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Wir beide, meine Frau und ich, sahen wortlos das liebe Ge­schöpf an. Durch die Gluthize war es den weiten Weg von seinem entlegenen Vorstädtchen bis zu mir getrabt, um in seiner Danibar­teit für ein wenig Menschlichkeit die ganze Rosenernte seines kleinen Gartens in mein Haus zu tragen.

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Als wir ihr endlich die Blumen abnahmen, wollte sie gleich wieder fort. Erst nach langem Zureden meiner Frau entschloß sie fich, eine Erfrischung anzunehmen. Meine Freude über die Rosen, die ich ihr unverhohlen zeigte, schien jie sehr zu beglüden, und als fie uns Lebewohl fagte, lag noch immer jener rührende, leuchtende Ausdruck einer großen Gebefreudigkeit auf ihrem reizenden Gesicht. Ingtvischen sind drei Jahre vergangen. Ich habe nichts mehr von dem Mädel gehört und die Erinnerung an sie war mit mancher andreu versunken. Da, vor einigen Tagen, gehe ich gegen Abend in die Stadt, um einen Bekannten aufzusuchen. Als ich an dem Wertherschen Warenhaus vorbeikomme, sehe ich vor der Eingangs thür einen Kinderwagen stehen, über den sich eine Frauengestalt beugt. Etwas in der Haltung des Weibes kam mir bekannt vor. Ich schane schärfer zu und erkenne unser Laufmädel.

Liber wie sah sie aus! lim ihren einst schlanken, aber träftigen Körper hingen die Kleider in schlaffen Falten nieder, ihr Gesicht hatte eine edige Form bekommen, die sie viel älter erscheinen ließ als sie war. Häßliche Linien, wie sie Summer und Entbehrungen eingraben, verzogen ihre Züge, und ein müder, stumpfer Ausdruck Berschredte mich am tiefften. Was levendig und jung und schön ge= wesen war in diesem Mädchen, das war zerstört worden; ein abge­quältes, müseliges Wesen war übrig geblieben.

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Ich stand wie angeturzelt und starrte auf das arme Geschöpf. Sie stand noch immer und wühlte in dem Wagen. Dann faßte jie mit veiden Händen feſter zu und hos etwas heraus. Dabei ruchtete

fie sich ein wenig auf und ich sah auf ihren Armen aus schlechten Zappen heraus ein rosiges Köpfchen leuchten. Und wie sie jetzt das Haupt fenkte und das Kind, das wie eine frische rote Rose an ihrer Bruit lag, anlächelte, da stand mit einem Male wieder jenes frohe, junge Ding vor mir, das mir lachend kam es über mich wie Erlösung.chend die herrlichen Roſen bot. Da gethan hatte, deſſen Blüte vielleicht durch eine allzu frühe Erfüllung ihrer Frauenbestimmung bernichtet war, hier fand sich doch auch ein tvenig Trost.

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So weh mir der Anblick des Weibes

Ich weiß nicht, ob das Mädel verheiratet ist oder ob sie ber führt, verlassen wurde. Ich weiß nur, daß aus ihrem Leben ein neues Leben erwuchs, daß ihre Kraft nicht nublos vergeudet wurde, daß es nicht bloß Vernichtung war, die ich da sah, sondern auch eine Fortentwidlung, ein Stück Zufunft.

Ich habe sie nicht angeredet, das hätte ich nicht gekonnt. Ich entfernte mich rasch, che sie mich erkannt hatte. Freilich mußte id) dann doch noch einen langen Spaziergang machen, che ich in vollem Einklang mit mir selbst nach Hause gehen konnte."

Heinrich Straft schwieg. Auch Frau Erna jah nachdenklich vor ich bor fich hin. Sie fühlte, daß ihr mit dieser Erzählung etwas geschenkt

worden war, für das sich richt danken läßt.

Nun," sagte Heinrich Straft und jetzt war wieder das heiter­freundliche Lächeln auf seinem Geficht, wollen Sie die Geschichte schreiben?"

