Anterhaltungsblatt des Vorwärfs

Nr. 186.

14]

Die Stadt.

Mittwoch, den 24. September.

( Nachdrud verboten.)

Roman von Nicolaus Krauß.

V.

Lene nahm auf dem Sofa Plak und sah sich um. Das war dasselbe Zimmer wie oben ihre große Stube. Etwas anders sah es freilich aus, als ihre Studenten­faserne".

"

Das seltsam gedämpfte Licht kam wohl von den schweren, roten Vorhängen, den zugezogenen Halbgardinen und dem gelben, spiegelblant gewichsten Fußboden...

Und wie start es nach Moschus roch!... Lüftete denn die gar nie?

Nein, die Möbel stimmten nicht zueinander!

In der Mitte der große, runde Tisch mit den drei Polster­stühlen, deren gelbe Ripsseide schon stark verschossen erschien; zwischen den Fenstern die beiden Hockerln mit dem Bambus­tischchen; drüben an der Wand das Pianino, darüber ein alter Reiterfäbel und zwei Pistolen; der Glasschrank aus poliertem Nußbaum, ein alter, über und über mit Eisen­bändern beschlagener Koffer, das ganz moderne Sofa- richtig, es war blauer Baumwollensamt!- und die blaßblau ge­tünchten, weiß patronisierten Wände

Lene schüttelte den Kopf.

Wenn die früher als Puhmacherin ihre Hüte auch so zusammenbaute, hatte sie wohl den Sommer über in Franzens­ bad nicht viel Geschäfte gemacht!

Vielleicht that sie ihr aber doch unrecht.... Die alten Sachen mochten von dem Hauptmann stammen, und sie wollte sich von ihnen nicht trennen, weil sie ihrem Mann gehört hatten. Das andre hatte sie nach und nach zugekauft. Der Hauptmann!...

Die alte Frau Berger nannte ihn nur den Kommiß­fnopf". Nichts habe er gehabt, da ihn die Lola geheiratet, als seine Pension und den Adelstitel, den man ihm gegeben, als man ihn fortgeschickt.

Ein sonderbarer Heiliger!... Den ganzen Tag sei er im Zimmer pfeifend auf und ab gegangen. Und habe man etwas gesagt, dann habe er auch noch geflucht, so grauslich, und nicht einmal verstanden habe man es. Es würde wohl Ungrisch gewesen sein... Na, nach zwei Jahren sei er gestorben, und da sei die Lola wenigstens zu der Tabaktrafik gekommen!

Das war fünf Jahre her, und sie mochte damals Ende der Zwanziger gewesen sein.

Der gelbe mit großen Blumen bedruckte Kattunvorhang, der den Alkoven abschloß, wurde zurückgeschoben, die Frau Hauptmann trat herein.

Mit gehobenen Armen kam sie zwischen dem runden Tisch und dem Piano herum, der aus einem bunten Kaschmirshawl geschnittene Morgenrock hielt die vollen Formen straff zusammen.

,, Entschuldigen Sie nur, daß ich Sie habe warten lassen, Frau Försterin..."

Frau Lola von Bartelnus stieß absichtlich etwas mit der Bunge an; sie hielt das für fein, und dann mußte sie dabei langsamer sprechen und fiel nicht so leicht in den Dialekt. Sie zog einen Hocker zum Sofa heran.

"

Wir waren gestern in der Reunion in Franzensbad .. Sehr fein... sehr nett..."

"

Aber vor zwei Uhr kommt man da nie zu Bett..." Lene hatte ihr stumm zugehört.

Gott , die schminkte sich ja!... Und der Moschus!. Die Augen waren müd... Aber das schöne blonde Haar!... Nein, häßlich war sie nicht.

Frau von Bartelmus blickte auf ihre Hände... Was wollte die Försterin?... Die machte ja Augen, schier wie ein Beichtvater!.

Man sieht Sie ja so selten, Frau Gruber!" Lene recte sich. Ihre Stimme klang gepreßt, als müßte sie sich mit Gewalt zurückhalten.

Ich habe zu thun... Wenn man Studenten hat. Frau Lola feufzte.

.

