Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 217.
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Donnerstag, den 6. November.
Nachdruck verboten.
Der Ankenteich.
Roman von Gertrud Frante- Schiebelbein. Draußen standen die drei Unglücksgenossen.
sah die Todesangst aus den fahlen Gesichtern.
Auch ihnen
Und es packte ihn an.
1902
Wie in ein eisiges, unergründliches Meer warf es ihn Der Atem verging ihm. Er biß die Zähne zusammen, trampfte die Muskeln, stemmte, bäumte sich. Wie einen Spielball schleuderte es ihn hin und her zwischen grausigen Bogen, bergehoch, abgrundtief. Bis zur völligen Erschöpfung kämpfte er, bis endlich seine Leidensfähigkeit versagte und eine stumpfe Ermattung über ihn kam. Und doch es war etwas Großes, Heiliges in diesem
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„ Herr Doktor," murmelte der Primaner, seine grüne Müze verzweifelt zwischen den Händen drehend, wir" Kampf gewesen. wir hatten einen Spaziergang- und wollten hier ein bißchen tegeln, aber da kam das furchtbare Wetter- und mein wirkliches, verlorenes Menschenglück. Kein eitles, troziges, neuer Anzug
"
Richard hatte Hans Martin sein Taschentuch um die Stirn gebunden und, so gut es gehen wollte, die Müze darüber gestülpt.
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Gut, gut," sagte er haftig, ich bin ja nicht als Lehrer hier. Und wenn Sie mir versprechen wollen-"
"
Sie stammelten Beteuerungen, streckten ihm die Hände entgegen, dankten, waren wie erlöst von höllischen Qualen. Wir wollen sehen," sagte Richard Volkmar ruhig. „ Der Erste, der rückfällig wird." Seine scharfen Augen drangen ihnen in Herz und Nieren. Sie wußten, er spaßte nicht.
Ein paar Minuten später setzte sich der kleine Zug in Bewegung. Martin wankte zwischen Richard und dem Primaner Böhm. Er hielt sich kaum auf den Füßen. Die Folgen des Alkoholgemisses stellten sich ein, quälende Uebelkeit, wahnsinniges Kopfiveh.
Der Weg war abgetrocknet. Am schwarzen Himmel fraten ein paar Sterne hervor. Der Nordwind packte die Heimkehrenden draußen auf freiem Felde, drang durch die Kleider hindurch bis auf die Haut und kältete sie durch von Kopf bis zu Fuß. Er schnitt ihnen wie mit Messern ins Gesicht, stemmte sich gegen sie und machte ihnen jeden Schritt zur Qual. Sie merktens bald, daß es zu viel war für den halb erstarrten, fast bewußtlosen Hans Martin. Auf einmal fiel er platt auf den Boden, schwer wie ein Kloh, ohnmächtig.
Er fühlte, dies war reiner, echter Schmerz, um ein
selbstsüchtiges Pochen auf äußere Dinge, das die Seele flein und hart macht und verbittert und ungerecht. Seine Selbstgerechtigkeit, die sich als das Opfer der Gesellschaft ansah, hatte einen Stoß bekommen.
Allerlei neue, tastende, schauernde Gedanken tauchten in thm auf. Etivas erwachte in ihm eine dumpfe Ahnung der Verantwortlichkeit des Einzelnen gegen die Gesamtheit- sein sociales Gewissen.
Da drüben der Schlafende, der sich leise stöhnend herumwarf an dem hatte er vieles gutzumachen.
Leise stand er auf und ging in die Küche, wo die Steigenberg eben den Kaffee aufbrühte.
Sie begrüßte ihn redselig. Jesses, der arme Herr Doktor! Du liebe Zeit! Daß die Frau auch so auf den Plut wegmußte! Nu,' s soll Ihne aber an nischt nich fehle, Herr Doktor," tröstete sie. Die Frau hat mer haarklein Bescheid gegebe, wie Se alles gewehnt sind. Den Schlissel hab ich auch, daß ich Ihne niemalen zu stere brauch. Uf de Seel gebunde hat se mersch noch, wie ich ihr die Tasch zum Bahnhof getrage hab, daß Herr Doktor sei Ordnung habbe sollt."
