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aählte über das namenlose Glück, das ihnen Beiden bevor­stand. Einen Augenblick lang war Heinrich Winther so verloren in diese frohen Träume, daß er ganz vergaß, wo er sich be­fand und in Gedanken weit entfernt war von diesem unheimlichen, ungemütlichen Ort.

Aber Schwanenmoos' rasselnder Schlüsselbund rief ihn gleich darauf in die Wirklichkeit zurück.

Er hatte die Lattenthür geöffnet und stand und wartete. Herrgott, so war die halbe Stunde schon vorbei! Oben in der Zelle harrte seiner eine neue Ueberraschung, neue Freude.

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lächerlichen und fabelhaften Land der Verheißung, fo die najez aus Kuchen hergestellt sind, wo die Berge aus Käse, die Steine aus Bucker bestehen, wo die Quellen mit Milch und die Flüsse mit Honig strömen, wo weiße Weizenbrote in den Bäumen hängen mit Bechern boll des besten Weins, wo die Zäune aus Würsten gemacht sind und die gebratenen Tauben den Leuten in den Mund fliegen".

Bei Anbruch der Neuzeit war also das Märchen vom Schla­raffenland bei den Deutschen   bereits vollständig eingebürgert, und man fönnte daher versucht sein, ihm deutschen   Ursprung zuzu­schreiben, zumal auch das Wort Schlaraffe oder Schlauraffe deutsaj ist: es bedeutet soviel wie einen gedankenlosen Müßiggänger.

In Wirklichkeit ist aber mit dieser Namensgebung und einer schon durch den Namen angedeuteten moralifierenden Tendenz, durch Es war eine frische Sendung von seiner Frau gekommen: die das Märchen bei uns zeitweilig, 3. B. durch Sachs, zu einer Eßwaren, einige Toilettensachen und, was den Gefangenen Sittenpredigt wider Faulheit und Schwelgerei verballhornt vorden am allermeisten erfreute, zwei große wundervolle Sträuße, die ist, das deutsche Urheberrecht dieser Sache erschöpft. Ein langer Weg durch verschiedene Länder und ausgedehnte Zeiträume ist rüd­das Gefängnisloch mit süßem Wohlgeruch erfüllten. wärts zu verfolgen, wenn man bis zum Ursprung des Märchens vom Schlaraffenland gelangen will." Dreh meil hinter wehnachten" liegt es nach Hans Sachs  : aber hinter oder eigentlich vor jenen ersten Weihnachten, womit die christliche Zeitrechnung anhebt. Bis ungefähr fünf Jahrhunderte vor Chrifto muß man zurüdgehen, um zum erstenmal von Schlaraffenland zu vernehmen. Es ist ein weiter Weg, der aber der Mühe lohnt, weil er zu der Erkenntnis führt, an was für entschwundene Dinge der Wirklichkeit unser Märchen in phantastisch- übertreibender Form erinnert.

Schwanenmoos, der neben ihm stand, holte tief Atem. Ja, so' ne Frau müßte man haben," sagte er philo­sophisch. Das ist ja ein Segen, in Ihre Zelle zu kommen! Sie fönnen glauben, hier sieht's anders aus, als in den Löchern nebenan!"

" So, ist's da sehr schlimm?" fragte Winther zerstreut, während er sich daran machte, die Eßwaren auszupacken. " Ja, da können Sie Gift drauf nehmen, manche von den armen Teufeln nebenan haben's scheußlich," lautete die Ant­wort des Schließers, die offenbar von Herzen fam.

Schwanenmoos blieb bei ihm, bis alles ausgepackt war, und verwahrte sorgfältig jedes Feßchen Papier  , das möglicher­weise eine schriftliche Mitteilung an den Gefangenen ent­halten konnte.

Dagegen entdeckte er nicht die schwachen Bleistiftstriche auf dem Griff der Zahnbürste: Tausend Grüße von Deiner treuen Luise."

