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Der alte Schneider sah die traurigen Augen des Mädchens, faßte ihre Hand und streichelte sie.
" Fräulein Waberl, wie mein Schak sehen S' heut aus... damals in Zaleszik..."
Gleich lachte sie wieder.
Aber, Herr Klarner, Sie sind ja schon viel zu alt!" ., Meinst, Mädel, ich war nicht auch einmal jung? Hätt'st mich sehen sollen, wie ich als Grenadier an der russischen Grenze.
Winter und Sommer auf dem allmächtigen Ofen des ruthenischen Popen' rumgelegen bin!..."
Der Wirt schnippte mit den Fingern.
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Der Pfeifertag.
Die Vernachlässigung der um mehr als etwa anderthalb JahrHunderte alten Tonkunst in unserm Musiktreiben beraubt uns uns geahnter Reichtümer. Die wenigen Ausnahmen von dieser Beschränkung, die doch noch hie und da vorgeführt werden, leiten den Hörer in eine Welt, die ihm erst umständlich auseinandergesezt werden müßte und die doch nicht einmal gar so weit hinter uns liegt.
Versetzen wir uns etwa in das Ende des 15. Jahrhunderts! Vor allem fällt uns da eine Trennung der Musikerwelt in zwei Partien oder vielleicht sogar Parteien auf, die dem das maligen Verhältnis zwischen Kirche und Welt und das mit auch zwischen höherer und niederer Bildung entsprach.
„ Na ja, Schorsch, das wissen wir schon. Das hast D' Die eine, den höheren Stand, bildeten die fünstlerischen Sänger der uns ja schon hundertmal erzählt..."
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Geh', Betty, mach' Licht!"
Als es hell geworden, war der Eckplatz an der Thür leer. Sofort rief der„ Lotenvogel":
" Leut' und Kinder, jetzt ist er mir doch wieder austommen!"
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Wer denn?... Wer denn?"
" Der Wendelin natürlich, der Ruppert- Fleischer!" Als er die Augen aller auf sich gerichtet sah, fuhr er fort, jeden Satz mit einem Schmaker bekräftigend:
Kirchenkapellen, den andern, niederen, die zünftigen Spiellente. Jene waren samt ihren Kapellmeistern die alleinigen Beherrscher der im hohen Sinne tunstvollen Mufit; zu ihnen gehörten die Komponisten dieser Musik und seit damals auch die Orgelspieler( andre Instru mente waren gerade in jener Zeit nicht firchenfähig). Ihre Ausbildung genossen sie in den berühmten Sängerichulen zu Rom usw., ohne nähere Berührung mit den Instrumentalisten. Ihre musikalische Produktion war ein so fünstliches Stimmengewebe( Blütezeit des eigentlichen„ Kontrapunktes "), daß zu deren Reproducierung Knaben nicht hinreichten. Frauen hatten in der Kirche zu schweigen. Also mußten die weiblichen Stimmen so gut wie möglich von Männern " Ich wollt ihn nur fragen, ob's denn gar so schön ist, ersetzt werden. Das geschah durch ein Umbilden von männlichen Nur ruhig, Stimmen in das" Falsett", in die Fistelstimme. Erst später wurde wenn man mit einem Kalb baden geht. die Kastration üblich, welche die Knabenstimme bewahrte und sie Männer, ich verzähl's schon... Wie's Schüzenlager war, durch die Nesonanz im reifen männlichen Körper so verstärkte, hat's bei uns auch schon tüchtig g'regnet, aber draußen, in daß solche Stimmen alt Fülle den Frauenstimmen überBayern, muß ein ganzer Wolfenbruch niedergangen fein. Die legen waren. Dieser besondere Vorteil des Kastraten geht der techBondreb war am andern Tag zum Ueberlaufen voll. Gegen nisch erzwungenen Sopran- und Altſtimme des wirklichen Mannes Aber wer kommt daher und will in Schöba über den Steg? ab; es fehlt die Resonanz, die sich bei diesem eben nur für seinen Mein Wendelin. Natürlich war er schon wieder drei normalen Stimmummfang einstellt; und überdies kann der Falsettist Tag draußen auf den Bierbänken rumg'rutscht, eh' er feine beträchtliche Tonhöhe erklimmen. ein Kalb derwischt hat. Aber gehabt hat er ein's. Ein Daß diese gefangstechnische Künstlichkeit noch heute vorkommt, großmächtiges Ding an einem Strict. zeigte uns, von Vereinzeltem in unserm Musilleben abgeschen, eines ganz neuen Er muß net mehr recht fest auf den Füßen g'wesen von zwei Konzerten des Römischen Vokal- Quintetts fein. Und so hat er die zwei Stämm', aus denen der Instrumentalbegleiter und Dirigenten zusammen ein halbes Dutzend für geistliche Musik". Am Dienstag trat diese mit dem Steg besteht- G'länder giebt's keins recht lang zählende Gesellschaft im Bechstein - Saal vor das Berliner Publikum. und aufmerksam betrachtet. Auf einmal hebt er das Kalb an Der Sopranist und der Altist( Kontralt") fonnten uns zu feiner den Füßen in die Höh', geht auf den Steg zu und fängt an, Billigung dieser Technik veranlaffen. Die Tonbildung ist schlechtweg über den Steg hinüberzureiten.' s Kalb hat er vor sich, den unschön, zumal durch eine Mischung verschiedener Klangfarben, von Strick fest um die Hand gewickelt. Und das war sein Glück! denen nur hie und da eine etwas aufprechender wirkt. Auch der Mitt'n auf'm Steg wird meinem Kalberl die Sach' zu dumm, Tenor ist nicht nach unserm Geschmack; er erinnert an das Harte, das wir mehrmals schon bei italienischen Tenoren beklagt haben, es macht einen Satz und reißt den Reiter mit ins Wasser. befigt aber hinwieder nicht das schmetternd Glänzende solcher GesangsWie mein Wendelin' s Wasser im Magen spürt, ist er virtuosen. Der Baryton und der Baß tönten in einer uns vernüchtern, pfurzt und schimpft.' s Kalbert schwimmt, und so trauteren Weise. Alle fünf Herren sind jedoch in der Verwertung kommen sie beide glücklich auf die andre Seiten... So hat's ihres Tonmateriales trefflich geschult, und insbesondere ihre altmir der Schöba'er Müller erzählt, der' s mit eignen Augen italienische Seunst des An- und Abschwellens( messa di voce) ist von g'fehen hat..." Intereffe. Die vorgetragenen Kompositionen gehörten einer über jene Epoche schon hinausliegenden Zeit an; der älteste der vorgeführten Komponisten war B. Marcello ( 1606-1739), deffen Ver tonungen von Psalmen zu den beliebtesten Werken im 18. Jahrhundert zählten. Unter den zu Gehör gebrachten musikalischen Formen nahmen einen beträchtlichen Raum einige Beispiele der Motette" ein, des mehrstimmigen, funstvoll verschlungenen Kirchengefanges, der in den letzten Jahrhunderten des Mittelalters herrschend war.
