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gläubig, anklagend, traurig wie ein Mensch, dem alle seine Illusionen zerstört find.
Er blieb stumm vor Erstaunen. Sie, die Tugendstolze? Für die alles, was ins erotische Gebiet gehörte, ein Rühr mich nicht an" war? Die sich lieber die Zunge abgebissen hätte, als daß sie„ unmoralische" Dinge auch nur mit einem Worte gestreift?
Sie schien einen Augenblick auf seine Antwort zu warten. Als aber keine kam, er wußte wirklich nicht, was er ihr hätte jagen sollen legte sie die Hand auf die Klinke.
Mein Gott," murmelte fie, ich faß es nicht! Wie können Sie nur leben mit dem Bewußtsein dieser Sünde?" Er mußte lächeln. Die Situation war doch gar zu verrüdt. Eine junge Dame als Bußpredigerin, um sein Seelenheil- besorgt!
Da hob sie den Kopf und sah es. Ihr Gesicht bedeckte sich mit dunkler Glut. Ihre Faltblauen Augen flammten, und auf dem Grunde diefer Augen stand etwas, das ihn erschreckte, ganz wirr und kraftlos machte. Eine so wilde, heiße, schmerz lich begehrende Leidenschaft eine Leidenschaft, die den Mann in ihm suchte die vielleicht gerade erst hervor gebrochen war und Nahrung gefunden hatte an der Vorstellung seiner Sünde.
Einen Moment mur. Dann war Sie wieder die spröde, fühle, forrekte Sittenrichterin.
" Sie können lachen?" rief sie vorwurfsvoll.„ Bereuen Sie's denn nicht wenigstens?"
Berenen?" wiederholte er langsam.
lein, ich bin genug gestraft."
Gnädiges Fräu
„ Herr
Sie atmete tief, stand eine Weile nachdenklich. Doktor, eine Frage. Sind Sie kirchlich getraut?" Nein," sagte er mit einem Anflug von Sarkasmus. " Und das Kind ist nicht getauft?"
Er schüttelte den Kopf.
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( Nachdruck verboten.)
Das fleine, bedeutungslose Landstädtchen war seit einigen Tagen durch ein Lokalereignis in Aufregung versezt worden. Es hatte sich in dem Orte ein Buch- und Papierhändler niedergelassen. Nicht Deswegen war das Ereignis so aufregend, weil die Bewohnerschaft mit der Litteratur fich auf Kriegsfuß befunden hätte, sondern um der Begleitumstände willen, die mit der Sache verbunden waren. Die litterarischen Neigungen der ehrbaren Bevölkerung waren nämlich bisher durch den Amts- und Kreisblatt- Verleger, der mit seiner Zeitung einen Buch- und Papierhandel sowie eine Leihbibliothek verbunden hatte, ausreichend befriedigt worden. Der hatte sich bereits über die Konkurrenz bei der löblichen Behörde beschwert, aber es war nichts gegen den Eindringling zu machen. Alles was man thun konnte, war, daß der Schullehrer den Kindern drohen mußte, jedes Schulbuch, jeden Bleistift, Feder oder Griffel zurd zuweisen, die nicht in der Streisblatt- Buchhandlung getauft feien, weil nur dies die allein richtigen Unterrichtsgegenstände wären. Was den neuen Litteraturverbreiter aber besonders gefährlich machte, war die Thatsache, daß in seinem Schautasten socialistische Broschüren aller Art auslagen. Einen solchen Menschen hatte man also im Ort! Wer konnte wissen, ob nicht eines Tages ein Bomben attentat, eine gefährliche Aufreizung der friedlichen Bevölkerung, destruktive Tendenzen... kurz, der Bürgermeister hatte Anordnung gegeben, ein scharfes Auge auf den Eindringling zu haben.
Stand da der Stadtpolizist inmitten der Gasse und hatte Obacht auf den neuen Buch- und Papierladen, als plöglich der neue Händler unter der niedrigen Thür hervorgeschossen fam, schnurgerade auf die beim Bahngebäude liegende Post zu. Aber wie es in ffeinen Städten so Sitte, hatte die Post Mittagspause und wurde erst um zwei Ihr wieder geöffnet. Herr zwei Uhr wieder geöffnet. Der aufgeregte Mann rüttelte an der verschlossenen Thüre und der Stadtpolizist verfolgte dieses Thun mit mißbilligenden Blicken. Der Mann war ein Uinstürzler, denn ein ordnungsliebender Bürger rüttelte nicht also an einer verschlossenen deutschen Reichspoftanstaltsthüre, die doch sozusagen amtlich war. Der Buchhändler schnauzte eine Weile vor der Postanstalt herum, händard geneigt ſchten, ihm zu öffnen, ramite er in den Bahnhof in dem eben der Mittagszug einlief. Fünf Minuten darauf, fuhr er mit den Zuge ab.
Es wurde so still, daß er sie atmen, mit sich ringen hörte. Auf einmal trat fie dicht an ihn heran, streckte ihm die Hand hin und sog sich mit ihren heißen, flehenden Augen, in denen es flackerte von fanatischer Leidenschaft, förmlich fest an den seinen.
„ Sie müssen mir's versprechen," muurmelte fie. Die Scele dieses Kindes wenigstens soll unserm heiligen Glauben nicht verloren gehen.".
Er nichte. Die Frage war ihm unter allen seinen Sorgen noch gar nicht in den Sinn gekommen. Aber warum nicht? Die Unterlassung hätte ihm zum Vorwurf gemacht werden können. Er reichte ihr die Hand.