" Ich wollt, ich könnte mich auch wieder um etwas

1902

sorgen... und arbeiten... Die Trafik geht ja wie eine Maschine

Lene sah die gepflegten, weichen Hände der Frau. ,, Arbeiten?... Mit diesen Fingern?..."

Fast barsch sagte sie:

" Ich war vorgestern bei Professor Jakob." Bei Jakob?... Dem Deutschnationalen?" Sie äffte:

..Unser So ein

Das hehre, deutsche Weib, meine Herren!..." Wissen Sie, was seine Parteigenossen von ihm sagen? Kleinster Mann, aber unser größtes Maul!" Quackerer!"

lag,

Er sprach auch von Ihnen, Frau Bartelmus." Ein Blick von unten herauf, in dem etwas Schielendes traf Lene.

"

"

Will er mir eine Liebeserklärung machen?"

,, Er sprach von einer Konferenz, in der Professor Botter mitteilte, daß er den Gymnasiasten Fris Gruber auf allen möglichen Wegen und Stegen, meistens in den Abendstunden, mit einer Frau getroffen hätte... mit Ihnen, Frau von Bartelmus!..

"

Die Witwe schnellte empor.

Also deshalb war die Kostfrau gekommen!... Aus­spioniert hatte man sie?... Diese Duckmäuſer!.. Sie vergaß ganz auf ihren feinen" Sprechton. ,, Mit mir? Ja, ist denn das was Schlechtes?.. Ihre Töchter laufen mit den Studenten am hellen Tag herum! Ihre Weiber seh' ich alle Tage in Franzensbad !... Und mir wollen sie vorschreiben..."

die

,, Es ist doch etwas andres... Sie sind eine junge Witwe,

"

" Der Lump von einem Botter!... Schon wie er noch Student war, ist er mir nachgestiegen und wollte mit mir gehen" Ablaufen hab' ich ihn lassen, das verdrehte Regenschirmgestell!

"

"

Sie wollten Friß eine schlechte Sittenklasse geben... und da wäre sein Studium verdorben gewesen... Die Witwe blickte erschrocken auf.

Lene erhob sich.

Geben Sie ihn frei, Frau von Bartelmus!" Die andre versuchte zu lachen.

Freigeben?... Den Friz?... Ist denn die ganze Welt verrückt? Welt verrückt?... Weil er mit mir spazieren gegangen und hier den Aschern einigemal etwas vorgespielt hat?

"

,, Ein junger Bursch faßt das ganz anders auf... Geben Sie ihn frei, ich bitte Sie darum!"

war

Sie faßte die andre an beiden Händen.

Ueber die Witwe kam es wie ein Sinnen.

"

Wenn man so lang an einen alten Mann gebunden Sie müssen es ja selbst wissen, Frau Gruber. Das weiß ich nicht!... Ich habe meinen Mann aus Liebe geheiratet

Frau von Bartelmus legte den Kopf auf die Seite. Ihre Augen funkelten. So?!... Na ja, jetzt geht mir ein Licht auf!.. auf!... Sie sind eifersüchtig!..." Lene schoß alles Blut zu Kopf.. So eine freche Person!... Shre Stimme klang vor Zorn ganz heiser. ,, Wollen Sie ihn freigeben?"

...

Er gefällt Ihnen also auch, der Frizz?" " Ich frage Sie noch einmal!.. " Hätt' mir's denken können!.

Diese Schwarz­

töpfigen!... Und wenn ich nun nicht will?"

"

Dann werd' ich Sie zwingen!"

Die Witwe spürte einen Druck an den Gelenken, daß sie mit einem Schrei vornüber knickte.

,, Lassen Sie mich aus!... Was wollen Sie denn!... Sie Furie!... ... Ich schrei'!... Jessas!..." Jessas!..." Lene schüttelte sie. ,, Nur noch einmal, wenn ich Sie seh'.. mit dem Burschen... Zu Schanden... mach' ich Sie... vor der ganzen Welt.. Sie... Sie..

Benes Stimme war vor Wut ganz erstorben. Sie ließ die hysterisch Schluchzende zu Boden gleiten und ging zur Thür hinaus.

Auf der Treppe wurde Lene von einigen ihrer Studenten