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überholt, die aus der Schule kamen. Der Vogt schoß an ihr vorbei, droben an der Glasthür, die in die Küche führte, schrie er:
,, Kostfrau, essen wir bald?... Ich..."
Sachen vorschte; aber irgendwelche Lieblosungen konnte ich nie zwischen den beiden bemerken. Er wartete wohl ganz ruhig auf den Tag im Herbst, an dem die Trauung stattfinden sollte.
Er war ein ziemlich dicker, scheinbar gutmütiger Mann von ettva vierzig Jahren; aber wer ihn genauer ansah. hätte vielleicht Die Stinime brach plöglich ab. eine andre ertönte, und gefunden, daß ziemlich viel Schlauheit in diesem runden, unbedeutenden sie flang, wie wenn man Schleißen bricht: Gesicht lag.
,, Karl!"
Lene gab es ordentlich einen Stoß.
Wer war denn das?
Unter der Thür trat ihr der Fremde entgegen.
„ Mein Name ist Vogt... Oberlehrer Vogt... Ich bin der Vater... Sie sehen ja aus. wie die Wand!.. Fehlt Ihnen etwas?"
Lene schluckte einigemal und schüttelte den Kovf.
Sie sah den Mann an.
Ein roter. ergrauter Borsten- Bart mit ausrasiertem Kinu, stumpfe Nase und gelbe Rattenaugen.
.Ein alter Feldwebel!" dachte sie.
Fortseyung folgt.)
Fanfulla.
( Nachdruck verboten.)
Novelle von Jonas Lie. Autorisierte Uebersetzung von E. Brause wetter.
Vor achtzehn Jahren hielt ich mich einen Sommer in Perugia auf. Dort giebt es nämlich einen wahren Ueberfluß an Motiven für Maler, besonders am Lago Trasimeno.
Draußen auf dem See wiegte ich mich manchen schönen Abend, und mein Bild von dort brachte mir denn auch ein Stipendium aus der Heimat ein. Später zu Hause fam es mir aber vor, als ähnelte es mehr einem norwegischen, als einem italienischen See. und vielleicht bekam ich gerade darum die Auszeichnung.
Ich wohnte droben bei dem Wirt der Osteria Stella und entfinne mich noch meiner Rechnung. Ich war der einzige bei ihm logierende" Forestieri". sein einziges Länimchen, und es hätte ihm sicher Gewissensbisse bereitet, wenn er mich nicht ordentlich geschoren hätte.
Aber guten Wein hatte er, das muß ich anerkennen; und wenn er sich in schlechten Verhältnissen befand, lam es sicher zum Teil daher, weil er selbst sein bester Kunde beim Weinfaß war. Er war vor einigen Jahren von Rom hierhergezogen.
Es war ein rotnäfiger, ein wenig hinterlistig aussehender Mann Den ganzen Vormittag schimpfte und schalt er auf seine Kinder und Dienstboten, aber gleichzeitig war er in einer friechenden Weise zu den Gästen liebenswürdig. Um die Mittagszeit trat meist ein Umschlag seiner Stimmung ein, und am Abend saß er über dem Glase und nickte und sah und hörte nichts mehr.
Seine Frau war tot; aber er hatte ein paar Töchter. und ich hielt mich zum Teil ihretwegen dort auf.
Besonders die älteste, die siebzehn Jahre alt sein fonnte und Bittoria hieß, war eine vollkommene Schönheit. In dem stolzen, etwas blassen Gesicht strahlten ein paar wunderbare Augen, und der Kopf mit dem reichen, schimmernd schwarzen Haar, in dem stets ein filberner Pfeil stedte, saß so seltsam vornehm auf dem Halse. Ihre fchlante, jungfräuliche Figur hatte eine Formenfülle, die ihrer Erscheinung etivas Jmponierendes verlieh. Sie glich einer jungen Juno, ehe Jupiters Augen auf sie fielen. Aber es war zugleich etwas pifantes Kaltes in dieser Schönheit. Die Stirn war wie die einer steinernen Jungfrau und die Züge überhaupt seltsam bestimmt und kalt, während die warmen Lippen, wenn sie lächelte, wieder gerade vom Gegenteil zeugten.
Sie ging meistens ernst umher und besorgte die Bedienung der Gäste, für ihre Schwester war sie wie eine Mutter.
Offenbar durfte der Vater ihr gegenüber sich nicht viel herans. nehmen. Mir fiel es nicht ein, ihr direkt die Kur zu machen, ob: schon ich genügend für sie schwärmte und einmal sogar die Erlaubnis bekam, ihr Porträt zu malen.
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Ihre Hände waren überaus schön und fein geformt, wie ich es felten gesehen habe, und das will für einen alten Rom - Bewohner etwas sagen. Aber die Füße waren das muß ich einräumen zu groß. Es hat überhaupt den Anschein, als wären die Römerinnen dazu geboren, auf Piedestalen zu stehen; denn sie haben fast alle große Füße und zudem ziemlich roh modellierte.
Ihre Verhältnisse waren, wie gesagt, nicht besonders gut; aber bei den Kirchenfesten erschien sie foftbar geschmückt, und es herrschte nur eine Meinung darüber, daß sie das schönste Mädchen in Perugia war. Die Schönheit hat, besonders in Italien , ihren eignen privilegierten Adel, es war immer ein freier Raum ringsumber, wo fie und ihre Schivester am Boden fuieten.
Sie ging stets sehr ernst umher, und ich erfuhr, das hätte seinen Grund darin, daß fie gewissenmaßen gezwungen werden sollte, den reichen Bankier Bertuccio vom Markte zu heiraten.
