Unterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 192.

20]

Die Stadt.

Donnerstag, den 2. Oktober.

1902

ihrer Pension, er hatte keinen schlechten Eindruck gemacht. ( Nachdruck verboten.) Die fahle Gesichtsfarbe würde auch verschwinden, wenn er nur erst aus dem Bierdunst und Tabaksdampf heraus war. Lene ließ die Hand mit dem Briefe sinken und starrte vor sich hin. Und eine lockende Vision stieg vor ihr empor.

Roman von Nicolaus Krauß. Draußen Klopfte es. Ein alter Briefträger, dessen Ober­körper nach vorn und links, wo er die schwere Tasche trug, überhing, tam herein. Er wischte sich den Schweiß mit einen roten Schnupftuch und knurrte in seinen weißen Bart. Etwas aus Bayern  ... G'hört's Ihnen?... Alsdann!" Er wandte sich eilfertig.

"

Der Durst!..."

Lene betrachtete den Brief und die bayrische Marke. Wer konnte ihr von da schreiben?... München  !... Sie wußte niemand... Eine Frauenhand war es nicht. So schrieb man auf dem Gericht, in den Aemtern, wo es Reute gab, die ihr Leben lang nichts anders thaten als schreiben...

Sie nahm die Schere, schnitt den Umschlag durch und begann zu lesen. Langsam und bedächtig, wie es ihre Art war. Schon der Anfang machte sie stutzen. Mit einem Male fuhr es ihr siedend heiß nach den Schläfen, ihre Augen wurden groß, ein Ruck ging durch ihren Körper.

Plötzlich warf sie den Brief zu Boden. ,, Einer wie der andere!... Aeh!"

Sie erhob sich und ging erregt im Zimmer auf und ab. Gab's denn in der Stadt gar keine andern Weiber, da sie zu ihr kamen, einer nach dem andern?!... Sie hatte ihnen doch keinen Grund dazu gegeben!... weil sie eine Bitfrau war, glaubten sie, sie zittere danach... diese!... Was mußte das für eine Gesellschaft sein!... Pfui! Wie ekelhaft!... Sie pfiff darauf!...

Sie stand am Fenster und blickte nach dem Wasserstrahl des Brunnens, der mit schier eintöniger Regelmäßigkeit in das Becken fiel. Das Wasser eilte, langsam stiegen die Luft­blasen zur Oberfläche.

Eigentlich... warum ärgerte sie sich denn?... Weil sie den Männern gefiel und die sie heiraten wollten?... Gewiß, es waren armselige, alte Krauterer... aber manche hätte dock mit allen zehn Fingern zugegriffen... Sie... brauchte nur nein zu sagen und die Sache war erledigt. Wenn sie nicht wollte, fam ihr keiner an den Leib.

Also!... Den Stadt- Seff hatte sie erpediert, Plant ihre Meinung ins Gesicht gejagt... der... dritte war noch schneller und einfacher abzufertigen.

Sie nahm den Brief auf, segte sich und strich ihn auf den Knieen glatt. Und sie las ihn wieder und ein drittes Mal und merkte es nicht, daß sie sich die Worte fast laut vorfagte.

Geehrte Frau!

Entschuldigen Sie, wenn das Nachfolgende etwas trocken und geradheraus klingt: ich bin im Abfassen der troden und geradheraus klingt: ich bin im Abfassen der artiger Schriftstücke etwas unbewandert. Ich komme mit einer Bitte. Wie Sie wissen oder gehört haben werden, besitze ich ein schönes Haus, eine gutgehende Schänke, eine anständige Pension. Bares Geld ist auch da. Wenn Ihnen die Bierschänke nicht paßt, kann sie verpachtet werden. Mit dem Kerl" selbst ist freilich sein großer Staat mehr zu machen. Er ist start in den fünfzigern und nicht mehr fest auf den Füßen. Aber er hat Sie gern, sehr gern. Und er bittet Sie hiermit um Ihre Hand. Ansprüche macht er feine. Ihr Wille, Ihr Wunsch wird ihm immer Gesetz sein, soweit man es unter vernünftigen Menschen billigerweise verlangen kann.

Ich gehe für acht Tage in die Berge und fahre noch einmal nach München   zurück, ehe ich nach Hause komme. Erscheint Ihnen mein Antrag des Ueberlegens wert, dann schreiben Sie mir, bitte, nicht. Glauben Sie aber" nein" sagen zu müssen, dann erwarte ich mein Urteil hier, poste

restante.

Ihr ergebener

Christof Sturm."

