Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 238.

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Im Kreise.

Sonntag, den 7. Dezember.

( Nachdrud verboten.)

Erzählung von Waclaw Sieroczewski. Deutsch von Rosa Schapire  .

In einer dunklen jakutischen Jurte, auf einer niedrigen, der Wand entlang laufenden Holzbank, dem Herdfeuer gegen­über, lag eine franfe Frau. Der beste Winkel im Zimmer, der trockenste und hellste, wo sonst der Hausvater und seine Ehefrau schliefen, war ihr eingeräumt worden. Die Ein­wohner der Jurte behandelten sie mit der größsten Sorgfalt; die kalte Mauer neben ihrem Lager war mit weißem Hasen­fell bekleidet und die Kissen selbst, auf denen sie lag, waren besonders hoch gebettet.

Einer- mein Bauer, zwei

russisch  .

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1902

Dein Bauer," sagte sie

Er kommt endlich! Wirtin, nimm das fort! Schneller!" rief die Kranke und wies auf die herumstehenden Sachen. Erregt richtete sie sich in den Kissen auf.

Stämme mich!... Zofia, gieb den Kamm!... Wasch' das Kind!

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In der Jurte herrschte lebhafte Bewegung. Aber die Reiter waren noch weit, und so wurden die Frauen fertig, ehe jene kamen. Die Kranke, gekämmt, in sauberer weißer Negligéjade, wartete lange, und schon begannen ihre Kräfte zu schwinden, als auf dem Hofe endlich Pferdegetrappel laut wurde und Schritte und Männerstimmen näher kamen.

Die Thüre wurde weit geöffnet und auf der Schwelle er­schien ein großgewachsener Mann. Er blieb neben der Thür stehen und löste in fieberhafter Eile die Lederriemen seines Das Feuer glomm auf dem Herde. Nur das weiße Bett Reise- Anzuges. der Kranken und ihre weiße Gestalt leuchteten aus der Dämme- Die Jakutin legte noch einige Holzscheite ins Feuer. rung, die das Zimmer erfüllte. In geringer Entfernung, Die Augen der Kranken, deren ganzes Leben sich im im Schatten, nur Kopf und Hand zum Lichte gekehrt, saß eine Blick konzentriert hatte, hingen an dieser ungraziösen Gestalt, Jakutin auf einem Holzschemel und nähte Schuhzeug. In die von Kopf bis Fuß in schneebedecktes Pelzwerk gehüllt war. gewissen regelmäßigen Pausen hörte man, wie sie den jehnigen Faden durch das Leder 30g. Die Kranke atmete schwer und hörbar. In einer Ecke spielte ein jafutischer Bub mit einem etwa fünfjährigen Mädchen in europäischen Kleidern. Die Kinder bauten mit Klößchen und sprachen leise mit einander. ,, Wirtin! Wirtin!..." sagte die Kranke mit An­

strengung.

Die Jakutin legte die Arbeit unwillig aus der Hand und stand auf, um die Glut wieder anzufachen.

störe

Was denn?"

Geh!.. Sieh!.. Sei nicht böse, daß ich Dich Aber ich fürchte, ich werd's nicht mehr erleben... Ist noch nichts zu sehen?"

Die Jakutin   neigte sich über die Kranke und sah auf ihr eingefallenes Geficht: sie bemühte sich, den Willen der Kranken aus dem Ausdruck der Augen, der Bewegung der vom Fieber verbrannten Lippen zu erraten. Welche Qual!"

Ach, sie versteht nicht Das?... Das zeige... Welche Qual!" Die Kranke wies nach der Thür. ,, Eng  ... eng!..." nickte die Jakutin, strich Kissen und Decke, die sich verschoben hatten, zurecht und ging hinaus.

Endlich fiel die Kapuze, die das Geficht des An­kommenden bedeckt hatte, und die teuren, so lange nicht ge­sehenen Augen ruhten auf ihr mit einem Ausdruck innerer, verzehrender Angst.

" Ich sehe Dich... endlich, endlich!" flüsterte sie und streckte ihm die Arme entgegen.

In einem Augenblick lagen die übrigen Pelze auf dem Boden, und er kniete neben dem Bette der Kranken. ,, Geliebte! Du hast es gewagt!"

" Ich konnte es nicht länger aushalten, ich konnte nicht," flüsterte sie, indes ihr die Thränen in Strömen über das Ge­sicht flossen.

Warum hast Du nicht wenigstens geschrieben? Ich wäre in die Stadt gekommen. Wie muß Dich der Weg an­gestrengt haben!"

