Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 190.

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Die Stadt.

Dienstag, den 30. September.

( Nachdruck verboten.)

Roman von Nicolaus Krauß. Lene erinnerte sich ihrer Jugend, der Jahre, wo sie bei den Bauern gedient, und sie lächelte.

,, Aber Frau Scharnagel!... Die Hauptsach' ist doch, daß es schmeckt!"

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Der Pfarrer", der bemerkt hatte, daß Frig, der gegen­über am Tisch neben dem Förster saß, ihn spöttisch musterte, errötete.

Mutter!"

Der aber war ein Stein vom Herzen gefallen. Ganz Freude plauderte sie:

,, Geh, Hansl, Du weißt ja net, was für ein eisernes Hemd die G'wohnheit ist. Zu meiner Zeit, wie ich auf­g'wachsen bin, hat jedes sein Schnappmesser g'habt, aber a Gabel hat's im ganzen Haus net geben... Und ist auch gangen tüchtig schön!... Und noch viel andres hat's net geben!... Wer von uns Madeln hat g'wußt, wie a Schleier ausschaut?... Der Vetter Fritsch wird's ja auch noch wissen..."

Der Bauer nickte und wandte sich zu dem Förster. ,, Stimmt!... Wir waren hübsch z'rück, wir Egerländer Bauern!... Wie ich vor fünfzehn Jahren meinen ersten Esel kauft hab', haben s' in den Wirtshäusern rumg'schrieen, ich bin verruckt worden. Und dann erst, wie ich den Erdäpfel­Handl eingericht't hab'!... Jetzt wissen sie's alle, daß man mit der Zeit gehen muß.

Mein Christof geht net mit," fiel die Bäuerin ein. Wenn der Hanst ausg'studiert hat, verkaufen wir unsern Hof. 3' leben hätt'n wir schon heut'..."

Der Bauer fuhr auf:

Seinen Hof verkaufen?... Ein Egerländer?... Wenn ihm noch eine Schindel auf'm Dach g'hört?!..."

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Der Pfarrer" that, als wäre ihm etwas in die unrechte Stehle gekommen.

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Die Mutter will's so, der Vater möcht' aber nicht ver­kaufen. Er sagt

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Den Hof hab' ich in die Eh' mitgebracht, und ich werd' wohl thuen können, was ich will!..."

Aus dem weichen Toufall klang auf cinmal eine Schärfe, welche die Zuhörer unangenehm berührte.

Schnell fiel der Förster ein:

Ich wollt, ich hätte einen Hof! Wir sollte ihn kein Teufel nehmen!.

Lene fam mit dem Braten.

" Daß jeder sich einricht't, Herrschaften!...' s ist's Tetzte!... Schöpfenschlegel, eingelegt und gespickt nach dem Konradsreuther Rezept!... Der Gruber hat ihn lieber g'gessen als Reh."

Alle griffen zu, und schon nach den ersten Bissen war des Lobes kein Ende.

Plößlich erklang verhaltenes Schluchzen.

Das Gesicht des Bauers wurde ernst, beinahe hart. Franz!"

Jezt konnte sich aber der angehende Student nicht mehr halien; eine Zähre schlug die andre.

Als alle teilnehmend fragten, was dem Kleinen fehle, that der Bauer auf einmal einen Lacher und sagte:

Ist das ein dummer Bub!... Wegen der Bratwürst ist's!... Ich hab' ihm gestern versprechen müssen, daß er sich heut' dran satt essen fann; jegt glaubt er, weil die Frau Försterin g'sagt hat,' s fei's legte, er käme drum..." Er wischte ihm die Thränen aus dem Gesicht. Schaferl!...' s giebt ja Wirtshäuser g'nug in der Egerstadt!... Na, Kostfrau, was?... Der wird Ihnen noch was aufzuraten geben?

Lene schüttelte den Kopf.

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1902

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Durch die Fenster kamen Glockentöne. In einer Viertel­stunde begann der Nachmittags- Gottesdienst. Fast alle erhoben sich, um die Vesper mitzunehmen". Lene lud sie zum Kaffee ein. Sie versprachen, wiederzukommen, der Bauer am Bühl wollte dann die Sache mit seinem Studenten gleich festmachen. Die Lise erhielt von ihm einen Silbergulden für die Be­dienung". Not vor Freude zeigte sie das Geldstück Lene und sagte: Ein feiner Bauer ist ein feiner Herr, feiner wie ein Als Lene wieder in die große Stube zurückkehrte, saßen an dem runden Tisch nur noch der Förster Plank und Frik. Na, hat er schon gesagt, wer er ist!" fragte sie, auf ihren Verwandten deutend.