Frau Erna erhob sich:" Ich würde sehr froh sein, wenn ich es fönnte, aber ich fürchte, meine Feder ist nicht gut genug dafür!"

Da stand auch Heinrich Straft auf, trat zu der jungen Fran, fah ihr mit einem guten Blick in die Augen und sagte mit seiner schönen, ernsten Stimme:

" Sie sollen sie auch nicht mit Ihrer spiken Feder schreiben, Frau Erna, Sie sollen sie mit Ihrem Herzen schreiben!"

Und an einem stillen Abend, an dem die Sommernacht mit weichen, zarten Winden ihre Stirne streichelte, und der Duft von vollblühenden Rosen und jungem Obst durch die geöffneten Feniter in ihr Stübchen drang, setzte sich Frau Erna an ihren Schreibtisch und schrieb die Geschichte des fleinen Laufmädels".

diet alone  

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Kleines feuilleton.

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-Am Scöffengericht. Ort der Handlung: Das Schöffen­gericht am Amtsgericht München   I. Zeit: Ein Tag in der letzten Citoberwoche, morgens 9 Uhr. Personen: Der Amtsrichter, ein Schöffe, die Parteien, ein Rechtspraktifant, der Gerichtsdiener, einige Rechtsanwälte, das Publikum.

Der Amisrichter:" Unerhört, wo bleibt denn der Herr Sajöffe?( Zum Gerichtsdiener): Telephonieren Sie doch den Herrn Fabrikanten an, das Gericht fann nicht warten."

Bause. Unruhe im Bublifum.

Der Amtsrichter:" Immer noch nicht da? Da hört sich doch alles auf.( 3um Gerichtsdiener): Telephonieren Sie nochmal, der Mann muß fommen."

Pause. Seiterteit im Publikum. Der Rechtspraktikant tritt ein und feit sich in den für den Gerichtsschreiber bereiten Arm­Teffel.

Der Amt3richter zum Rechtspraktikanten: Na, endlich, das hat lange gedauert, Herr Schöffe. Treten Sie hierher. Sie haben einen Eid zu leisten."

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Der Rechtspraktikant: Aber, Herr Amtsrichter... Der Amisrichter: Schweigen Sie und schwören Sic." Der Rechtspraktikant: Aber, Herr Amtsrichter. Der Amtsrichter:" Schtpeigen Sie und schwören Sie den Schöffeneid. Sprechen Sie nacht"

Der Rechtspraktifant schüttelt den Kopf und schwört. Nach dieser Vorverhandlung beginnt die Sizung. Zum Aufs ruf kommt eine Beleidigungsflage. Tie Parteien sind nicht ers schienen. Der Amtsrichter neigt sich nach rechts zum Schöffen, nach links zum vermeintlichen Schöffen, dem Rechtspraktikanten, und kündet dann den Einstellungsbeschluß des Gerichts.

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Der Amtsrichter ruft den zweiten Fall auf, wieder eine Be­leidigungsklage. Nach der Beweisaufnahme zieht sich der Amits­richter mit dem Schöffen zurück. Der Rechtspraktikant bleibt zögernd stehen.

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Der Amtsrichter( aus der Thüre des Beratungszimmers): Kommen Sie doch, Herr Schöffel"

Der Rechtspraftifant geht kopfschüttelnd ins Re­ratungszimmer ab. Bause.

Der Gerichtshof erscheint wieder im Sibungsfaal. Der in ta richter verkündet das Urteil:" Im Namen Sr. Majestät des Königs usw. usiv." Ter dritte Fall wird aufgerufen

Der Gerichtsdiener dem Amtsrichter ins Che: Here Amtsrichter, der zweite Schöffe ist jetzt da."

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Der Amtsrichter: Was? Unsinn, der ist doch schon da, hier sizt er jal( 3um Rechtspraktikanten): Oder wer sind denn nachher Sie?" Der Recht& praltitant( errötend und schüchtern): Ers lauben Herr Amtsrichter, ich bin zum funktionierenden Gerichts­schreiber bestimmt, Rechtspraktikant N. Amtsrichter( erregt):" Ja, zum... warum haben Sie

das nicht gleich gefagt?"

