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Nein! Sie fühlte, die Mutterliebe, der Mutterstolz waren ftärker als die Schamhaftigkeit des Weibes.

Ihre Augen öffneten sich groß und flammend in dem weißen Gesicht. Sie trat einen Schritt vor.

Es ist unser Kind, Herr von Bodenstein," sagte sie mit fester, wenn auch von Bewegung durchseelter Stimme.

Und der alte, vornehm denkende Mensch nahm den Kopf des jungen Weibes in seine hageren alten Hände, hob ihn zu sich empor und sah ihr in die Augen.

Meine Lene! Du ein Mütterchen? Gott segne mein Kind!"

Dich,

nicht

Er füßte sie ruhig auf die Stirn. Da konnte sie anders. Sie schlug die Arme um seinen Hals und weinte an seiner Brust.

,, Gut, gut," murmelte er, ihre Hände sacht lösend. Ei, ei, was ist denn das? Weinen? Die Ueberraschung, natür lich. Denkst: der Bodenstein sizt ganz gemütlich in seinem Eulennest. Und da steht er auf einmal, wie ein Gespenst, im hellen Sonnenlicht vor Dir."

Er schlug darauf kräftig in Richards Hand. Die beiden Männer blickten sich offen und freimütig ins Gesicht.

War brav, war brav, Volkmar, daß Sie uns die Lene so bald weggeholt haben. Damals war mirs freilich nicht recht. Wollte sie nicht so auf den Pluz hergeben. Aber Mutter hatte gleich eine Ahnung- Weiber! Mit ihren feinen Köpfen! Ich hatt's aber längst wieder verschwitzt. Ihr schriebt ja gar nichts, Jhr Schwerenöter! Nu aber wie gehts? Erzählt einmal!"

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Leicht plaudernd, immer in seiner sprühenden Lebendigkeit, half er ihnen über die Peinlichkeit des Augenblicks weg. Als wär's ganz selbstverständlich, daß der kleine Weltbürger sich so früh eingestellt hatte, als wäre sein Dasein eitel Glück, Ehre, Freude für die Eltern so begegnete er ihnen.

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Ja, wenn er die Lene Mütterchen" nannte, das war mit solcher altmodisch zarten Galanterie, so echt edelmännisch ehr­erbietig, daß ihr das Herz schwoll.ge

Auch Richard war wie emporgehoben. Brav! hatte der alte Mann gesagt. Der erste Mensch, der von ihrem Vergehen erfuhr, vor dem sie sich dessen hätten schämten müssen. Und er demütigte sie nicht. Er hob sie empor. Er nahm es, aus tiefem, menschlichem Verstehen, einfach menschlich!

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der einzelnen Orte; fie bildeten häufig den Mittelpunkt der lokalen Bewegung, waren oft ihre eigentliche Seele.

Die Bedeutung ihres Blattes für ihre Bewegung wurde aber auch von den deutschen Arbeitern erkannt und sie handelten von den Arbeitern irgend eines Landes hochgehalten worden, faunt danach. Kaum je ist wohl ein Blatt mit solcher Anhänglichkeit je ist in der Arbeiterbewegung irgend eines modernen Landes eine Zeitung mit solchen Opfern aufrecht erhalten und verbreitet worden, wie der Züricher Socialdemokrat". Die paar Leute, die in der Schweiz bei der Herausgabe des Blattes thätig waren, hätten dem revolutionären Organ feinerlei Bedeutung geben können, wenn nicht Tausende von Arbeitern im Reiche ihre Freiheit aufs Spiel gesetzt hätten, um dieses Organ allwöchentlich in Taufenden von Erem= plaren zu verbreiten. Diese unbekannten und ungenannten Arbeiter waren es, die dem offiziellen Organ der Socialdemokratie Deutsch­ lands während des Socialistengefeßes seine Bedeutung gaben. Ihnen ist nicht nur die Thatsache zu danken, daß der Social­ demokrat " die größte Verbreitung von allen bisherigen revolu= tionären und verborenen Blättern erhielt, sondern besonders auch fein ungeheurer Einfluß auf seine Leser und damit auf die Be­wegung, ein Einfluß, der mehr als einmal die Beschlüsse der socia listischen Reichstagsfraktion jener Zeit über den Haufen ge­morfen hat.

Im ersten Jahre nach Erlaß des Socialistengefeßes waren die Geldmittel der Partei naturgemäß sehr geringe. Die Organisation war zerstört und die bisherigen Einnahmequellen verschüttet. Daza fam als Hauptsache, daß die Unterstützung der Ausgewiesenen und ihrer Familien alle aufgebrachten Gelder verschluckte. Als es sich dann zeigte, daß ein Breßorgan im Auslande eine absolute Not­wendigkeit für die Bewegung sei, und als August Geib in Hamburg zuerst die Gründung eines solchen Blattes anregte, da tönnen.

fehlten der Partei die Mittel, dieses Blatt ins Leben rufen zu

Da war es der Sohn eines reichen Bankiers in Frankfurt a. M., Searl Höchberg, der die Mittel hergab, die nicht nur aus­reichten, ein revolutionäres Organ für die de... sche Socialdemokratie in der Schweiz zu gründen, sondern der auch dafür sorgte, daß es einige Beit aufrecht erhalten werden konnte. Höchbergs Entgegen­fommen war um so mehr anzuerkennen, als er mit der revolu tionären Haltung, die das neue Blatt voraussichtlich einzunehmen hatte, durchaus nicht einverstanden war, sondern daß er, obgleich Socialist, sich mehr einer friedlichen Socialreform zuneigte.

