Unterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 194.

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Die Stadt.

on of 1902

Sonntag, den 5. Oktober. out 6 6 bit sound of bit

ind und

der Sense waren noch zu sehen, Wagenspuren, der feine Duft ( Nachdruck verboten.) der Grummet- Kräuter schwebte über der Lichtung.

Roman von Nicolaus Krauß.

( Schluß.).

Wie in Konradsreuth   kam es Lene vor. Wenn sie an einem der Tage, da der Herbst naht, in den Wald gegangen. Still und ruhig standen die Bäume. Die Hiße des Sommers wie ausgekehrt. Die roten Zapfen der Fichten begannen sich zu bräunen. Kleine, gelbe Harzkugeln zeigten sich an den

Der Hausbefizer verdrehte die Augen und röchelte. Die Stämmen. Außer einem Wispern, von dem man nicht sagen Kinder schrieen. An der Thür zeigten sich Frauen.

Lene riß den Sinnlosen zurück.

Denkt an die Kinder!... Nicht schlagen!... Sinaus

mit ibm!"

Von einem Stoß getroffen flog der Hauseigentümer bis zur Thür. Hut und Stock ließ er zurück. Ehe er entwich, schüttelte er die Faust und keuchte:

Wird schon heimzahlt werden!... Steh' gut dafür!" Sein Rückzug verzögerte sich.

Draußen vor der Hausthür hatte sich eine Schar Frauen eingefunden, junge, starke Weiber, die gewohnt waren, eine ccntnerschere Hucke Reisig aus dem Walde nach Hause zu tragen.

Plak!" schrie er. Laßt mich durch!"

Der Kreis schloß sich um so fester. Schon kamen die Liebenswürdigkeiten.

fonnte, woher es fam, fein Laut. Der Wald schien zu lauschen. Auf Stimmen in weiter Ferne, die man nicht hörte, mir leise ahnte. Und der eigene Atem flang zusammen mit dem Rhythmus des Waldes.

Manche solche Tage hatte Lene erlebt, seit einem Jahre feinen mehr. Jetzt war sie wieder da, diese beseligende Ruhe, die stark macht. Alle Erregung und Unraft der letzten Zeit war von ihr gewichen. Sie ahnte, was es gewesen, und wie nahe sie daran war, zu fallen. Aufatmend lächelte sie, wie ein Sieger, dem die That gelungen.

Durch einen Zufall?... Nein, nicht allein. Was sie Gruber gelehrt, brachte den schnellen Umschlag. Gischtendes Wasser und eine Felswand.

Gruber!

Rein und hell stand sein Bild wieder vor ihr, wie von ciner Glorie umflossen. Nichts mehr würde es ihr trüben, fie

Guten Tag, Herr Fleißner!... Pfänden wollen fühlte, sie wußte es.

Tassen?"

Das Bettuch, wo die Tote drauf liegt?"

Er zog den Kopf ein.

Ich hau'!"

Von allen Seiten flogen ihm die Fäuste entgegen. Lump!"

,, Gauner, verdammter!"

Schuft!"

Die Knochen hätte er Dir brechen sollen!"

Mir hat er ein neues Kleid versprochen, der Sanhund!" " Der ist ja zu schlecht, daß ihn die Sonn' anscheint!" Im Nachbarhaus, einem neuen, einstöckigen Ziegelbau, öffnete sich ein Fenster; eine dicke Frau lehnte sich heraus und schrie:

,, Laßt ihn nicht aus!... Einen Denkzettel!... Einen Denkzettel!"

Seine Frau!"

Es wurde still.

Wie schlecht mußte der Kerl sein, wenn ihn seine eigene Frau nicht mochte!

Die Arme!"

An der Grubenseite zeigte sich eine Lücke.

Der Hausherr ersah seinen Vorteil und sprang. Er hoffte an der Böschung Fuß fassen zu können, glitt aber aus und fiel in den Graben, in dem die Abfallwässer der oberen Gärtnereien flossen.

Ein Jubelgeschrei schlug auf.

Und die Weiber standen immer noch, schwatzten und lachten, nachdem der völlig Durchmä te sich schon längst in sein Haus gerettet hatte.

