AnterHaltttngsblatt des vorwärts Nr. 191. Mittivo ch, den 1. Oktober. 1902 ivl Vie Gtaät. (Nachdruck verboten.) Noman von N i c o l a u s Krau ß. Sie waren auf der schönen, breiten Straße, an dem neuen Friedhofe vorbei, bis in die Nähe derPestsäule" ge- kommen. Da faßte Lene ihren Bruder an der Hand, setzte sich drüben in das Gras der Straßengraben�Vöjchung und zog ihn neben sich nieder. Jetzt sag' mir einmal, Matz, was ist denn mit Dir? Den ganzen Tag hast kaum einmal den Mund anfg'macht und da höchstens Ja oder Nein g'sagt!... Fehlt Dir was?..." Er riß einen Grashalm ab und betrachtete ihn aus- merksam. Mir?" Ja, Dir?... Hast denn's Reden ganz und gar der- lernt?" Warum?" Sie faßte ihn an der Schulter. Weißt D', jetzt werd' ich bös!... Da'' D' was auf'ni Herzen hast, Hab' ich Dir ja gleich ang'sehen, wie Du zur Thür 'reinkommen bist. Ich kenn' Dich doch, Brüderl!... Jetzt red', oder ich geh!..." Er zögerte und sah sie von der Seite an. Die Eva-5iathl!" Ist sie krank?" jEin halbes Lachen kam über seine Lchpen. Die und marod'!" jEr bewegte unschlüssig die Hand. Ich kann nichts vertragen... und komm' nur alle heiligen Zeiten inS Wirtshaus... Seit ich im Gemeinde- vorstand bin, muß ich doch manchmal hin... Da krieg ich nichts zu essen... der Magen verträgt das saure Brot nimmer recht... wenn ich heimkomm', und sie brummt und schimpft ... und die Kinder werden doch schon groß und fassen alles auf... und am andern Tag bin ich wie zerschlagen... Ich kann mich doch nct rein tot arbeiten!..." So schimpf' doch wieder!... Laß' Dir im Wirtshaus eine Wurst geben oder eine Suppen aufbrennen, wenn sie Dir nichts kochen will..." Du hast leicht reden!... Draußen essen kost't Geld... und wenn ich auch was sagen will, mit'm Reden komm' ich ihr doch net nach..." Bist halt immer noch der alte Matz und wirst es bleiben ... Was Hab' ich Dir g'sagt, wie Du's erstemal nach Konrads­ reuth hinaufkommen bist und klagt hast?... Beim Auf- schneiden des ersten Brotlaibs zieht man die Weiber. Versieht mau's, dann wird manche störrischer, als eine alte Kuh... Du hast es halt versehen, Brüderl, und mußt schon selber aus- essen, was Du Dir eingebrockt hast... Wenigstens hat sie Geld g'habt!" Das hat sie gleich fest machen lassen..." Wenn Du damit einverstanden warst, kannst D' Dich net beklagen..." Er wandte sich plötzlich seiner Schwester zu und fragte: Wer war der Förster heut?" Sie wußte nicht recht, wo hinaus er wollte, sagte aber: Der Förster von Neuberg... Er war bei uns Adjunkt gewesen." Hat er was g'wollt?" Sie sah ihn lächelnd an. Du bist ja neugierig, Matz!... Von der Seiten Hab' ich Dich ja gar noch net kennen g'lernt!... Aber wenn Du's durchaus wissen willst einen Antrag hat er mir g'macht!..." Und hast T'?..." Sie sah seine aufgerissenen Augen. Er kain ihr beinah' lächerlich vor. Nein, Hab' ich nicht... Könnt' mir einfallen!" Er atmete auf. Dann brauchst Du also auch Dein Geld no nct?... Ich wollt' Dich schon z' Mittag fragen..." Jetzt wußte Lene, wie sie dran war. Jessas, Ihr Bauern!... So was Vordrucks und Feiges!... Na, jetzt weiß ich ja gleich, weshalb Du heut' hereinkommen bist, und was Dir im Kopf'rumgeht!... Ich brauch' kein Geld!... Sie haben mir die Pension aufbessert, und das andre verdien' ich mir..." Sie sah sinnend vor sich hin. Wenn Du mir mein Erbteil damals herausgegeben hättest, wie ich heiraten wollte..." Energisch schüttelte sie den Kopf. Nein, es war doch gut so!... Ich