Am 28. September 1879 erschien dann die Probenummer des Socialdemokrat " in Zürich unter der Redaktion von Georg Vollmar , der seinen Posten bis zum Jahre 1881 behielt, um ihn dann an Eduard Bernstein abzugeben, der das Blait bis zum Schluß seines Erscheinens im Jahre 1890 redigierte. Sie dankten es ihm. Er sah wohl, wie sie sich bemühten, Regelmäßiger Mitarbeiter des Blattes für Deutschland war ihm den furzen Aufenthalt angenehni zu machen. Mit dem Wilhelm Liebknecht . Nachtzuge wollte er wieder fort.

Sie blieben im Garten, bis das Kind sich meldete und Lene es versorgen mußte.

Bodenstein, der's nicht lange auf einem Fleck aushielt, wollte sich die Gegend ein bißchen ansehen, so lange Lene mit dem einfachen Abendbrot fertig war. od b

Richard begleitete ihn. Aber von der Stadt wollte Bodenstein nichts wissen.

Das Lausenest? Was sch ich daran? Ist ja eins wies andre. Eins vielleicht ein bißchen enger, stickiger, dreckiger wies andre. In dem einen ist die Verrücktheit zu Hause, in andern jene. Unleidlich, unausstehlich alle miteinander. Nein! raus ins Freie! Hier unten bei Euch krieg ich ja so wie so gar feine Luft."

tha Volkmar führte ihn den Weg durch die Felder, seinen gewöhnlichen Spaziergang. Die Ernte hatte begonnen. Das Storn lag gemäht oder stand in Garben gebunden, zu langen, regelmäßigen Reihen geordnet.nied pus

Sun( Fortsetzung folgt.),

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Die Arbeiterschaft Deutschlands begrüßte ihr neues Kampf­organ mit ungeteilter Freude. Aber noch waren die nötigen Vers bindungen für Verbreitung desselben erst zu schaffen und die Ver­wirrung des ersten Jahres unter dem Ausnahmegesetz war noch durchaus nicht überwunden. Das erschwerte den Absatz des Social­ demokrat " natürlich gewaltig und so ist es verständlich, daß die Auflage des Blattes 2000 nicht überschritt. Tas besserte sich aber bald und mit der steigenden Neukräftigung der Bewegung im Reiche stieg auch die Verbreitung des Centralorgans derselben.

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Seinen höchsten Stand erreichte der Socialdemokrat" im Jahre 1987 nach den Reichstagswahlen. Die Auflage stieg damals Fremplaren des Blattes. gingen 8000 über die deutsche Grenze ins bis zu Anfang des Jahres 1888 auf 12 000. Von diesen 12 000 Reich hinein, während der Nest im Auslande abgesetzt wurde. mag hier auch erwähnt werden, daß zum Erfolg des Social­demokrat" ein gut Teil beigetragen wurde durch die thatkräftige Hilfe, die die deutschen Arbeiter im Auslande, besonders in der Schweiz , in Paris und in Amerifa, ihm angedeihen ließen. auch nicht viel. Das war eine Folge der größeren Freiheit, die

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1888 begann die Auflage des Blattes etwas zu finfen, wenn

die deutsche Regierung um diese Zeit den Arbeiterblättern im Reiche ließ, die zu einem Teil das Bestehen des Blattes in Auslande überflüssig machte.

Es ist viel gefabelt worden über den Versand des Social­ demokrat " ins Reich hinein. Da hat man erzählt von Gipsbüsten,

Vom Züricher ,, Socialdemokrat " bie, mit dieser Zeitung angefüllt, nach Deutschland importiert

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und der Art und Weise, wie das Blatt vertrieben wurde, erzählt Genosse H. Slüter im New Yorker Pionier- Kalender" auf das Jahr 1903: Das Blatt hat während der eff Jahre seines Bestehens einen großen Einfluß auf die focialistische Bewegung Deutschlands ausgeübt." Der Socialdemokrat" war es, der nach dem ersten Jahre der Verwirrung, das dem Erlaß des Socialistengesezes folgte, den deutschen Arbeitern wieder einen einheitlichen Zusammen hang gab. Hier konnten sie sich aussprechen; hier Parteifragen diskutieren. Die Bewegung hatte wieder etwas Gemeinsames, das alle verband. Die Berbreitung des Blattes gab den Genoffen in allen Orten eine gewisse regelmäßige Thätigkeit und einen regel­mäßigen Zusammenhang. Der oder die Genossen, denen die Ver breitung des natürlich verbotenen Blattes direkt oder indirekt oblag, bermittelten naturgemäß die Verbindung innerhalb der Bewegung

wurden; von Napffuchen, die man, mit verbotenen Schriften gefüllt, über die Grenze brachte; ja, fogar von Schweizerkäse, der in seinem Innern eine Wagenladung des verbotenen Blattes barg. Alle diese Geschichten find ins Reich der Märchen zu verweisen. Ueberhaupt machte es keine besondere Beschwerde, die verbotenen Drucksachen und es war nicht bloß der Socialdemokrat", der zu befördern war, es waren auch ganze Ladungen verbotener Bücher und Broschüren, die ihren Weg ins Reich nahmen über die Grenze 3'1 bringen. Die Schwierigkeit und die Gefahr begann erst, wenn die Ladung drüben" war und wenn es hieß, sie nun derart über das Reich zu verteilen, daß weder die Sendung der Polizei in die Hände fiel, noch daß der Empfänger oder der Absender bei ihrer unter­grabenden Thätigkeit abgefaßt wurde.

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Der Wege, auf dem der Socialdemokrat " und die übrigen verbotenen Schriften ins Reich hineingebracht wurden, waren nicht einer, es waren viele, vicle. Die Genossen der Grenzstädte, die den