Lene Gruber war die Nürnberger Straße hinauf, nach Siechenhaus zu, gegangen. Bei den Schießständen bog sie nach dem Walde ab. Die Bäume standen weit von einander. Anfangs glaubte sie, der Aushieb sei geschehen, um für die Schützen und Soldaten, die sich hier in ihrer Kunst übten, mehr Licht zu bekommen. Aber bald merkte sie, daß alle Föhren­bestände so licht waren. Da erinnerte sie sich, was Gruber ihr über den Plänterhieb erzählt hatte. Das mochte es wohl fein. Bauholz war teuer und stets gesucht in der Stadt, der Wald nur einen Kazensprung ab; da konnte sich jeder Bimmermeister Stamm für Stamm auswählen, was er brauchte. Die Fichten standen so dicht wie in Konradsreuth  . Der Jägersteig zog sich den Hang hinauf. An ver sumpften Wassertümpeln fam Lene vorbei, die nach wilder Krauseminze und Stresse rochen. Irgendwo glucste eine Quelle. Die leise Stimme eines Rotfehlchen ließ sich hören: Ein überreifer Herrenpilz, voll von Würmchen, mußte im nächsten Dickicht stehen.

Der Pfad führte an einer Waldwiese vorbei. Die Striche

Lene war auf eine freie Stelle hinausgekommen. Drüben der rote Felsen der Rollenburg. Im Frühjahr, erzählten die Studenten, sei der Plaz ganz mit Maiglöckchen überstanden. Da und dort die aufblißende Eger, zwei, drei Häuser eines Dorfes, einige Feldbreiten, sonst Wald und wieder Wald bis hinauf ins Gebirge.

Sie wandte sich und stieg höher. Sanct Anna mit seiner Kirche und dem großen Pfarrhofe lag vor ihr. Im Wirts hause ließ sie sich eine Wurst, Brot und Bier geben und aẞ und trank mit Appetit. In den hohen Linden, unter denen sie saß, schwagte ein Schwarm Staare; sie berieten über die Abreise.

Bauern von Pilmersreuth kamen herauf zum Abend­trunk. Lene zahlte und ging. Sie wollte allein sein.

Ueber den Berg hinab ließ sie ihren Füßen freien Lauf. Ueber einen Graben setzte sie, mit beiden Füßen zugleich ab­springend, und freute sich, als der Sprung gelungen. Dann blickte sie sich um. Wenn sie jemand gesehen hätte?

Ach was!

Auf halber Höhe kam sie aus einem Föhren- Stangenholz heraus. Ein Banksiz war da ins Erdreich geschnitten und mit Rasen verkleidet. Sie ließ sich nieder.

Die Sonne war am Untersinken, aber die Stadt, das ganze Land lag vor ihr, übergossen von den hellen, klaren Strahlen.

Fern zur Linken der blaue Kamm des Erzgebirges. Dann ein Berg, der sich wie ein Damm zum Kaiserwald hin­überschob, mit einem Flecken und einer zweitürmigen Kirche auf dem halbkahlen Rücken: Maria Kulm  . Der Kaiserwald selbst, wie ein blauer, großer Klumpen. Als stünden sie auf Terrassen übereinander, erschienen die Häuser von Teschaut. Aus einer Waldlücke leuchtete freundlich Königswart. Trußig, ein Riese für sich, alles überragend und tief in die Erde greifend, wie ein alter Baum, der Tilln. Und im Kessel ein welliges Hügelland, übersät mit Dörfern und Weilern, dunklen Gehölzen und buschigen Baumpflanzungen, durchzogen von hellen Straßen, Eisenbahnen und dem silbernen Bande der Eger. Und Felder und Felder und Felder. Sturzäcker, hier rötlich schimmernd, dort tief schwarz. Fahle Stoppeln. Und Wiesen. Die Eger hinab, an den Bächen und Teichen.

Lenes Blick glitt wieder nach Maria Kulm   hinüber. Die Straße, die sich von Kazengrün den Berg hinaufzieht, war deutlich zu sehen. Wie oft war sie den Weg gegangen, um für die Mühlessener Kirche Hostien zu kaufen von dem alten Frater, dessen Kutte vorn ganz mit Schnupftabak bestreut war, daß man schon niesen mußte, wenn er nur in den Kreuz­gang einbog. Und einmal hatte ihm der Kaspar, des Onkels Aeltester, die Dose, in die ein Viertelpfund hineinging, ber­steckt; als sie wieder hinauffamen, schupfte der alte Mann aus einer Düte.

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