Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 199.
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Sonntag, den 12. Oktober.
Nachdruck verboten.
Der Unkenteich.
Roman von Gertrud Franke- Schiebelbein. Da sprang Richard der Riegel von der Brust. Fort war der letzte Nebelrest. Das Glück stand fieghaft da, wie die Sonne.
Er überschüttete sie mit Zärtlichkeiten. Mein Lieb! Mein Alles!" stammelte er zwischen seinen Küssen.„ Es kam mir nur so über den Kopf! Was kann ich Dir denn bieten? Dieses armselige Loch! diese Wirtschaft! Und hier draußen wie aus der Welt! Und, Gott, Lene, das schlimmste: diese Menschen!"
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Sie entzog sich ihm endlich, da er nicht nachließ mit bedauernden, tröstenden Liebesbeweisen. Ihr Haar war zerzauft, ihre Wangen rotgefüßt. Sie sah ihn mit lächelnder Frage an.
" Diese Menschen?"
1902
wandten auf Besuch gewesen. Vergiß das keinen Augenblick. Verschnapp Dich nicht! Es könnte unsre ganze Existenz foften
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Jezt kam die Angst, die sie schon ein wenig überivunden hatte, wieder über sie und umschnürte ihre Brust, daß sie wie erstickend nach Luft rang.
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Er sah es. Und er wußte, was er ihr aufgepackt hatte. Ihre durchsichtig flare Natur und nun eine ganze Sette von Bertuschungen und Verhehlungen! Sie that ihm so unsäglich leid, daß er zu ihr stürzte und sie feurig in seine Arme schloß. Sie war sein Opfer. Er hatte sich vermessen, die Verantwortung für ihre gemeinsame Schuld auf sich zu nehmen. Er mußte ihr durc helfen.
„ Rene!" rief er, sich emporrichtend und sie mit sich in die Höhe ziehend, Lone, es hilft nichts! Durch müssen wir nun mal! Nun ta' au Du Courage! Komm, sei mein starkes Beib!( aub ' an mich, an unfern Stern! Es glückt uns schen!"
Ich begreif's nicht, daß Du so mit ihncu umzugehen ver- die Augen. siehst! Wir wär's nicht möglich!" Aber Richard!"
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" Und das Kind. Gott , ja, cin ganz liebes Ding! Aber füssen-!"
Sie schüttelte nachdenklich den Kopf. Ich hab' es lieb schabt im ersten Augenblik. Es hat so crocs uibes hreiblich Rührendes."
Ja, ja," murmelte cr mit tragik miser Geficht. Alles ganz rent. Aber das Ses nun unser nächster- ja unfer einziger Umgang" sein soll
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Lene mußte über ihn lachen.
Und dann zog sie ihn ari Ohrläppchen zu sih cran und flüsterte:„ Wir haben ja uns. Was brauchen wir Umgang?" Er wirbelte nachdenklich seinen Bart.
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Ja, ja, natürlich," sagte er vor sich hin.„ Du, auf Deiner Drosselburg. Die Bergluft, die hohen Bäume beiden alten Prachtmenschen alles hoch, groß, befreiens Sie nichte. Ein leiser Seufzer stieg ihr aus der Brust. Das Heimweh, das Jochen prophezeiht hatte, meldete sich.
Und selbst die niederen Leute: Jochen, die alte„ Achuste", die Stubenmagd mit ihren sechzig Jahren, alles Originale, berfilzt und verwachsen mit dem alten Eulennest, wie der Epheu mit dem Wartturm"
" Ja, murmelte sie,„ Menschen." Und die Thränen Stiegen ihr in die Augen. Es hatte einen herzbrechenden Abschied von dem alten Hausinventar gegeben.
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Aber wir hier unten, wir Gesellschaftsmenschen, können richt so patriarchalisch drunter und drüber leben. Besonders ein Mann! Na wahrhaftig, zu gut bin ich mir ja nicht, um mit dem Schuster und der Gemüsefrau zu fraternisieren. Aber
Er war ungeduldig aufgesprungen und ging mit großen Schritten durchs Zimmer. Er hatte ein paar hastige, energische Bewegungen an sich, die sich oft wiederholten. Wenn er das Taschentuch aus der Brusttasche zog und sich damit schnell über's Gesicht fuhr, oder wenn er den Rock auf der Brust zusammennahm, oder mit den Fingern durch sein dickes, widerspenstiges Haar strich, das war so ganz er selbst, daß man ihn daran erkennen konnte, von weitem, auch ohne sein Gesicht zu sehen.
