Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 221.
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Mittwoch, den 12. November.
Nachdruck verboten.
Der Unkenteich.
Roman von Gertrud Franke- Schievelbein. ., Amüsieren Sie sich, Herr Doktor," flüsterte Hans Martin heifer, ihm die schmale, brennende Hand entgegenstreckend. Wirst Du aber auch ruhig wie immer einschlafen, Jung? Und Dich nicht stören lassen, wenn ich ein bißchen spät komme?" Ach, Herr Doktor, Sie wissen ja, ich schlafe gleich ein. Bin immer so müde Auch der Doktor in seinem schönen Optimismus hatte Richard gut zugeredet.
"
„ Ich übernehm' die Garantie. Der schläft Ihnen wie ein Razz."
So war Richard gegangen. Aber das Bild des schönen, blassen Knabenkopfes wurde er so bald nicht wieder los.
Ja, müde, unendlich müde. Eine ewige Sehnsucht nach Schlaf! Und so etwas seltsam Ruhiges, Abgeklärtes, Wunschloses.
Gar nichts mehr vom wilden Ueberbrausen, von der burschikosen Luftigkeit. Wunderbar verändert.
Erst als er die Treppe emporsticg und schon die Klänge der Musik von obenher erschallten, wurde ers los.
Welch glänzendes Bild.
Die Gesellschaft war schon fast vollzählig. Ein bunter Damenkranz, die Herren alle stattlich und festtäglich, die Denkermienen aufgehellt von liebenswürdiger Heiterfeit.
Horstmanns Wohnung lag im Gymnasium. Die Aula wurde zum Tanzsaal benutzt.
Sogar Urban pflegte an solchen Tagen den dienstlichen Ausdruck ad acta zu legen und wie ein gemütlicher alter Papa auszusehn.
Kornelie Urban war ganz in Weiß. Ihre herrliche Büste, die vollen Arme, das ährengelbe Haar und die rosige Haut Leuchteten in unbeschreiblicher Zartheit.
Als er auf sie zutrat, brach ein heller Glanz aus ihren Augen. Sie gab ihm die Hand wie einem alten Freunde; als wäre das, was sie neulich im Sankt Annengange mit einander erlebt hatten, zu einem geheimen Band zwischen ihnen geworden.
1902
und war bis zum Plazen geschwollen vom Gefühl seiner Würde und Bravheit.
Durch den Theerosenstrauß auf der Tafel konnte Richard Volfmar manchmal einen Blick auf Stornelie Urbans blonden Kopf werfen. Sie hatte heute so etwas Weiches, Weibliches, Gütiges.
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Ueberhaupt, alle diese Menschen hier wie gut, wie friedlich, wie nett und prächtig gaben sie sich! Wie gemildert schienen alle Mißklänge der rauhen Welt, wie verschleiert das Häßliche, Niedrige, wie herausgedrängt Sorge, Not, Sünde. Alles so harmlos, so erfüllt, einander die angenehmsten Dinge zu thun und zu sagen, die besten Bissen vorzulegen, die edelsten Tropfen zu fredenzen!
Wenn irgendwo in dieser brutalen Welt das Leben vollkommen ist, so ist's in den Kreisen der gebildeten Gesellschaft. Vom ewigen Frieden, der selbstlosesten Nächstenliebe, den edelsten Tugenden bieten sie wenigstens das Scheinbild, da die Wirklichkeit doch nie erreichbar sein wird.
Warum also willst Du Dich selber ausschließen und Krieg führen gegen die herrschenden Mächte? dachte Richard Volkmar, den letzten Tropfen Champagner schlürfend.
Es wurde schon vont Tisch aufgestanden, das Verneigen, Gesegnete- Mahlzeit- wünschen hatte begonnen.
Er reichte seiner blassen Dame den Arm.
Schade! Es war so hübsch, Herr Doktor," sagte Frau Bittrich bedauernd. Ihre lange Schleppe rauschte; ihre Diamanten blißten wie ein Thränenreif im dunkeln Haar.
Es wurde wieder getanzt, mit größerer Leidenschaft, wilderem Feuer.
Kornelie schwebte unterbrochen in ihrer ruhigen, vornehmen Anmut an ihm vorüber. Und Richard sah sie an, mit einem Wohlgefallen, das sich im Laufe des Abends zur Bewunderung steigerte. Ja, zuweilen überlief's ihn wie süßer Sinnenrausch.