Den Wegweiser, der die einzuschlagende Richtung angiebt, stellt ein niederdeutsches Gedicht des 15. Jahrhunderts dar, das die Ueber­schrift trägt: Dit is van dat edele lant van Cocaenghen" und unter Winther reflektierte nicht auf nähere Bekanntschaft mit diesem Titel die Mär vom Schlaraffenlande erzählt. Der fremde ihnen. Sowohl rechts wie links hatten seine Zellennachbarn Name, unter dem es hier auf einmal auftaucht, stammt aus dem den ganzen vorhergehenden Tag hindurch durch Klopfen an Französischen, wo" Coquaigne" die Bezeichnung für Schlaraffenland der Wand lebhaft an ihn telegraphiert", lange Schläge, kurze ist. Und so geht auch der Inhalt des niederdeutschen Gedichts auf Schläge, so und so viele Schläge hintereinander, offenbar ein ein französisches Vorbild zurück, das dem 13. Jahrhundert angehört, ganzes Alphabet, ohne daß es ihm möglich gewesen war, den einer Zeit, zu der in Deutschland   noch nicht die mindeste Spur von dem Märchen nachzuweisen ist. Das französische Gedicht, dem der Faden in ihrem" System" zu entdecken. Niederländer teilweise wörtlich gefolgt ist, benennt sich Fabliau de Coquaigne". Keines der charakteristischen Merkmale von Schla raffenland fehlt in Coquaigne, wo man um so mehr gewinnt, je mehr man schläft; denn wer bis Mittag schläft, erhält für diese Leistung 5% Sous. Die Mauern der Häuser," so giebt Boeschel ( Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache, Bd. V, p. 389 ff.) den Inhalt des Fabliau wieder, find von Barben, Lachsen und andren Fischen, die Dachsparren von Stören, die Ziegel von Speck und das Lattenwerk von Würsten. Gebratene Gänse wackeln durch die Gassen, von einer lederen Brühe gefolgt. Ueberall findet man saubere Tafeln, an denen man zu jeder Zeit und unentgeltlich essen tann, was man sich nur herbeiwünscht. Dort läuft ein Fluß von Wein, auf der einen Seite bis zur Mitte mit Rot-, auf der andern Seite mit Weißwein, so daß man ihn gemischt, aber auch jeden für fich trinken kann. Trinkgefäße von Silber und Gold führt der Strom felbst mit sich. Sechs Wochen zählt in diesem Lande der Monat, die Woche selbst aber lauter Sonntage, die firchlichen Feste werden vier­mal im Jahre gefeiert, auch vier Starnevale giebt es dort, dagegen nur eine Fastenzeit in 20 Jahren, in der erst recht alle nur erdenk lichen Genüsse sich darbieten. Dreimal in der Woche regnet es frischgebackene Torten, und gefüllte Börsen holt man sich vom Felde..." Haß und Habsucht, Neid und Eifersucht sind in Coquaigne unbekannt, in ewiger Jugend verbringen seine Einwohner ein fröhliches Leben der Freundschaft und der Liebe und jeglichen andern Genusses.

Schwanenmoos ging, und der Gefangene fezte sich fröhlich und aufgeräumt, um zu essen.

Sein Humor sank doch allmählich, wie die Stunden dahin­glitten. Das Siten auf der Pritsche war unbequem, auf die Dauer nicht auszuhalten. Vom Auf- und Abgehen in der Zelle, neun Schritt hin, neun Schritt her, wie ein Raubtier im Käfig, wurde man auch müde. Ueber dem neuen Testament und den andren Erbauungsschriften konnte er knapp eine halbe Stunde seine Gedanken sammeln.

Die Mittagsstunde war da. Er konnte den Essensgeruch spüren, er konnte die Zellenthüren auf- und zuschlagen hören.

( Fortsetzung folgt.).

( Nachdrud verboten.)