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In das losbrechende Lachen schmetterte die Stimme des Funkenschusters, der sich ärgerte, daß er schon lange nicht zum Worte gekommen:
Ausg'halten, Männer! Auf den Ruppert- Fleischer lass' ich nichts kommen!"
Der Lärm legte sich."
Er versteht sein G'schäft, arbeitet wie ein Teufel,
hat's zu was gebracht."
. Aber so schau ihn doch nur an, wie er ausschaut!" Wie ein Säuschneider!"
,, Wie ein Pechfrager!"
und
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Das geht mich nichts an! Er g'hört noch zu den Alten; dann im 13. Jahrhundert die Städte aufblühten und die Zünfte sich die waren alle fo."
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Er fauft wie ein Bürstenbinder!"
„ Euch schmeckt das Bier auch... Der Wendelin hat das beste Fleisch in der ganzen Egerstadt! Stimmt's? Na als dann!.. Sonst würden net die Nonnen von ihm kaufen. Er ist doch noch gröber, als ein Oberpfälzer! Eine Schwester, die bei ihm eing'fauft und an einem Lendenbraten g'mäkelt hat, hat er eine dumme Urschel und eine vermoppelte Baßgeigen g'heißen, und die Oberin am andern Tag g'fragt, ob das denn etwa grob sei?"...
Am Mitteltisch, unter dem Spiegel an der Gassenwand, faß seit einer Viertelstunde ein junger Mann. Als die Rede über den groben Fleischer ging, spizte er den Mund, als wollte er pfeifen. Und immer wieder zupfte und rupfte er an seinem schwarzen Schnurrbärtchen. Jest that er den Mund auf und sprach:
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Es ist gut für die Stadt, daß die Sorte ausstirbt!" ( Fortsetzung folgt.)
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Dies also eine verspätete Probe aus dem höheren Musikerstand jener Zeit. Den zweiten Musikerstand von damals, dem ersten im wesentlichen fremd, bildeten die Instrumentalisten( Pfeiffer, Fiedlerusip.). Erst waren diefe„ Spielleute" das verrufene fahrende Volt. Als ausbildeten, tonfolidierten sich auch die Spielleute zu Bünften( und die Instrumentenmacher thaten es auch). Später lebten diese umfafsenderen Brüderschaften" als die lokalen Stadtpfeifereien" weiter; beide Genossenschaftsformen vermittelten zugleich, wie die Bünfte überhaupt, den Unterricht im Fach, und erst seit etwa zwei Menschenaltern erhalten die Instrumentalisten den heute üblichen Stonservatoriumsunterricht. Die Musikerzünfte fanden ihr Ende hauptsächlich gegen Schluß des 18. Jahrhunderts, der ja auch sonst den Uebergang vom zünftigen zum freien Gewerbe mit sich brachte. Stadtpfeifereien gab es noch darüber hinaus, und in London besteht eine Mufiterzunft heute noch. Besonders eigentümlich waren das Amt eines Musikantenvogtes oder„ Königs" der Spielleute und die über diesem Berufsamt stehende Ehrenstelle eines fürstlichen Schutz herrn, des Oberspielgrafen" oder obersten Pfeifertönigs" oder ders gleichen. Für die elsässischen Spielleute hatte diese Würde der Herr von Rappoltstein bei Rappoltsiveiler inne. jährlich im Herbste fand der Pfeifertag" statt, mit all dem gerichtlichen, firchlichen und bürgerlichen Um und Auf, das zu solchen mittelalterlichen Festen gehörte. Ein derartiger Pfeifertag" bildet den Tertinhalt der gleichnamigen heiteren Oper" von Mag Schillings, die vorgestern( Mittwoch) in unserm Königlichen Opernhaus ihre erste Berliner Aufführung erlebte.
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All
Man wird hoffentlich nicht wähnen, daß dieses Theater damit etwas Unterdrücktes rettete. Vielmehr sind auch hier, wie bei