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Der Arzt( unruhig und leise zum fich, Herr Maire!"
Beamten):„ Beeilen Sie Der Maire( zu den Zeugen):" Wir schreiten zur Ehefchließung!( Er liest hastig die Formeln, die Gefeßesparagraphen vor und kommt zu den Namen.) Juliette Maria Colombet, find Sie geivillt, den hier anwesenden Paul Eduard Dorthier zum Ehegatten zu nehmen?"
Die Frau( mit thränenerstickter Stimune):" Ja, Herr Maire..." Der Maire:" Paul Eduard Dorthier, sind Sie gewillt, die hier anwesende Juliette Maria Colombet zum Eheweibe zu nehmen?" Schweigen. Ein schreckliches Schweigen, welches sich wie eine Centnerlast auf alle Herzen wälzt. Der Mann im Bette, immer lächelnd, mit farren. unbeweglichen Augen, bleibt stumm.
Der Stretär( leise):„ Aber Herr Maire, er ist ja tot!" Die Frau( will sich verzweifelt über den Kranken werfen): " Mein Gott !"
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Die Töchter:" Water! Vater!"
Der Maire( hält sie mit einer kurzen, gebieterischen Handbetvegung zurück. In leicht verändertem, aber entschlossenen Ton): Ich bitte Sie!...( Nach einem Augenblick der Ueberlegung wendet er sich an die Zeugen und sagt, ein wenig blaß von dem, was er zu thun im Begriff steht, aber stark im Bewußtsein seiner moralisch richtigen Handlungsweise):" Obgleich das" Ja" nur schwach gewesen ist, haben Sie es doch alle gehört, nicht wahr, meine Herren?. Der Arzt( ebenfalls etwas bleich):" Aber... gewiß!. Ein Zeuge( nach kurzer Ueberlegung):" Ja, Herr Maire..."
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schwächerer Stimme) auf der Stelle..."( Er sinkt lächelnd und| altdeutschen Sprachdenkmälern mit aufgeführt wird: Unter dem schwer atmend in die Kissen zurück.) gotischen Heil"-Ruf, dem unaufhörlichen: Laßt uns schöpfen und essen und trinken" verstummt die edlere Dichtung." Wenig später beschreibt Venantius Fortunatus , Bischof von Poitiers , eine fränkische Trinkgesellschaft also: Sänger sangen Lieder und spielten die Harfe dazu. Umher faßen die Zuhörer bei ahornen Bechern und tranten wie Rasende Gesundheiten um die Wette. Wer nicht mitmachte, ward für einen Thoren gehalten. Man mußte sich glücklich preisen, nach dem Trinken noch zu leben." Anderswo wird von den Franken berichtet, daß sie ihre Zeit mit unmäßigem Trinken ausfüllten, daß auch die Frauen start tränken, und daß die Lebensordnung der Männer sich nach den Tränken des Tages, vom Morgenbis zum Schlaf- oder Nachttrunk regelte. Die Bekehrung der Deutschen zum Christentum hat an diesen Zuständen nichts Erhebliches geändert. Im Gegenteil sehen wir aus einem Kapitular Karls des Großen von 810, daß gleich den Laien auch die Mönche, Weltgeistlichen und Priester dem Bacchus und Gambrinus unmäßig huldigten. Wie der König gewisse Brüderschaften verbot, die das kommentmäßige Saufen zum Lebenszweck hatten, so suchte er auch dem Klerus solidere Gewohnheiten aufzunötigen: aber ohne besonderen Erfolg. Was man im Mittelalter unter Maßhalten im Trinken verstand, ersieht man z. B. daraus, daß im 10. Jahrhundert jeder Mönch des berühmten Klosters St. Gallen täglich als sein ihm rechtmäßig zustehendes Deputat 5 Maß Bier zugeteilt bekam. Wie es am Ende des Mittelalters speciell hier in Berlin um die Mäßigkeit bestellt war, zeigt ergöglich