Unterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 185.
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Die Stadt.
Dienstag, den 23. September.
( Nachdrud verboten.)
Roman von Nicolaus Krauß.
Der den Ausruf that, war ein junger Gerichtsadjunkt mit schwarzem, aufgedrehtem Schnurrbart und sorgfältig gezogenem Scheitel. Die harte Aussprache verriet den Brager.
Wroblensky bemerkte ernst:
Sie sind ja noch nicht lange hier, Herr Adjunkt, es könnte aber nichts schaden, wenn Sie sich so allmählich mit den Verhältnissen des Amtsbezirkes bekannt und vertraut machten. Weil wir unter uns find, Herr Kollege Klima, möchte ich Ihnen auch noch den Rat geben, am Biertisch mit Ihrer Meinung nicht in der Weise herauszugehen. Wir müssen den Volfscharakter studieren, aber nie gegen irgend etwas voreingenommen erscheinen. Das giebt uns dann den Nimbus, den wir brauchen. Den Egerländern zu imponieren, ist nicht so leicht; da ist jeder ein Rebell, wenn er sich, auf den ersten Blick, manchmal auch etwas anders giebt... der Führer jener Leute, der Schlosser... Schlosser..." Uebigau!" fiel Sturm ein.
" Ja wohl... Uebigau, genießt übrigens, wie mir gesagt wurde, in der Stadt allgemeine Achtung."
,, Ein Künstler ist er, Herr Rat! Seine getriebenen Arbeiten gehen nach München und Stuttgart . Die neuen, schönen Balkongitter in Marienbad stammen alle aus seiner Werkstatt....
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Der Adjunkt trank im Zorn sein Bier aus. Die Uhr schlug halb eins.
In der Glasthür erschien der Zapfer, schlenkerte mit den nackten Armen, drehte die Handteller nach aufwärts und sagte feierlich:
„ Aus i's 1"
Allfogleich erhob sich der Wirt.
,, Guten Abend, meine Herren!"
Er ging nach rückwärts, um mit dem Zapfer über das Bier abzurechnen, das man über die Gasse geholt hatte.
*
Eine Stunde später saß der Wirt am Mitteltisch unter der einzigen Gasflamme und las in einer Zeitung; ihm gegenüber ein bayrischer Maschinenführer, der soeben mit seinem verspäteten Abendessen, Nürnberger Preßsack und trockenes Schwarzbrot zu Ende gekommen. Der alte Slarner schnarchte in seiner Ecke.
Sturm legte die Zeitung fort und fragte:
"
Gehst D' heute wieder Wasser trinken?"
Der Bayer fuhr sich durch den buschigen Schnauzer, schnippte eine Krume von seinem Rock und schnaubte:
Natürli!. Siehst ja, daß ich's schon wieder mit der Luft hab'!.. Da hilft nur Waldquell"...“
" Dann geh' ich mit... Eine Auslüftung fann nichts schaden... Bei Tage komunt man ja so nicht dazu.. Er nahm einen andern Rock vom Nagel und griff nach Stock und Müze.
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Den Schneider sperren wir ein; der sägt noch bis ich wiederkomm'
"
Die Stadt schlief; selbst das sonst immer lebendige Ungeheuer der Bahnhof.
Zwischen Himmel und Erde lag ein milchiger Schein, der das Sehen ermöglichte. Schweigend schritten die Männer; durch's Oberthor, dann rechts abbiegend. Der niederſtändige Bayer schnaufte. Auf dem Theaterplat fnöpfte sich Sturm den Rod auf.
,, Ganz Yau ist es!... Wie die Linden riechen!" „ Glaub's!... Hab' aber alleweil den Steinkohlenund Delgeruch von der Maschin' in der Nasen. Riech' nichts andres mehr."
Aus den Gärten stieg ein frischer Hauch. Sellerie geruch und der scharfe Duft blühender Zwiebel. Irgendwo rumpelte eine Kugel, fallende Kegel flapperten nach.
Hazardspieler?" fragte der Bayer.
Sturm nickte.
"
Wer weiß, wen das Gesindel heute wieder absied't, daß er Zeit seines Lebens daran zu denken hat!"
"
Der Kaufmann Schweberl soll ja bankrott sein, hab' ich heut gehört...".
1902
" Ja!... Immer dieselbe G'schicht'!... Da kommen sie her und haben nichts; dann heiraten sie und kriegen was. Jetzt wird ein Laden aufg'macht. Die Verwandtschaft hilft dazu, es geht. Das Geschäft wird größer... jetzt ist der Teufel los. Eine Jagd wird gepacht't, man fängt zu spielen an. Erst flein. Dann, was freuzmöglich ist. Auf einmal ist der Krach da. Der Lump bringt sich um oder verschwindet, Frau und Kinder fallen der Verwandtschaft zur Last... Net einmal, zehnmal hab' ich's mit angesehen!..