Rechtspraktikant:

Entschuldigen, Herr Amisrichter

haben mich ja gar nicht reden laffen!"

Große Heiterfeit im Bublifum und bei den Parteien. Die in wälte zijdjeln untereinander. Amisrichter: Ruhig da hinten, oder ich laffe den Saal #is# 13 97

räumen."

Die Verhandlung beginnt von neuem.

( Münchener Post".)

oder vier Jahrhunderten die Stellung der ärztlichen Kunſt zum ie. Anatomische Schaustellungen im Mittelalter. Daß vor drei Publikum und umgekehrt eine andre war, als wir sie heute auch nur für möglich halten würden, geht aus einer Schilderung hervor, die ein Mitarbeiter des British Medical Journal  " unter der Ueber­schrift Deffentliche Sektionen im Mittelalter" veröffentlicht. scheint Anno dazumal zu den besonderen Höflichkeitsaften eines Arztes gegen feine Mitbürger gehört zu haben, von Zeit zu Erhalten ist ein solches merkwürdiges Schriftstück von dem Professor Beit eine Einladung zur Besichtigung einer Seltion zu erlassen. der Anatomie Bartholinus, der im 17. Jahrhundert an der Universität Kopenhagen   lehrte. Es wird darin angelfindigt, daß der Profejior mit der Hilfe des Höchsten Wefens, auf Befehl unsres allergnädigsten Königs, unter Genehmigung des erlauchten Stanzlers, endlich unter Zustimmung des hohen Retitors und der mediziniſchen und an den nächsten Tagen fortgesetzt werde, wenn Gott   und meine Fatultät" am folgenden Tage die Sektion eines Leichnams beginnen Gesundheit es gestatten." Der Anatom ladet Hörer und Leute jeden Standes ein, zu kommen, zu hören und zu sehen, überhaupt alle, die wissen, daß sie sterblich find, gerne lernen, eine Verehrung für das vornehme Studium der Anatomie besitzen und sich selbst und ihre eigne natürliche Würde lieb haben. Alle diese werden mit dem Ausdruck des größtmöglichen Respekts und mit unparteiischer Höflichkeit in das Theater der Anatomie eingeladen. Solche anatomischen Schaustellungen wurden am Ausgang des Mittelalters als besonders vornehme Veranstal tungen betrachtet. Von Felix Blatter, einem Studenten in Mont­ pellier  , ist die Aufzeichnung erhalten, daß am 14. November 1552 der Leichnam eines Burschen im alten Amphitheater in der Stadt feciert würde. Da es damals unter der Würde eines Arztes ge­balten wurde, öffentlich Handleistungen, zu berrichten, so wurde die Bornahme der Sektion einem Barbier übergeben. Unter der großen Menge von Zuschauern befanden sich viele Mitglieder der Aristokratie und des Bürgertums, nach der Angabe Platters auch junge Damen und fogar Mönche. Diese Berichte erbringen den Nachweis, daß das kleine Titelbild einer geschichtlich berühmten Abhandlung von Andreas Vesalius   aus dem Jahre 1543 Ueber den Bau des menschlichen Körpers" nicht auf Bhantasie des Künstlers beruhte, sondern nach dem Leben gezeichnet war. Auch dort wird ein derartiges ana­tomisches Theater vorgeführt, unter dessen Besuchern zwar keine Frauen, aber auch ein Mönch zu sehen ist, dessen Gesichts­ausdrud an die mittelalterliche Sage erinnert, wie ein Mitglied dieses Standes in dem Leichnam die Frau wiedererkannte, um Ein er fein Gelübde gebrochen hatte. andrer mittelalterlicher Schriftsteller, Batin erzählt in seinen Briefen. daß in Paris   jedermann hinging, um die Leiche eines Verbrechers zu sehen, der den Tod durch das Rad erlitten und bei dem man entdeckt hatte, daß er die Leber auf der linken und die Milz   auf der

derer willen