Stodterer!"

Plant sah sie an.

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Mein Neffe!... Sein Vater und Gruber waren Brüder. Er hat heuer das Gymnasium absolviert.... Mit einem sehr schönen Zengnis!... Bis zum 15. September bleibt er hier. Er hat eine gute Stelle über die Ferien er­halten... Den Sohn eines Doktors bereitet er für die zweite Klass' vor... Dann fährt er auf vierzehn Tage zu seiner Mutter und dann nach Wien auf die Universität...

Lene hatte das mit strahlendem Gesicht gesagt, plöglich überlegte sie.

Frik, ich an Deiner Stelle würde mir das Vincenzifest einmal ansehen... Auf der Marktplay, wie die Kinder in ganzen Trupps um die Obstfrauen herum sind und Birnen essen. Vor dem Bruckthor ist eine Menagerie und Ringelspiele und Riesenjungfern, Strämerständ' oh, der reine Jahr­markt... Geld hast D' doch?... Frit erhob sich, verabschiedete sich vom Förster und

ging.

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Lene ließ sich nieder und sah Plant voll an.

,, Sie haben sich in all den Jahren fast gar nicht ver­ändert!.. Wie geht es denn?... Was macht die Mutter?"

Da erhob er zum erstenmal, seit er hier war; das Auge frei zu ihr und antwortete:

Die Mutter ist seit zwei Jahren tot... Jetzt habe ich eine alte Verwandte bei mir."

,, Tot?... Aber davon weiß ich ja gar nichts?..." " Ja!... Ich hab ihr in den letzten Jahren noch manches bieten können.. Aber es war zu spät. Der alte, abgearbeitete Körper... Sie ist ausgeloschen wie ein Licht..." Sie schwiegen beide.

Dann begann Lene, und in ihrer Stimme ging ein leises

Zittern: Und Sie?... Wie geht es Ihnen?" Jchtönnte nicht klagen. Das Revier ist ziemlich groß, zwei Heger hab' ich unter mir Der Wald ist ja nicht so im Stand wie in Konradsreuth , aber es wird sich machen. Der junge Baron versteht sich auf seinen Vorteil und läßt mir freie Hand. Knapp an der sächsischen Grenze haben sie ihm eine Papiermühle hinstellen wollen, er hat mich gefragt und das Geschäft- abgewiesen..."

" Da sind Sie wohl jekt ganz draußen bei den Luthe­rischen?"

" Ja. Das Forsthaus und das Gut liegen noch herüben, ein Teil des Waldes aber schon über der Grenze..."

" Ja... Neuberg!... Gruber hat mir davon erzählt... Jst was zur Försterei?..."

Felder und ein schöner Garten mit Obstbäumen. Wir brauchen keinen Laib Brot zu kaufen. Und drei Kühe haben wir; es wäre aber Futter für sechs..."

" Futter für sechse?!"

Lene war ganz erregt. Sie hatte die Worte fast geschrien. Gleich aber ärgerte sie sich wieder und sah vor sich auf das Tischtuch.

Die Burschen, die offen sagen, was sie wollen, sind mir andren Weberneſtern etwas zu machen. Aber die Urschel die liebsten... Er wird sich schon eingewöhnen." Die Bäuerin hob den Kopf und meinte:

Mein Hansi war nie eigensinnig. Schon als Kind war er mit allem zufrieden. Und wenn ich ihm nur ein Biß'l Brot in fein'n Nutschel einbunden hab'... Es ist eine Sünd', wenn man den Kindern in allem nachgiebt..."

Es wäre mit Milch und Butter nach Adorf und versteht sich auf das Wirtschaften nicht. Sie hat immer nur in der Stadt herumgedient und ist auch wohl schon zu alt.

Er räusperte sich und wurde rot. Dann legte er die Rechte, mit dem Handteller nach oben, über den Tisch herüber.