Unterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 241.

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Im Kreise.

Donnerstag, den 11. Dezember.

( Nachdruck verboten.)

Erzählung von Waclaw Sieroczewski. Deutsch von Rosa Schapire  .

" Ich sagte Euch schon, daß ich nur zwanzig Rubel habe," antwortete Alexander.

" So verkauf ihre Sachen," sagte jemand der An­wesenden.

Einverstanden! Wollt Ihr die Uhr kaufen?"

Er nahm Julias Uhr in seine zitternde Hand und hielt fie ihnen entgegen. Die Jakuten umringten ihn neugierig. Der Aelteste unter ihnen legte das kleine goldene Ding an seine abstehenden dunklen Ohren.

Es spricht," flüsterte er lächelnd.

" Es spricht?" fragten die andren, und jeder wollte hören, was es sage, aber niemand dachte daran, die Uhr zu kaufen. ,, Vielleicht kannst Du sie in der Stadt verkaufen. Wir aber brauchen Kleider, Pelze, Decken. Vielleicht kaufen wir noch den Ring."

Den Ring wollte er nicht verkaufen, aber er öffnete den Koffer. Wieder umstanden sie ihn, griffen in den Koffer und zeigten einander die verschiedenen Sachen.

,, Da ist ein seidenes Kleid. Was willst Du dafür haben, Fremder? Das kann man sich ja zurecht machen."

Silberne Löffel, Handtücher, Strümpfe... " Fremder, schenk' mir das Wozu brauchst Du's? 3 find ja Weibersachen. Ich will's meiner Alten mit­bringen."

Fremder, das mir!" ,, Und vielleicht das."

Mir auch.."

Alexander legte einige der wertvolleren Gegenstände wieder in den Koffer, die filbernen Löffel, ihren Belz, ihr Tuch, und drückte das Schloß zu. Das Seidenkleid schenkte er der Wirtin.

Du warst gut gegen sie," sagte er.

Bei dieser Gelegenheit bat sich die Jakutin noch einige andre Kleinigkeiten aus.

Endlich war der Handel zu Ende. Die Jakuten gaben ihm den Handschlag als Beweis, daß das Geschäft in Ordnung fei und verließen die Hütte. Die Wirtsleute gingen schlafen. Alexander blieb allein und begann Julia zum letzten Gange zu schmücken.

Die Nacht ging vorüber. Im Morgengrauen kamen die Jakuten; fie legten den Körper in eine andre Ede der Stube und schlugen ein Loch in die Wand darüber, um frische Luft hineinzulassen. Unter diesem eifigen Wind wurde das Geficht der Toten sofort hart und durchscheinend wie Alabaster. Dann schlachteten die Jakuten einen Ochsen und unter Späßen fochten sie das Fleisch, sägten Bretter, um den Sarg für die Tote zu zimmern.

Alexander fab gleichgültig ihrem Treiben zu. Nichts interessierte ihn, selbst die Kleine nicht. Er hatte sie zwar angezogen und ihr zu essen gegeben, aber fein Wort zu ihr gesprochen. Das Mädchen ging von einer Ede in die andre und wußte nicht, was es mit sich anfangen sollte. Die Jakuten aßen, erzählten sich die neuesten Klatschgeschichten, berieten, wie sie die Bretter schneiden sollten, um die Leiche zu bergen und sich Arbeit zu sparen, sie hämmerten, sie feuchten und spukten.

Am Abend, als sich Alexander auf dieselbe Bank legte, auf der Julia gestorben war, fam Zofia zu ihm.

"

Papachen, weinst Du nicht mehr?"

" Stomm' her!"

Die Kleine drängte sich an ihn.

Mama elbint"." sagte sie jakutisch.

" Ja!" flüsterte sie nach einem Augenblick.

Und so schlossen sie aufs neue Freundschaft.