ein Brief des gelehrten süddeutschen Humaniſten Johann von Tritheim , dessen Name vielen aus Aleris" Hosen des Herrn von Bredow" bekannt sein wird. Er schreibt 1505 aus Berlin über die Berliner :„ Die Ausschweifung im Trinken wird von ihnen nicht für ein Lafter gehalten. Doch giebt es auch viele, die sich dieses Lasters enthalten, und die Einwanderer aus Franken und Schwaben sind, wie ich oft bemerkt habe, mehr dem Trunk ergeben, als die Einheimischen." Ein andermal schreibt er Brandenburg im allgemeinen: „ Die wenigen Bauern, die es hat, sind sehr faul und ziehen den Trunk und Müssiggang der Arbeit vor. Man fann von den Märkern sagen, daß sie durch die vielen Festtage und durch ihre Faulheit zur Armut gebracht werden und durch das viele Fasten und den Trunk ihren Tod beschleunigen, indem sie hierin die übrigen Deutschen übertreffen. Das Leben in der Mark besteht in nichts als Essen und Trinken." Das haben die Junker nachher den Märkern gründlich abgewöhnt, und so hat bekanntlich auch im übrigen Deutschland der Adel das Saufen nach Kräften zu einem vornehmen Reservat ge= macht. Seine Methode, das Volk zur Mäßigkeit zu erziehen, wird freilich auch der eifrigste Anti- Alkoholiker kaum billigen. Die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts aber war in der That, soweit die deutsche Zunge klingt, die Blüte- Epoche des Alkoholismus . Das bleibt unbestreitbare Thatsache, mag man auch vieles von den bezüglichen Aeußerungen zeitgenössischer Schriftsteller als sittenrichterliche Uebertreibung in Abzug bringen. Luther war bekanntlich fein Weinverächter; aber er schreibt doch in seiner Auslegung des 101. Psalms:" Es muß ein jeglich Land seinen eignen Teufel haben unser deutscher Teufel wird ein guter Weinschlauch sein und muß „ Sauf" heißen. Und„ Wider Hans Worst" läßt er sich vernehmen: „ Es ist leider ganz Deutschland mit Saufen geplagt. Wir predigen und schreiben darüber, es hilft aber leider nicht viel. Es ist ein alt,
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Die drei andern Zeugen neigen bejahend die Köpfe. Der Sekretär( leise):" Indessen, Herr Maire.. Der Maire( ohne auf ihn zu hören, feierlich):„ Im Namen des Gesetzes, die Ehe ist geschlossen!..
Die Frau( wirft sich über ihren Gatten): Paul... Antworte mir!"
Die Töchter: Bater!... Bater!..."
" Paul!...
Der Maire( sich die Stirne trocknend, zu den Zengen): „ Wenn Sie jetzt die Güte haben wollen, zu unterschreiben, meine Herren!" Der Sekretär( nimmt den Maire beiseite; in ironischem, mißbilligendem Tone):" Ich enthalte mich einer Beurteilung Ihrer Handlungsweise, Herr Maire; aber ich fürchte. Sie haben da eine Ungesetzlichkeit begangen. Denn ich muß Ihnen nur sagen: ich für meine Person habe das vom Gesez verlangte" Ja" nicht gehört." Der Maire( ihn fest anblickend):" Sie haben es nicht ge
hört? Das wundert mich... Wo waren Sie denn?"
gute Ohren!"
Der Sekretär( erstaunt):" Wo ich war? Nun... hier im Zimmer, neben Ihnen... Und ich versichere Ihnen, ich habe sehr Der Maire( mit einem letzten Blick in das vom Tode veränderte Gesicht, streng):" Gute Ohren, mein Herr? Mit den Ohren gab's hier nichts zu hören... Mit Ihrem Herzen hätten Sie das " Ja" hören müssen!...
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( Nachdruck verboten.)
