zu ihm auf und schmeichelte:
,, Du, Ludwig, so laß doch einmal den Bürgermeister! Du... gelt... Du wirst lieb zu ihr sein?... Sie ist doch eine brave Frau!... Wo man hinhört, reden sie von ihr nur Gutes.. Und Du hast selbst gesagt, wenn Du nach der Inspektion von Konradsreuth kamst..."
1902
Sie muß gleich kommen!... Um halb zwei Uhr, hat sie gefagt...
Als Lene eintrat, saß der Bürgermeister an seinem Schreibtisch und las in einem, in der Mitte gebrochenen Foliobogen. Er legte das Aftenstück beiseite und hieß sie Plaz nehmen. Etwas wie Befangenheit zog durch die Seele der Frau, als sie das ernste, würdige Greisenantlig vor ihr betrachtete. Aber plößlich erinnerte sie sich, daß sie schon einmal an derselben Stelle, vor demselben Manne gestanden, wie gütig er sie angehört, und wie sie ganz getröstet nach Hause gegangen, damals Die gleiche Erinnerung mußte im Bürgermeister erwacht sein.
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Lene hatte ihr Selbstvertrauen wiedergefunden. Ihre Stimme flang ruhig und fest, als sie antwortete:
" Ja, damals, wegen Gruber... Als er das Wassermoos gestohlen haben sollte und der Stadtrat Walz eine Untersuchung eingeleitet hatte..."
Der Bürgermeister sah die Augen der Frau, in denen es aufglomm, und die Röte, die ihr mählich ins Antlig stieg. Na ja... Na ja!. Sehen Sie, es ist ja damals auch zu nichts gekommen... Wir waren auch noch da! Und wir wußten schon, was wir an unserm alten Gruber hatten... Es ist dann, sehen Sie, auch nach ihm gegangen, wie er's
Er sah sie an, immer noch ganz Stadtoberhaupt. „ Sie hat ihr Gesuch ordnungsgemäß eingebracht, und haben wollte, wenn auch nicht ganz so. Wir haben jetzt man wird darüber befinden der Ordnung gemäß."
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Die kleine Frau schüttelte sich.
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Pfui. Ludwig!... Wie bist Du denn heut'?... Deine Frau steht vor Dir, nicht der Stadt- Seff!
" Herr Joseph Brückner ist Stadtbeamter und
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- ein Doppelfettflect, ein grauslicher... Schau!.. Ludwig!... Zwölf Gulden das Monat, was ist denn das für eine Pension?... Das ist ja nicht zum Leben und nicht zum Sterben!... Da hat ja unsre Köchin mehr!..." ,, Sie hält Studenten!..."
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einen allgemeinen Umtriebsplan, der für alle Reviere Und der ehemalige Stadtrat Walz ist schon lange Wie geht es Ihnen denn, seit Sie in der Stadt
gilt.. tot. find?"
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Man muß es halt nehmen, wie es kommt, Herr Bürgermeister, und zu verbessern suchen, soweit man es kann hat der Gruber immer gesagt."
" Hat er etwas hinterlassen?"
,, Ein paar Gulden haben wir uns erspart. Aber wenn ich davon leben wollte, wäre ich schnell fertig. Ja, wenn das Da wird sie schon fett davon werden!... Ich habe Gehalt immer so hoch gewesen wäre, wie in den legten zwei viele Kostfrauen in Eger gekannt, die zu Grunde gegangen Jahren!... Gruber hat doch seine volle Zeit gedient! find... Aber das geht uns hier nichts an. Du!... Und was habe ich? Nicht einmal eine Pension, wenn man Ludwig!... Mann! Warum habt Ihr denn den Försen es recht betrachtet. Nur eine„ Gnadengabe", denn..." an Gehalt zugelegt?.. Weil Ihr es jetzt könnt, weil Ihr Wohl, wohl!... Das mit den Hinterbliebenen ist noch jetzt billiges Geld von der Sparkasse habt, weil der Wald mehr nicht geordnet!... Sie haben Studenten?..." trägt und die Förster nicht mehr auf das Anweisgeld angewiesen sein sollen... Und wer hat Euch das gesagt, lange Jahre hindurch, immer und immer wieder, bis Ihr geſcheidt geworden seid?... Der alte Gruber!... Und jetzt wollt Ihr seiner Witwe
Der Bürgermeister wurde lebendig.