1902

Am nächsten Tage war das Begräbnis. Infolge er­neuter Schneeverwehungen fonnte man den Sarg nicht auf dem Schlitten transportieren. Die Jakuten hingen ihn an Schnüren auf eine Stange und trugen die Last. An einzelnen Stellen versanken sie bis zum Knie im Schnee und warfen sich die Schnüre wechselseitig zu. Der Sarg schwankte ent­fetzlich. Alexander, der mit den Schaufeln folgte, hörte, wie der Körper der Toten gegen den Deckel schlug. Endlich er­reichten fie den Hügel vor dem Walde, wo begraben wurde. Einige dünne Bretter und Kreuze unter'm Schnee und dann ein offenes, tiefes, leeres Grab Vorsichtig begannen die Jakuten nach längeren Beratungen den Sarg an den Stangen und Stricken hin.intergleiten zu lassen. Alexander wollte ihn öffnen, um noch einmal die geliebten Züge zu sehen, sie aber setzten seinem Vorhaben den größten Widerstand entgegen. Was fällt Dir ein, Fremder? Auch wir haben Frau und Kind. Niemand will ein Unglück heraufbeschwören! Deffne, wenn Du willst, aber dann gehen wir fort. Was man einmal reingelegt hat, nimmt man nicht wieder heraus. Du allein kannst den Sarg nicht herunterlassen, so wird er denn bis zum Frühling stehen bleiben."

Es war sicher, daß sie ihre Trohung ausführen würden und er mußte sich fügen.

Sie jenkten den Sarg in die Tiefe und begannen eilig die Schollen der festgefrorenen Erde darüber zu werfen, die mit dumpfem Gepolter am Deckel des Sarges zerschlugen.

,, Vorsichtig!" schrie Alexander unwillkürlich. Es war ihm, als wenn sie die Bretter zerbrächen und mit den scharfen Erdschollen und Eisstücken Julias Gesicht und Körper ver­letzten.

,, Sei nur ruhig! Wir sind doch auch Menschen und glauben an Gott  . Wir haben's mit Bohlen bedeckt, wie fich's gehört. Deine Selige liegt bequem wie in einer Wiege." Geschicht schütteten sie das Grab wieder zu und wandten sich an Alerander, der betäubt dastand.

" Fremder! Herr! Komm'! Wir gehen! Schnell! Dreh' Dich nicht um, das ist eine Sünde!" schrieen sie und liefen eilig den Hügel hinunter. Alerander folgte ihnen mechanisch, plötzlich aber blieb er stehen und ging zurück.

Die Sonne stieg leuchtend höher. In der Luft lag ein zarter Staub von Eiskörnchen, die Ueberbleibsel des gestrigen Unwetters. Traurig sahen die schwarzen Wälder aus, die Bäume neigten sich im Winde. Der Schnee ringsum war zertreten. An den Hängen der Berge, unter den Gebüschen, hatten sich ungeheure Schneemassen angehäuft. An einzelnen Stellen durchschnitten sie die wie mit einem Instrument ge­zogenen Engpässe. Die Gipfel und Höhen der Ferne schienen zu rauchen: dort strich der Wind dahin und trieb sein Spiel mit dem Schnee.

Im Hofe vor der Jurte standen die Jakuten und blickten ängstlich nach dem schwarzen Punkt, der sich scharf vom Hügel abhob. II.

Stundenlang ging der Weg durch einen dichten Wald, schließlich lichteten sich die Reihen der Bäume und die Schnee­decke, die auf den Seronen lastete, wurde weniger schwer. Vor den Reisenden lag eine weite Ebene, und die langen, abend­lichen Schatten der Bäume erschienen im Lichte der unter­gehenden Sonne wie Gespenster  . Verlorene Sonnenstrahlen huschten über die Spuren der Reisenden, drangen durch die Sichten Zweige und warfen einen goldenen Schimmer auf die schwarzen Baumriesen.

Alexanders Pferd wurde ungeduldig, es warf den Kopf zurück, riß an der Trense, aber ein fleiner Schlitten, den ein starker Ochse 30g, ließ es nicht vor. Auf dem Ochsen saß ein zusammengeduďter, in Pelz gehüllter Jakute und pfiff sein

Mama ist gestorben," verbesserte er. Nun hast Du Lied. Der hatte keine Eile. Alexander sah in Gedanken vor niemand mehr als Deinen Papa."

Und alle Jakuten?..

" Dein Papa hat auch Freunde, gute Leute, aber die sind weit, weit weg. Auch unter den Jakuten giebt's gute Menschen. Willst Du den Papa lieb haben?"

Die Kleine senkte ihr Köpfchen und begann eifrig Knöpfe an seiner Bluse zu betrachten.

die

sich und ließ dem Pferde die Zügel. Aber als sie aus dem Dickicht hinauskamen und ein Seitenweg sich zeigte, der zum kleinen Häuschen an der Wiese führte, wich Alexander dem Safuten geschickt aus und schlug, über einen ungeheuren Schneehaufen segend, jenen Weg ein. Sein Pferd begrüßte das Haus mit lautem Gewieher. Mit Freudengeheul kam ihnen ein großer, schwarzer Hund entgegen.