Und so, von innerer Erregung getrieben, sprach er noch eine Weile über das Kapitel weiter, während sie still und nachdenklich in ihren Schoß blickte.
Vergiß auch nicht, Lene," begann er, vor ihr stehen bleibend, unsre Lage. Wir haben ein Geheimnis zu hüten. Die Steigenberg und wenn sie ein weißer Rabe wäre unter ihresgleichen- flatschen thut sie doch. Sich mit der Freund schaft der Frau Doktorn" großthun ohne Zweifel! Also: Distanz! Halte sie Dir vom Leibe! Und vergiß nie die fromme Lüge, die ich ihr aufgebunden habe: daß wir schon seit dem Herbst verheiratet wären
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Lene blickte empor, groß, traurig. Gott, Richard mußte denn das sein?"
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" Es mußte sein, Lene! Du bist also so lange bei Ver
Sie stand fest an ihn geschmiegt und blickte ihm tief m „ Es ist ja nicht loß die Existenzfrage, Lene!" rief er feurig. Ur Höhercs, Besseres, um mein Lebenswerk handelt sich's. Bollmenschen erziehen"
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Ach, Richard, gerade Dein Amt! Makellos sein Bcr ild fein wie ein Priester „ Sind wir etwa keine Menschen? Mit Sinnen und Leidenschaften ausgestattete Geschöpfe?" rief er, während ihm das Feuer über die Stirn lief.
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„ Ja, ja- aber aber sie schüttelte den Kopf.
Und ein Augenblic der Selbstvergessenheit sollte unser ganzes Llen vernichten können?"
Er flerante auf. Es war ihm, als hebe sein reiner, ehrlicher ille ihn cmpor. Aus seinen kleinen, scharfen, tief uner ter vorspringenden Stirn gebetteten Augen sprangen Futlet.
„ Zene!" rief er, ihre Hand pressend, daß es sie schmerzte, „ ras mains: Du: nicht mal bedauern kann ich's- das, was se chchen ist!"
Sie nichte. Das wußte sie schon.
Sticht weil ich mir ein Recht nahm, das mir zustand. ein, Lene. Weil ich ein andrer, ein besserer, ein vollkommenerer Mensch geworden bin seitdem. Was wußte ich denn vorher vom„ Menschlichen"? Jetzt liegt das Leben aufgeschlagen vor mir wie ein Buch. Wie ich meine Jungens jetzt verstehe, Lene! Die jungen, ringenden Kräfte, die Leidenschaften, Kämpfe, Nöte. Wer zur Freiheit erziehen will, muß sich selber frei gemacht haben."
,, Und bist Du's?"
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Noch nicht, Lene. Aber laß uns nur noch über diesen Berg. Ich schwör's in Deine Hand: den Glauben an mich und meine Aufgabe und vor allem an die Güte der Menschennatur will ich nicht verlieren, bis ich gefiegt habe- oder," jette er nach einer Weile mit gerunzelter Stirn hinzu,„ ehe ich nicht wund und waffenlos am Boden liege."
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Wie gut, daß es Frühling war! Sie empfanden es mit jedem Tage von neuem.
Es wurde immer lichter und wärmer. In dem Gartenland, das die Steigenberg mit ihren beiden Buben bestellte, wich die wüste Unordnung allmählich, und in sauberen, geradlinigen Beeten entfalteten sich die jungen Gemüsepflanzen. Die Obstbäume blühten, daß Lene aus ihrem Fenster wie auf ein Meer von weißem und rosigem Schaum hinabblickte. Und in dem mächtigen Lindenbaum, der das Dach des Kleinen Hauses überragte, war das Starenpärchen wieder eingekehrt und pfiff und jubilierte von früh bis spät, daß jedem das Herz in Frühlingswonne aufging.
Die Lene mit ihrer heiligen Hoffnung ging wie in einem wachen Traum durch all die Werdepracht. Das große Wunder, das sich an ihr vollzog, erfüllte sie mit Schauern der Ehrfurcht vor sich selber, mit tiefem, finnendem Ernst, mit ahnungsvollem Jubel vor der Zeit der Erfüllung.
Je näher die Zeit rückte, desto ruhiger wurde sie. Die Angst vor einer vorzeitigen Entdeckung, die sie im Anfang ihrer