Wieder erglühte sie; aber Zorn und Entrüstung waren verschwunden. So konnte nur einer schreiben, der es ehrlich meinte. Ein einziges Mal hatte sie ihn gesprochen, wegen)

Sie sah sich als die Frau eines reichen Bürgers, gleich­gestellt und gleichgeachtet jenen Frauen, deren Männer die Einst Stadt regierten. Eine Bürgersfrau von Eger!... hatten diese gewetteifert mit Fürstinnen in Tracht und Bracht!... Auch sie würde in Sammnet und Seide gehen, Dienstboten würden ihr alle Arbeit abnehmen, und hinter ihr würde man tuscheln und erzählen von dem armen Waisen­finde, dessen Vater in der Eger ertrunken, von der ehemaligen Försterin von Konradsreuth  ...

Und Gruber!"

Der verführerische Schein verblich. Sie schlug beide Hände vor das Antlig.

Nein!... Er soll seine Antwort haben!..." Und Lene ging an ihre Arbeit.

und auch nicht am folgenden. In der reifen Frau war etwas Mit dem Schreiben wurde es nichts. Diesen Tag nicht erwacht, von dem sie sich keine Rechenschaft geben konnte. Ein Sehnen, das kein Ziel wußte, manchmal aber so stark wurde, daß sie die Augen schlo, um nicht vom Schwindel überwältigt zu werden. Ihr Kopf glühte, die Hände fühlten sich heiß an, ab und zu lief ein Prickeln über den ganzen Körper. Vor ihren Augen stand das Bild eines Brachfeldes; von der Hize in große Schollen zerrissen, lechzte es nach Regen.

Sie belauerte sich und Und die beständige Unruhe! merkte, daß ihre Bewegungen fahrig, der Gang ungleich, manchmal wie springend, geworden. Sie war nicht mehr im stande, eine Arbeit in einem Zuge zu Ende zu führen. Vor­ftellungen kamen, Bilder, deren sie sich schämte, um sie im nächsten Augenblick zurückzuwünschen. In ihrer Angst griff fie zum Rosenkranz. Wenig Perlen rollten ab, dann ruhten die Hände unthätig im Scho e, die brennenden Augen starrten ins Leere.

Die Hige hielt an. Seit Menschengedenken hatte man Ende August nicht eine solche Glut erlebt. Wenn Lene einmal hinunterfam, hörte sie erzählen, daß das ganze Land zu einer Die Scholle zusammengebacken sei, fein Pflug greife an. Weiber flagten, ihre Männer seien aus den Wirtshäusern gar nicht mehr herauszubringen. Und Rauferei und verbeulte Köpfe gäbe es allüberall. Was würden das für Wahlen werden!

Lene hielt Tag und Nacht Fenster und Thüren offen, an ein Schlafen war nicht zu denken. Als läge fie auf einem glühenden Rost, kam es ihr vor. Und die Gerüche! Alles, was dieje alten Gebäude im Laufe der Jahrhunderte ein­Sungersnot und Best, wildem, fremdem Gesindel, das sengend gejogen, wurde frei, erweďte Vorstellungen von Krieg. und mordend durchs Land zog, und marterte den Leib, der aufstöhute vor trockener Hitze. Lene schlug sich die Brust und biß fich in die Arme, es wäre ihr wohler gewesen, wenn fie rinnendes Blut gesehen hätte.

Ab und zu ließ die Erregung etwas nach. Dann begann ie zu framen. Stäten und Schränke und Koffer riß sie auf Stüd wieder herauszusuchen und an seinen Platz zu legen. und warf alles auf einen Haufen, um dann jedes einzelne Ihr ganzes Leben zog dabei an ihrem Geiste vorüber. Waterbause; immer hatte sie es wie ihren Augapfel gehütet, Da, dieses hölzerne Büppchen stammte noch aus ihrem und nicht einmal die Kinder des Onkels in Mühlessen   hatten es anfassen dürfen. Die Docke Garn, deren Faden schon anfingen, brüchig zu werden, hatte sie im Streicher- Hof ge­sponnen. Auf welche Weise mochte der Lump von einem feine Leinwand hatte sie, als sie im Hofe am Bühl Großmagd abgehausten Bauer zu Grunde gegangen sein?... Den Stoß gewesen, für ihr eigenes Geld weben lassen. Ihr Hochzeits­hemd hatte sie davon geschnitten, und zu einem Sterbepfaid würde es auch noch reichen... Ein Stopfholz und ein Näh­fästchen aus Birbelfieferholz hatte ihr Gruber im ersten Jahre geschenkt, als sie noch nicht Frau war....

,, Gruber!"

2017