Das französische   Wort Coquaigne kehrt in den übrigen romania schen Sprachen mit fleinen Abänderungen wieder: im mittel­lateinischen lautet es Eucania, im spanischen   Cucaña und im

Der Weg zum Schlaraffenland. Schlaraffenland. italienischen Guccagna. Alle vier gehen wahrscheinlich auf das

Schon vor manchem Jahrhundert tvar das Märchen vom Schlaraffenland allgemein bekannt, soweit die deutsche   Zunge flingt. Ganz in der nämlichen Weise, wie es heute geschieht, malt bereits ein Schwank von Hans Sachs   aus dem Jahre 1530 das gelobte Land des Ueberflusses aus, wo die erlesensten Genüsse jedermann zugänglich sind, ohne daß er einen Finger zu rühren hätte. Drey meil hinter wehnachten" liegt es bei dem Nürnberger Poeten, und wenn man soweit ist, hat man sich erst noch durch einen Hirsebrei berg von drei Meilen Dicke hindurchzufressen, ehe man sich zu den schwelgenden Faulenzern von Schlaraffenland gesellen kann. Wer's soweit gebracht hat, muß sich bloß davor hüten, als lästiger Aus­länder ausgewiesen zu werden; das passiert einem, wenn man durch Arbeitswilligkeit unangenehm auffällt.

Nur für einige von den famosen Einrichtungen des Schlaraffen Tandes kann Sachs Entdeckerruhm in Anspruch nehmen, 3. B. für die neue Thatsache, daß dort die Pferde ganze Körbe voll Eier Legen, die Esel Feigen schütten. Dagegen war der Grundstod der fulinarischen und trinkologischen Eigentümlichkeiten von Schlaraffen land   schon vor ihm dem deutschen   Volke wohlbekannt. Ein Gedicht mit dem Titel: Ein hubscher spruch vom schlauraffenland", das dem Ausgang des 15. Jahrhunderts angehört, weiß bereits, daß es in Schlaraffenland u. a. Fladendächer und Wurstzäune giebt, von denen man ohne Umstände essen kann, weil die Lücken sich von selbst wieder schließen. Und einige Jahre später spricht Geiler von Keisersberg in einer feiner Predigten über Brants Narrenschiff" von dem

lateinische Coquere, Kochen zurück, so daß Coquaigne als das Land des beständigen Kochens, Effens und Trinkens schon durch seinen Namen charakterisiert ist. In Italien   ist das Wort Cuccagna   noch jeht die landläufige Bezeichnung für unser Schlaraffenland. Die bamit verknüpften Vorstellungen waren bei den Italienern früher so allgemein bekannt, daß in Neapel   lange Zeit, und zwar schon gegen Anfang des 16. Jahrhunderts ein Voltsfest alljährlich begangen wurde, das den Namen Euccagna trug: am Donnerstag vor Fast nacht ward eine mit Federvieh, Würsten und allerlei andern Eß­waren beladene Pyramide in feierlichem Umzuge durch die Stadt geführt und schließlich dem Volt überlassen, das sich um die Lecker­biffen raufte. Bereits im Mittelalter war das Land Cuccagna   in Italien   sehr populär. Es erscheint schon bei Boccaccio im Decamerone" also gegen Mitte des 14. Jahrhunderts, aller­dings unter dem vom Dichter erfundenen Namen Bengodi; in der Sache geht Boccaccio   aber zweifellos auf die volkstümlichen Vor­stellungen von Cuccagna   zurück. Das Land ist bei ihm mit Zügen ausgestattet, die dem italienischen   Geschmad entsprechen; es giebt da z. B. einen Berg von geriebenem Parmesantafe, auf seinem Gipfel werden unablässig Maccaroni und Mehlflöße in Kapaun­brühe gekocht und den Abhang hinuntergerollt.

Das ist nicht die früheste Spur vom Schlaraffenlande auf italienischem Boden. Bereits zwei Jahrhunderte vor Boccaccio  , gegen 1162 oder 1164, rühmt sich ein fahrender Kleriter in einem lateinischen Bagantengedicht, das zu Pavia   entstanden ist: Ich bin der Abt von Cucania und halte Nat mit den Zechern." Gegen