Steine hastige Bewegung, nichts Eckiges, Ungraziöses an ihr; alles weich und rund, dabei straff, kräftig, gesund. Auf einmal aber, ehe er sich's versah, stand sie vor ihm wogender Brust, glühenden Wangen.
mit
„ Herr Doktor, es ist Damenpolta." ,, Gnädiges Fräulein ich"
"
Wollen Sie mir einen Korb geben? Sie tanzten doch früher so gern!"
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Tanzen jetzt in meiner Lage!" Thun Sie's mur," sagte sie ermunternd. Heut ist
Bald wurde sie von andren Gästen in Anspruch genommen. Und Richard sog mit durstigen Sinnen all die Schönheit, die Eleganz, den Richterglanz in sich ein. Blumen- Gottesfriede." duft und Parfüm berauschten ihn fast.
Er sättigte sich an all diesen auf ihn eindringenden Reizen wie ein Halbverhungerter am Speisendunft.
,, Gottesfriede!" wiederholte er betroffen.
,, Nicht wahr," lächelte fie, ein wundervolles altes Wort, und ein wundervoller Brauch: eine Zeit einzusetzen, in der alles Böses, Schmerzliche, Verfolgung, Hader, Strafe ruhen, die arme Seele aufatmen, sich besinnen kann."
" Ja, Gottesfriede!" sagte er tief atmend. mir's den ganzen Abend schon gewesen."
Danach ist
Er schlang den Arm um sie, und sie schwebten zusammten durch das mächtige Zimmer, von dessen Wänden die Büsten großer Pädagogen, Denker und Staatsmänner ernst und feierlich herabschauten.
Im Anfang hielt er sich im Hintergrund. Ihm war doch beklommen. Bald aber kam der und jener und zog ihn in Gespräch. Er mußte aus seiner Ecke hervor. In diskretester Weise, so schmeichelhaft und auszeichnend, wie die gute Gesell schaft dergleichen zu thun pflegt, wurde er als„ Wundertier" behandelt. Sein Abenteuer gab ihm eine gewisse Berühmtheit. Die Spuren des Leidens auf seinem Gesicht rührten das mit leidige weibliche Herz. Die jungen Mädchen tuschelten sich Geständnisse in die Ohren, daß er himmlisch interessand, süß, eigentlich furchtbar nett sei. Daß er auf erotischem Gebiete gefündigt hatte und der Schleier des Geheimnisses sein Bergehen umhüllte, machte ihnen seine Persönlichkeit doppelt... Ihr warmer Störper schien sich noch immer an seine Brust reizend. zu schmiegen. Von den vollen, weißen Armen fühlte er sich Er tanzte nicht, obgleich viele warme, lockende, bittende umstrickt, wehr- und willenlos gemacht. Der starke Zrisduft, Blicke zu ihm hinüberflogen.
Bei Tisch war Richard Frau Bittrichs Kavalier. Die stille, blasse Frau, die in ihrem schreiend mohnroten, mit Spigen überladenen Kleide ausfah, als gehöre es ihr nicht, war ihm gerade recht. Ihre tiefen, dunklen Augen blidten so beredt, so wissend vom Schnierz in die seinen. Sie hatte eine leise, klagende Stimme, die ihm wohl that, als wär's die seiner Mutter.
Endlich brach die Musik ab, und er führte sie in eine fleine Nische nahe dem Fenster, die von dunklem Laub gebildet war.
den ihr Haar und ihr Kleid ausströmten, benebelte ihm die Sinne wie Weihrauchdunst.
Sie sprach ruhig und gewandt allerlei leichte Dinge. Auf einmal aber sagte fie: Seit unsrer letzten Begegnung wissen Sie noch, im Sankt Annengang? da haben Sie viel erlebt."-
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Ein tiefer Schatten flog ihm übers Gesicht.
Ja, damals," sagte er bitter. Als ich nach Hause tam,
Nicht weit von ihm strahlte Frau Rober, in ihr altes fand ich das Nest leer." Schwarzseidenes gehüllt, in jungem Mutterstolz. Sie er zählte vom neunten Kleinen Wunderdinge, als wär's das erste. Sie sprach immer nur von ihren Kindern und hätte, wie Niobe , der Göttinnen gehöhnt, die weniger besaßen als sie. Sober trug einen neuen Frack. Er hatte Zulage erhalten
Ein tiefes Bedürfnis, sich auszusprechen, ergriff ihn. Dies Mädchen war ihm mehr als freundschaftlich gesonnen, es ver stand ihn.„ Es war der furchtbarste Tag meines Lebens," fegte er dumpf hinzu.
„ Das hab ich oft denken müssen, als es herumtam.