" Ich habe einige Male geschrieben, von der Stadt aus und von unterwegs... Du bekommst wohl nicht alle Briefe? Ich habe mich so geeilt... Sie sagen, daß die Wege hier im Frühling unfahrbar werden, und im Sommer kann man nicht anders zu Dir fommen, als zu Pferde oder zu Fuß... Ist das so? So haben sie gesagt. In der Stadt wurde ich frank... Dort herrscht eine Epidemie... Diphtheritis. Und da hatte ich Zofias wegen Augst  ... Und ich hatte Angst, daß ich Dich vielleicht nie mehr sehen werde."

In der Jurte wurde es ganz still; selbst die Kinder schwiegen und alle Blicke hingen an der Thüre. Die Kranke Eine leichte Röte bedeckte ihre durchsichtigen Wangen, sie Tag unbeweglich; der Kopf neigte sich zur Seite, die Augen lächelte und legte ihre wohlgeformte, aber magere Hand auf waren geschlossen und die langen Wimpern warfen einen die Stirn ihres Mannes. Er nahm diese Hand und drückte Schatten auf die eingefallenen Wangen. Durch die geöffnete fie ans Herz. Thür drang ein Luftzug, das Feuer flammte auf und warf rötliche Strahlen auf das weiße Fell an der Wand, auf die Kissen und auf die langen, goldblonden Haare, die gleich einer Aureole das Gesicht der Kranken umgaben. Auf einem fleinen Tischchen neben ihr lag eine gldene Uhr, Gläser und Flakons; verschiedene Reise- Utensilien standen umher.

Zofia, fomm her... Wo bist Du?" flüsterte die Kranke. Das Mädchen stand auf und Klopfte ihr Kleidchen ab. " Da bin ich, Mammali."

Sie lief zur Mutter hin und legte ihr Lockenköpfchen aufs Kissen. Auch der kleine Jakute stand auf und folgte ihr; er lehnte sich gegen die Kissen und begann an der Stickerei der Bezüge herumzuzupfen.

Thut es weh, Mammali, thut es sehr weh?" fragte die Kleine und sah der Mutter aufmerksam ins Gesicht. Väterchen ist nicht da... er kommt nicht," klagte die Kranke.

"

Die Thüre knarrte, auf der Schwelle zeigte sich die Jakutin. Sie müssen's sein... Wer auch sonst? Zwei kommen! schrie sie glücklich. Meinen hab' ich er­fannt... Noch weit an der andren Seite vom See!" Die Kranke richtete sich hastig auf und öffnete weit die fieberhaft glänzenden, großen Augen. Die Jakutin erkannte, daß sie sie nicht verstanden habe und begann sich durch Zeichen deutlich zu machen; sie flopfte sich auf die Hand, um das Pferdegetrappel anzudeuten.

" Nun? Fragst Du nicht nach Deinem Kinde? Zofia, komm, sag' dem Papa Gutentag."

Er stand auf und sah sich mit einer gewissen Behendigkeit im Zimmer um. In der Ede, mitten unter den Jakuten, stand sein Töchterchen. Als es dem Blick des Vaters be­gegnete, wandte es das Köpfchen fort und machte einige Schritte nach rückwärts.

" Bosia, nicht scheu sein!" sagte die Mutter. Komm zu mir, Kleine!" rief der Vater. Sie aber rührte sich nicht. Da kam er zu ihr und wollte sie auf den Arm nehmen, aber das Kind lief schreiend fort. Rühr' mich nicht an!" rief es. Mama, das ist der Papa ja gar nicht, der Papa auf dem Bilde! Ich fürchte mich. Der Mann trägt einen häßlichen Rock und hat einen langen Bart... Das ist ein Jakute!"

"

Er aber nahm das Kind auf den Arm und bedeckte es mit Küssen. Es weinte und riß sich aus seinen Armen. Um es zu beruhigen, fette er es auf die Kissen neben die Mutter.

,, Wundere Dich nicht, Oles," sagte die Kranke,. ,, Du hast Dich verändert... Auch ich sehe etwas Fremdes in Dir!" ,, Wie sollte sich das Würmchen sich auch meiner erinnern? Das war ja kaum ein halbes Jahr alt!"

Neben der Mutter begann die Kleine allmählich wieder Mut zu fassen. Noch hingen Thränchen an den Wimpern, aber schon lächelte sie, und die großen, hellen Augen hingen am Vater mit prüfendem, beinahe herausforderndem Blid. Dir wie aus dem Gesicht geschnitten," sagte er.