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Marie, so ähnlich steht es auch im Gesuch!... Das Gesuch ist Amtsfache!" pse? Die Frau erglühte.
" Die Fran Gruber hat mir alles erzählt.... Und ja!... Ich hab' auch das Gesuch gelesen!"
" Es giebt nur einen Bürgermeister, keine Bürgermeisterin!" „ Aber eine Frau Bürgermeister! Und ich lasse es mir nicht nehmen!... Hättest Du es doch eingeschlossen, das große Geheimnis
"
Segt wußte er, daß er einleuken mußte.
Also ja!... Meinetwegen!... Ich werde gegen Deine Försterin sein!..."
nicht
Sie fühlte, wie sich hinter ihrem Rücken seine Arme schlossen. Leicht faßte sie mit beiden Händen in seinen weißen Bart.
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Du?!.. Ludwig!
"
Als die Stadt noch reichsummittelbar, wenn auch an die Krone Böhmen verpfändet war, hatte sie das Zollrecht. Alles, was hinausging ins Reich, mußte gestempelt sein, und was hereinfam, wurde auch
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gestempelt!... Jawohl!... Jawohl!..." Sie ließ den Bart fahren, bog seinen Kopf herab und füßte ihn mitten auf den Mund.
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Da!... Und noch einmal Dein Versprechen!
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daß es besser hält, Und aller guten Dinge find So, und sie schlüpfte aus seinen Armen jcht wahr wieder Deine Amitsmiene, Herr Bürgermeister!
drei!
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" Ja! Sieben Stück!"
Als ihr das Wort„ Stück" entfahren, mußte Lene lächeln. Auch um den Mund des Bürgermeisters zuckte es; aber sofort blickte er wieder ernst.
Da sollte man doch meinen, daß..."
Er räusperte sich leicht.
"
Allerdings!... Wenn die Konkurrenz und verschiedenes andre nicht wäre
nie
Konkurrenz? Wie meinen Sie denn das?" Er blickte sie erstaunt an.
,, Kann es mir schon denken, daß das im Stadtrat noch zur Sprache gekommen ist, und-"
Lene warf einen Blick durch das geräumige, hohe Zimmer, über die im stillen Glanze schimmernden, wohlgeformten Mahagoni Möbel, die weißen Spizenvorhänge, die von der Decke bis auf den mit Wachs eingelassenen Fußboden reichten, und nickte. Der gefestigte, mit Geschmack verbundene Wohlstand war ihr noch nie so deutlich entgegengetreten. Leicht auffeufzend fuhr sie fort:
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,, Die Sache ist sehr einfach. Die guten Studenten, ich meine die, welche ein hohes Kostgeld zahlen können, wohnen bei den Professoren. Dann kommen die Kostfrauen, welche Protektion" haben. Ihre Männer sind selbst Beamte, oder man will ihnen einfach was zuschanzen. Auch Bürger, denen es mit dem Geschäft nicht so recht zusammengeht, halten Studenten, besonders gern solche von der Lehrerbildungsaustalt. Die spefulieren, eine oder die andre ihrer Töchter los zu werden... Was nicht viel zahlen kann, was Kosttage bei den reicheren Bürgern, in den Klöstern oder bei Verwandten hat, fällt uns zu, den Witfrauen, die auf die paar Gulden angewiesen sind..."
" Ja, aber
.Mehr verlangen? Wenn das nur so leicht ginge. Das