Auf dem Rahmberg nahmen sie für eine Weile auf einer Bank Plag, die um den Stamm einer alten Linde lief. " Jetzt fahr' ich fünfzehn Jahr, jeden dritten Tag, nach Eger," hob der Maschinenführer an, aber die Stadt kenn' ich noch immer nicht... Ich komm' in der Nacht und trink' mein Bier. Was mir vom Tag bleibt, muß ich verschlafen, weil ich wieder fort muß."
„ Geht mir auch bald so!... Wär' ich hier net aufgewachsen... ich fennt' mich schier in Rom besser aus, als in der eigenen Vaterstadt“ Dreißig Jahre war ich schon nicht in der Heimat Man wird selber zur Maschin' Und hat nichts, wie das bis'l Leben!"
"
Beide schwiegen. Totenstill war es ringsum. Nicht ein Blatt rührte sich am Zweige. Die Bastei sah man noch zwischen dem Gitterwerf der Bäume hindurch, was dahinter lag, verschwamm im Grau.
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Mit einem Ruck erhob sich der Führer. ,, Gehst d' mit?... Ich muß morgen" er lachte gezwungen„ Heute ,, heute... um neun Uhr wieder frisch sein..." „ Geh' nur!... Ich will mir wieder einmal die Stadt eber ein anschauen, wer weiß.
Faren!... Lass' Dir das nicht in den Kopf kommen! Wegen Dein' Bein fannst noch ein alter Jud' werden!... Krampfadern! Wenn ich sonst nichts hätt'!... Adje, Sonntag fomm' ich wieder
Sie trennten sich, der Bayer ging den Weg, der nach dem Walde und der Quelle führte, Sturm wandte sich dem Mühlthor und der Stadt zu.
Ueber der Rahm und der Eger lag leichter Nebel. Der Geruch der bleichenden Wäsche konnte nicht aufkommen, Rosen und Nachtviolen rangen ihn nieder. Hinter den Gärten das erste Leben; drüben, beim„ Schustersprung", frähte ein junger Hahn. Er druckste und druckste, die Stimme überschlug sich. Wie ein Gemurmel, das nach oben steigt, um wieder tief einzusehen, kam das Rauschen der Wehre. In der Mühlgasse fein Laut. Das Thor bei den Kreuzherren stand offen, umgestoßene Fässer lagen im Hose, es roch nach schalem Bier; in der Hölle" mußte es wieder einmal sehr lange gedauert haben.
Ueber die Brücke ging Sturm schneller; der Nebel war hier dichter, die Gerbereien verrieten ihre Nähe. Dann kam die ansteigende Straße durch die Vorstadt. Kein Hund schlug an. Vor den Scheunen lagen Halme und abgerissene Aehren.
Auf dem Berge suchte Sturm nach der Steinbant. Er ließ sich nieder und lehnte sich an den Stamm des jungen Ahorn. Rechts, vor dem Hohlweg und dem Schlößchen", ein altes Gemäuer. Hier endeten die armen Sünder", als die Stadt noch den Blutbann hatte. Er erinnerte sich jenes jungen Blutes, das, wie die Chronik erzählt, mit einem Stranz Rofen auf den blonden Locken im Tanzschritt zum Hochgerichte ging. Um seine Richter zu ärgern. Nur darum.
Ein Riß im Bein und ein nachfolgendes Zucken ließ Sturm an sich denken... Wie erschöpft er von dem bißchen Gehen war!... Am liebsten hätte er sich gleich auf dem Rain gelegt... In der Schänke war er doch auch immer auf den Beinen! Ach was, das war jedesmal so, im Hochsommer, furz bevor er auf Reifen ging... Nein, nicht so!. So müde, so am ganzen Körper wie zerschlagen, hatte er sich noch nie gefühlt. Da, der Stock zitterte unter der aufgelegten Hand!... Er hob den Arm und streckte ihn. Es that ihm weh und er ließ ihn gleich wieder sinken.
„ Ein freier Mann?" flüsterte er. Alt bist du geworden, Christof, und ein Krüppel!..."
Er fah nach der Stadt. Der Nebel war im Steigen. Das alte Schloß erschien wie eine schwarze Kugel. Vom Bahnhof her bligten einige Lichter, der Ueberreft jener bunten