Er kam alle Sonntage in die Osteria und hatte dann meist ein Bäckchen für Vittoria mit, das sie indessen nie öffnete so lange er da war. Er saß gern mit einem Glas Wein bei dem Alten im hinteren Zimmer, während sie sie ruhig bediente und ihnen feine
Er stand mit allen Geistlichen des Ortes auf besonders gutem Fuß, und man sagte, sie benutten ihn in ihren geheimen Geldgeschäften, er sollte auch den größten Teil seines Vermögens durch jeine Verbindungen mit ihnen erworben haben.
Wie Vittoria sich in der Kirche bei großen Kirchenfesten anszeichnete, spielte der Bankier Bertuccio, wenn er barhäuptig und schwizzend in der Sonne dahinschritt, eine große Rolle in der Prozession, bei der er immer eine der großen Fahnen neben dem Syndikus trug.
Die Priester hatten denn auch bei dieser Verlobung ihre Hand im Spiele gehabt und erreicht, was dec väterlichen Autorität faum gelungen wäre.
Schräg der Osteria gegenüber wohnte ein Spezereihändler. Sein Sohn, Audrea Belmonte, war gerade diesen Sommer jum Priester geweiht. Man sagte, sein Vater hätte eine Zeitlang viel Summer mit ihm gehabt; er wäre in Rom in den Verdacht gekommen, für die nationale Sache zu schwärmen und wäre auf das fchwarze Brett gefeßt.
Er war ein Jugendgespiele Vittorias und lam bisweilen in die Osteria hinein, aber immer nur für Augenblicke. Er war ein hübschec Mann von einigen zwanzig Jahren mit seltsam unterdrückt leiden. schaftlichem Ausdruck in dem mageren, schmalen Geficht. Trotz seiner Priestertracht machte er einen etwas weltlichen, siuberhaften Eindruck. Als er das erste Mal in die Osteria hineinkam-ct war gerade am Tage vorher von Rom heimgekehrt, goß Vittoria die Suppe über, die sie mir reichen sollte. Er sah auffallend ernst ans.
Ich bemerkte während der kurzen Zeit, da er drinnen war und mit dem Wirt sprach, daß Vittoria ganz bleich bei der Cucina stand, aber ich sah nicht, daß sie sich etwa grüßten.
Eines Tages. als ich vor meiner Staffelei saß, in der Nähe des offenen Fensters, und ein wenig in Gedanken verfunken war, fiel eine Nette auf den oberen Rand der gegen den Sonnenschein halbgeschlossenen Jalousie unsres Vis- a- vis herab
Sie blieb dort einen Augenblid hängen, bis eine Hand fie rasch hineinzog.
Ich hatte den Eindruck, daß der Betreffende dort drüber nicht bemerkt zu werden wünschte. Aber die Nelke war offenbar vom Fenster meines Schlafzimmers aus geworfen, das ein Weilchen später Vittoria, ganz ruhig vor sich hinsummend. mit einiger Bettwäsche auf dem Arm verließ.
Es war ein unbedeutender Vorfall und daher dachte ich nicht weiter darüber nach.
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Seitdem sah ich Vittoria oft mit einer Nelle im Haar diese aber unten in Blume wird als republikanisches Zeichen gebraucht der Osteria trug fie niemals eine solche Blume. Eines Nachts, als ich wach lag, war es mir ganz deutlich. als hörte ich das Fenster draußen im Flur bei der Aufzugeinrichtung, womit der Wassereimer aufgezogen wurde, leise aufgehen und dann Schritte, die über den Flur hinschlichen.
Als ich Licht anzündete und durch die Thür hinaussah, stand Vittoria im Nachtkleide am Fenster. Es war mir auch als hätte ich dort eine rasche Bewegung gesehen, aber sie stand nur ganz ruhig. nur beschäftigt. es wieder zuzumachen. Sie lächelte mir ein wenig zu und sagte:
" Ich hörte das Fenster auf und zuschlagen und entsann mich. daß ich gestern abend vergessen hätte, es zuzumachen.
Ihr Haar war aufgelöst, und in dem matten Scheine meines Lichtes jah jie feltam schön aus.
Es kam mir seitdem öfters während der Nacht so vor. als hörte ich gerade denselben leisen Laut des aufgebenden Fensters, aber aus einer Art Instinkt dachte ich nicht daran, nachzusehen.
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Eine Nacht aber es war etwa drei Wochen vor meiner Ab reise entstand draußen auf dem Flur plötzlich lauter Lärm. Ich hörte die grobe Stimme des Wirtes und die hohe. feine des Dienstmädchens. An meiner Thür flogen eilige Schritte vorbei, wie wenn jemand flüchtete, und als ich schnell die Thür öffnete, hörte ich, daß das Tau in heftiger Bewegung war. Gleich darauf fam Vittoria, das Dienstmädchen, und der Wirt mit Lichtern angelaufen Vittoria voran.
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Sie sah offenbar erschreckt und erregt aus; aber ihr Licht erlosch in der Eile zufällig, so daß sie stehen bleiben mußten, um es wieder anzuzünden, und sie hielt sich einen Augenblick auf, um mir zu er zählen, was vorgefallen wäre.
Der Wirt hatte, wie er das oft that, nachdem die Osteria geschlossen war, vorläufig einen fleinen Abendschlummer mit dem Kopf in den Armen auf der Tischplatte abgehalten; als er dann im Dunkeln mit seiner kleinen Lampe hinauf ging, war dieselbe oben auf der Treppe plötzlich ausgeblasen worden, und das Dienstmädchen hatte beim Schein eines Streichholzes, das sie schnell anrieb. deutlich eine junge, große Mannsperson in dunklem Rock vorbeischweben gesehen.
Diese Sache wurde niemals aufgeklärt. Nur hieß es unten in der Osteria, man hätte Fanfulla" im Hause gesehen, und später wollte das Dienstmädchen ihn öfter bemerkt haben.