Gewiß, gnädiges Fräulein," sagte er fest. Es war längst der heimliche Wunsch meiner Frau"
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Sie zudte zurück, als hätte er fie geschlagen. Ein eisiger Zug, voll Haß und Verachtung, löschte alle Wärme aus ihren Geficht. Bitte davon nichts," murmelte sie hochmütig. Warum nicht?" fragte er heftig. Glauben Sie etwa, mein" Fräulein, daß meine Frau Ihrer Achtung nicht würdig ist?"
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Sie warf den Kopf zurück. Kalter Haß sprühte ihr aus den Augen.„ Nein!" brachte sie mühsam hervor, stimmlos vor zitternder Erregung und doch voll unerbittlicher Härte, einem Manne könnt ich vielleicht verzeihen, einer Frau nie."
Und nun ging's bergab. In überstürzter Hast, als sei ihm die lange Reihe schöner Tage leid, kam der Herbst und räumte in ein paar Sturmnächten mit allem Freundlichen, Warmen, Wohlthuenden in der Welt auf.
Dies alles hatte der Herr Stadtpolizist genau beobachtet und sich seine eignen Gedanken darüber gemacht. Da ging etwas vor! Mittlerweile ward es zwei Uhr. Die Post wurde geöffnet und nach einiger Zeit lam der Posthilfebote mit einem Batet über die Straße. Der Postbote war des Polizisten Schwager. Er hatte ihm eine abgelagerte Schwester els Frau aufgehängt und die verwandtschaftlichen Beziehungen erleichterten beiden oft den Dienst. Schon wieder stramm im Dienst, Schwager?" frug der Stadtpolizist. pp Muß ich nich'?" Tam's zurück.' n Paket für den neuen BuchAha, schon wieder Umsturzbücher."
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faden."
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Nu nee", machte der Postbote.„ Das sind keine Bücher. Da riech' mal." Er hielt dem Schwager das Paket unter die Nase. Der schnupperte. Hm. Das riecht ganz komisch. So'n scharfer Geruch. Bald wie von' ner Säure."
Nee, flüssig is'' s nich'. Benn man's schmeißt, so follert's." er schob das Pafet hin und her und wirklich, drinnen follerte es.
Der Polizist zerbrach sich den Kopf. Hm. Aus der Großstadt fommi's, Bücher find's nich,' s riecht scharf und wenn man's schmeißt, fo lollert's... tomisch, ganz fomisch."
Der Postbote ging in den Buchladen, um das Paket abzuliefern. Jm gleichen Augenblic sah der Polizist den Stadt- Wachtmeister um die Ecke biegen. Ei verflucht! Der hatte ihm am Morgen verschiedene Aufträge gegeben, von denen noch feiner ausgeführt war. Also mußte ein wichtiger Abhaltungsgrund entdedt werden. Er nahm Stellung und meldete dem Wachtmeister: Leider durch angeftrengten Beobachtungsdienst verhindert gewesen.... Der neue Buchhändler sei aufgeregt zur Post gestürzt, dann mit der Bahn weggefahren; in seiner Abwesenheit sei ein Palet angekommen usw.
Der Pfad zwischen den Hecken wurde univegjam, und das hohe, dichte Gras wucherte so giftig- grün weiter in der Der Stadt- Wachtmeister runzelte die Stirn, besah sich den Laden Nässe, als stände es auf Sumpfboden. Statt der Sommer erst von links, dann von rechts, machte unschlüssig ein paar Schritte blumen hatten sich stroßzende, buntfarbige Bilze dazwischen an auf die Hausthüre zu, wandte sich aber dann ab und ging im gesiedelt, deren schwammiges Gewebe so schnell verfiel, wie Sturmschritt auf die Bürgermeisterei. Dort meldete er dem Polizeisekretär: Der neue Buchhändler ist in höchlichst aufgeregter Veres emporgeschossen war. Und statt des glänzenden Blätter- fassung an der verschlossenen Bostthüre rüttelnd gesehen worden, ist gestrüpps, das eine undurchdringliche Schutzwehr gegen neu- dann auf die Bahn gestürzt und mit dem Mittagszuge davongefahren. gierige Blide gebildet hatte, ließen die nackten Weißdorn- Derweilen ist ein Batet angekommen, welches nach Säure riecht. zweige jest ungehindert alle Armseligkeit und alles die Ver- teine Bücher enthält und bei Bewegung kollert. Die Sache ist durch borgenheit Suchende ans Licht treten. die Begleitumstände verdächtig.
Aber damit hatte es für Richard Volkmar und seine Familie nun feine Gefahr mehr. Das Geheimnis, das sie hatten hüten wollen, war hinausgefickert, tropfenweis, unmertlich und doch so manfhaltsam, wie ein See sich durch den Spalt des geborstenen Dammes den Weg bahnt. Sie fragten nunmehr auch nicht mehr danach, wer es wisse oder nicht, wie viele es wußten. Sie nahmens und trugens, so gut jich's tragen ließ.
an oil sport( Fortsetzung folgt.)
Der Polizeisekretär rannte sofort zum Bürgermeister und erstattete eine Meldung des Juhalts: Der im scharfen Verdachte umstürzlerischer Bestrebungen stehende neue Buchhändler ist heute mittag 1hr 25 Minuten polizeilich beobachtet worden, wie er in höchster Aufregung versucht hat, durch Rütteln die Postanstaltsthür zu erbrechen. Er hat sich, als ihm dies mißlungen, eiligen aufes zur Bahn begeben, hat sich im Zuge eines Blazes bemächtigt und sich nach der nahe gelegenen Großstadt entfernt. In di Hos uſeiner Abwesenheit ist eine umfängliche verdächtige Sendung ein getroffen, welche einen scharfen Säuregeruch ausströmt
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