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Richard ertrug es kaum, von Lene reden zu hören. ,, Und dabei hat sie ausgesehn! So weiß wie des Kaffeekändel do. Und is es gar nit mol gewahr geworde, deß ihr' s Wasser immer so de Backe langgeloffe is. Un mit' n Mittagbrote- ob ichs ausn Deitschen Hause oder von Stövesandten
Sie waren nicht mehr weit von Ünkenreul. Mit schnellem Entschluß bog Richard von der Landstraße ab, auf Da fuhr er sie verzweifelt an. Das hätte alles noch sein Haus zu. Sie hatten Hans Martin an Kopf und Füßen Zeit. Nur schnell Kaffee. Da drin wäre ein junger, franker gepackt und brachten ihn so glücklich die Treppe hinauf und Mensch. ins Bett.
Sie spitzte die Ohren, zum Bersten voll von neugierigen Das Nachtlicht, das des Kleinen wegen stets hatte Fragen, aber beleidigt maulend. Und als er mit dem Frühbrennen müssen, hatte er angezündet, und es warf seinen stück abzog, murrte sie giftig hinter ihm her: Jesses! So stillen, gelben Schein auf all die wohlvertrauten Gegenstände. Mannsleit! Der sollt der meinige sein! Den wollte mer bald Richard hatte sich auf Lenens Bett geworfen, sein eignes gezoge habbe. Gelle ja?" nahm der leise stöhnende Krante ein. Gottlob, dachte Richard immer wieder, daß Du nicht allein bist!
Aus den Kissen, auf denen Lenens Kopf die letzte Nacht geruht, drang der feine Duft ihres üppigen Haares. Er preßte das weiche Daunenbett an sich, als sei's ein lebendes, geliebtes Wesen.
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Bene," murmelte er,„ Lene, das konntest Du mir an
Aber er war zu müde, zu erschöpft.
Es that ihm gut, zu fühlen, wie das Vergessen so sacht heranzog und sich über ihn breitete wie ein Nebelschleier, der immer dichter und dichter wurde.
Der füße Duft aus den Kissen stahl sich in seine Träume. Lene war wieder da. Es war wie in der ersten Ehezeit: innigstes, vollstes, reichstes Glück.
Ruhig und fest hatte er geschlafen.
Auf einmal schreckte er empor, sah um sich, begriff nichts. Die Nachtlampe brannte noch. In der Küche hörte er das Knistern des Feuers, ein leises Tassenklirren, Hantieren mit allerlei Gerät.
Lene ist schon auf, dachte er schlaftrunken. Er suchte nach seiner Uhr an der Wand. Wo war die? Alles stand ja ver
quer
Und drüben der schwarze Kopf mit der blutbefleckten weißen Binde?
Jetzt war er wach. Der Körper ausgeruht, die Nerven frisch empfänglich: neugestimmte Saiten, auf denen der Schmerz fein Furioso herunterrajen fonnte.
Als Richard in die Kammer trat, saß Hans Martin im Bett, mit großen, verstörten Augen um sich schauend. Bei dem Anblick seines Lehrers sank er mit dumpfem Stöhnen gurüd.
Richard setzte sich auf den Rand des Bettes und hielt ihm die Tasse an die Lippen.
Trint, Jung. Das thut Dir gut."
Mechanisch gehorchend, schlürfte Hans ein wenig. Dann schüttelte er den Kopf: Ich kann nicht."
"
Du mußt."
Vor der stillen Energie dieses Wortes kroch Hans Martins Widerstand in sich zusammen. Er trant.
den
"
Willst Du mehr?"
Stummes, heftiges Kopfschütteln.
" Ist Dir heute besser?"
"
Ganz gut." Er hob sich halb aus den Kissen. ,, Was willst Du?"
,, Aufstehen! Fort!" gurgelte Hans Martin verzweifelt. ,, Bleib nur noch liegen," sagte Richard gütig. Er hielt trozzig emporstrebenden Körper mit sanftem Druck nieder, bis der Widerstand des Knaben nachließ und er mit geschlossenen Augen regungslos liegen blieb.
Richard Volkmar blickte auf das junge, verwüstete Gesicht, das verzerrt war von Körperschmerzen und Seelenqual. Eine tropige Falte der Abwehr lag zwischen den feinen Brauen. Noch jetzt im Halbschlummer schien er zu rebellieren gegen die aufgedrungenen Wohlthaten.
Sein Vertrauen wiedergewinnen! dachte Voltmar. Ihn herausreißen aus seiner Umgebung!