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über
Aus den Annalen des Alkobolismus bös perfommen in deutschen Landen, wie der Römer Cornelius
der
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In München wurde dieser Tage gegenüber den allzu schwarzBesonders das fommentmäßige Trinken wirkte verderblich, das seherischen Meinungen übereifriger Anhänger der Mäßigkeitsbewegung von geschichtstumdiger Seite darauf hingewiesen, es sei damals nicht auf Studenten und ihre Nachäffer beschränkt, sondern historisch noch gar nicht erwiesen, daß der Alkoholismus in unsrer in allen Schichten der Nation verbreitet war. Man erfährt dies Zeit zugenommen hätte. Für die Richtigkeit dieser Bemerkung läßt schon aus dem Titel eines Schriftchens, das 1523 in Bamberg ersich, soweit das deutsche Volk in Betracht kommt, aus allen Zeit- fchien:„ Vom Zutrinken. Neue Laster und Mißbräuche, die erfolgen räumen seiner Geschichte eine Unmasse auch kulturhistorisch sehr aus dem schändlichen Zutrinten, damit jetzt ganz teutsch Nation Näheres darüber bringt Matthaeus interessanter Thatsachen anführen, die bei den Deutschen ver- befleckt und veracht ift". „ Wider den Sauffteufel"( 1522): 3 gangener Epochen eine äußerst stark entwickelte Vorliebe für Friedrichs Büchlein solche Laster jetzt nicht allein die Mannsperfonen, Gerstensaft und Traubenblut annehmen lassen. Mit dem Hinweis ben sondern auch die Weiber, nicht allein die Alten, sondern auch die auf das ehrwürdige Alter der Neigung zu alkoholischen Ausschweisungen soll selbstverständlich keine Lanze zu Gunsten jungen Kinder, die können allbereits einander ein halbes zutrinken. Die Eltern lehren's wohl auch ihre Kinder.„ Nu laß sehen," spricht Ummäßigkeit gebrochen, sondern nur gegenüber übertriebenen Befürchtungen darauf aufmerksam gemacht werden, daß, der Water zum Söhnlein, was Du kannst, bringe ihm ein halbes Und über das alles hat man solches Lasters wenn all die Unglücksprophezeiungen der Alkoholgegner richtig oder Ganzes." wären, eigentlich das ganze deutsche Volk längst durch und durch der Trunkenheit kein Hehl, sondern man kizelt sich damit, als hätte verseucht und entartet sein müßte. Denn schon die alten Germanen einer zum andern:„ Lieber, ich wollte, daß Du nächten bei uns man gar wohl gehandelt. Ja, rühmen es auch herrlich und sagt leisteten im Trinken ganz Respektables. Das bekannte Verschen über sie, wonach sie zu beiden Ufern des Rheins auf Bärenhäuten gewesen wärst; wir waren recht fröhlich, da ließen wir das Rädlein Ich soff sie lagen und immer noch eins tranken, geht in seinem Stern auf ein herumgehen, es durfte keiner nüchtern davonkommen. Der fiel auf die Bank, jener gänzlich paar Stellen in der„ Germania " des Römers Tacitus zurück, die endlich alle darnieder. um so zuverlässiger sind, als der Geschichtschreiber des Cäsarismus hinunter. Da solltest Du Wunder gesehen haben!" im übrigen seinen entarteten Landsleuten die fittenreinen, wald- flizziert Sebastian Brant im„ Narrenschiff"( gegen 1500) ein Saufursprünglichen Barbaren gern als Tugendspiegel vorhält. In gelage: diesem Punkte vermag er es nicht; denn bei den Germanen ,, ist es für niemanden schimpflich, Tag und Nacht Und sie zechen sogar, wenn sie ausgesetzt zu trinken". über politische Dinge beratschlagen. Da kommt es dann häufig zu Streitigkeiten und Schlägereien, zu Mord und Totschlag. Die näm lichen schönen Trinksitten finden sich ein paar Jahrhunderte später, in der Völkerwanderingszeit. So giebt es von einem lateinischen Dichter der Zeit im 6. Jahrhundert, als Italien in den Händen der Dftgoten war, einen poetischen Stoßfeufzer Ueber die barbarischen Gelage", der wegen der eingesprengten gotischen Worte unter den
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Viele würden sehr bald weise sein, Wenn Weisheit steckte in dem Wein, Die in sich gießen spat und fruh. Je einer trinkt dem andern zu: " Ich bring' dir eins! Ich fizzle dich!-*) Das kommt dir zu!" Der spricht: Wart', ich Will wehr'n mich, bis wir beid' sind voll!" Damit ist Narren jetzo wohl!"
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*) Fordre zum Trinken heraus.
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