war' gerad' so ein Krauterer geworden, wie Ihr... Ist ein Leben!... Aber Ihr seid selbst schuld. Der Fritsch am Bühl ist auch ein Bauer, aber ein ganz andrer. Kerl!..." Der ist einGro er", hat Geld und Dienstboten, so viel er will... Wir müssen uns allein plagen..." -Und sind und bleiben dumm... Er hat Verstand und Unternehnmngsgcist... Zu was brauchst Du denn das Geld?" Wir möchten bauen... Mit der alten Hütten ist's schon zu arg. Und der Große, wenn er heiraten will, kriegt doch gleich eine andre Braut, wenn der Hof was gleich sieht.. Lene lächelte trübe. Schlau, schlau seil Ihr schon, wenn's uin die Kreuzer geht... Also meinetwegen!... Das Geld kann stehen bleiben. Aber mit den Zinsen bleibt's auch beiin alten..." Sie hat g'sagt... die Sparkasse verlange weniger,.» Aber das Unischreiben... Weiln's net anders geht..." Er faßte ihre Hand. Alsdann eing'schlagen!... Jetzt muß ich aber geben, wenn ich noch vor Nacht heimkommen will..." Sie schieden. Lene sah ihm nach, wie er die Straße dahintrollte, leicht und mit den Händen und Arineit gesti- wie einer, der seine Absicht erreicht hat. Sie wandte sich der Stadt zu. Hinter dem Vahnüber- gange blieb sie stehen. Unter ihr das breite Band der Eller, Sand Jodok, das ganz verräucherte Armenhaus, eine rote Fabrikesse, die sich aus einem buschigen Bauingarten hob. Rechts drüben aus der Höhe der Dölitzhof. Quer durch den Mittelgrund der Viadukt. Durch die hohen Bogen schimmerten die weißen Gärtnerhäuschen des Angers . Wie ein Riesenwahrzeichen standen die beiden Türme der Nicolaikirche über dem Eisen- bahndamm. Vom Bruckthor her drang ab und zu das Brummen der Drehorgeln, auf deni Bahnhofe pusteten und pfiffen die Verschiebemaschinen. Um die schwarze Stadt sammelte sich fahler Rauch, Wasserdunst vom Flusse ; dahinter stieg die grüne Mauer des Waldes empor. Kleine, rote Wolken standen über Sand Anna, sonst war der Himmel klar wie eine blaue Gasglocke. Von der Stadt her kam ein Trupp junger Knechte. Sie hatten ihre Bratwürste drin, ein paar Maaß Bier drauf ge- setzt, jetzl zogen sie vergnügt heimwärts. Fast die ganze Straßeabrcite nahmen sie für sich in Anspruch. Einer hatte eine Mundharmonika und spielte einen flottenHupf-auf". Und einer nach dem andern that einen Sprung, so hoch er konnte, und ließ einen Juchzer los, daß der Hall von dem Bahndamm wiederkehrte. VII. Es war zwei Tage nach Vincenzi. Stach dem Mittagessen hate sich Lene mit ihrem Nähkorbe im großen Zimmer festgesetzt und Fritz zugehört, der am Flügel übte. Der war dann gegangen, um mit seinein Zögling einen Spaziergang zu»lachen. Da hatte sie ihren Stuhl ans offene Fenster gerückt der Tag war heiß, wie nur einer im Hochsommer und war mählich ins Träunien gekommen. Ab und zu tauchten noch die neckischen Tonfolgen von WebersAufforderung zum Tanz" in ihrein Gedächtnisse auf. Aber die freundlichen Bilder und Vorstellungen wichen mehr und mehr. Drüben, am Ende eines finsteren Gäßchens, wuchteten die dunkle» Massen des alten Schlosses, kleine, alte Häuser schmiegten und duckten sich im Halbkreise wie Schutzflehende. Alte» Krüppeln glichen sie, die nicht sterben wollen, trotzdem ihnen das Leben weder gutes noch schönes mehr zu bieten vermag. Das war Verfall, Verkonnnen. Die Sonne stand hoch, und unter ihre» grellen Strahlen erschien die Armut noch häßlicher. Eine melmicholische Stimmung ergriff Lene, und sie wuchs, so sehr sie sich auch dagegen zu strällben versuchte,