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Ajar! mein gutes Zier! Hast den Herrn erkannt!" fagte Alexander und stieg vom Pferde. Der Hund sprang an ihm in die Höhe und versuchte, ihn ins Gesicht zu lecken. Gleichzeitig erschien ein bärtiger, untersetter Mann in der Thür, mit ungeheurer Pelzmüze, hohen pelzgefütterten Stiefeln und einem aus Rentierleder gefertigten Mantel, den er nachlässig umgehangen hatte. Er sah den Angekommenen einen Augenblick starr an, schob die Brille zurecht, dann, als er ihn erfannt hatte, ging er ihm mit ausgestreckter Hand entgegen. Alerander schüttelte ihm schweigend die Hand und schirrte das Pferd ab.
Soll ich helfen?" fragte der Gefährte und blieb in einer gewissen Entfernung vom Pferde stehen, das ihm die Zähne wies und nach ihm beißen wollte.
„ Lieber nicht, Jakob. Wrony beginnt schon bös zu werden."
„ Das war ein schwerer Weg, Wrony ist mager geworden. and was macht Deine Frau?"
Meine Frau jie ist gestorben," sagte Alexander leise. „ Gestorben!" wiederholte Jakob und trat unwillkürlich einen Schritt zurück.
Alerander jenkte den Kopf und begann mit zitternden Händen die Riemen zu lösen.
„ Gestorben!" sagte Jakob noch einmal.
Der Schlitten fuhr in den Hof. Alexander holte fein in Pelz gehülltes Töchterchen unter der Filzdecke hervor und trug es in die Jurte. Jakob folgt eilig.
Sie zogen das Kind aus und setzten es auf den Boden. Die Kleine rieb ihre verschlafenen Augen und schien schlechter Laune. Alexander und der Jafute brachten die auf dem Schlitten hergeführten Sachen hinein.
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Weine nicht, fleines Fräulein," tröstete Jakob. Ich bin kein Fräulein!"
Aber Thee trinkst Du gewiß gern und magst auch einen runden Kuchen? Wart' nur, gleich sollst Du's haben." Die Kleine fah ihn durch die Fingerchen an, die sie vor die Augen gedrückt hatte.
,, Und Du wirst bei uns wohnen?"
Gewiß, ich bin der Onkel Jakob. Einverstanden? Set' Dich nur an den Tisch und ich bad' Dir unterdessen einen Kuchen. Wie heißt Du denn?"
„ Zofia!"
Eilig fletterte sie auf den ihr gezeigten Platz und stemmte die feinen Elbogen auf den Tisch.
,, Du wirst beim Papa sein wie die Mama? Bist Du vielleicht eine Jakutin?" Und dabei sah sie Jakobs Hantierungen aufmerksam zu.
Das Gesicht des Mannes wurde traurig. „ Nicht ganz. Nur ein wenig!" " Ich aber bin ganz sein Töchterchen. Wirklich, ich bin's! Papa, er glaubt's nicht und schüttelt den Kopf!"
Alexander, der mit dem Jakuten die letzte Kiste herein trug, warf ihr einen verschleierten Blick zu und blieb schweigend und düster vor dem Kamin stehen. Das Gespräch stockte.
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Jakob schwieg in Gedanken.
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Die Jafuten find sehr aufgeregt," fügte er nach einigen Augenblicken hinzu.
Alexander zuckte die Schultern.
Was kann ich denn dafür!"
Der jalutische Fuhrmann hatte feinen Thee getrunken und wartete aufs Geld. Alexander hatte mit ihm ausgemacht, daß er ihm bei einigen notwendigen Arbeiten in der Wirtschaft helfen sollte. Er sollte Eis aus dem See holen, denn es war schon Zeit, Eis für den Sommer an fühler Stätte zu bergen, und Alexander wollte sein Pferd nicht für diese Arbeit hergeben. Schneewasser fann man hier nicht zum Trinken benüßen, da es faulig riecht. So nahm denn der Jafute seinen Schlitten mit dem vorgespannten Ochsen und fie fuhren in den Hohlweg, wo ganze Reihen von krystallenen Tafeln aufgeschichtet lagen, die schon im Herbst vorbereitet worden waren.
Das Abendrot war verschwunden und der Himmel mit Sternen bedeckt. Beim Glanz derselben arbeiteten fie lange. Nachdem der Jakute fort war, hantierte Alexander noch eine Weile allein im Hofe, er rückte alles zurecht, befreite den Heuschober vom Schnee, machte die Krippe fürs Pferd sauber. Jakob verdächtigte ihn, daß er nach einem Vorwand suche, um einem Gespräche zu entgehen, denn manches hätte ebensogut am nächsten Morgen erledigt werden können. Endlich trat er müde, mit Reif bedeckt, zur Thür hinein.
„ Papa, schlafen!" rief 3ofia weinerlich.
ch wollte sie zu Bett bringen," erzählte Jakob,„ aber fie war unartig und hat sich gefträubt. Nun, bist Du fertig?" " Ja, beinahe."
Alexander nahm die Kleine auf den Arm und sie begannen geheimnisvoll miteinander zu flüstern. Jakob schloß sein Buch und jah in Gedanken ins Feuer. Bald setzte sich Alexander neben ihn. Das Kind schlief. Lange schwiegen beide und wußten nicht, womit beginnen. Alles schien ihnen so nichtig, und der Schmerz des einen war so schwer.
Sei ruhig! Die Zeit mildert alles," flüsterte Jakob schließlich und legte dem Freunde die Hand tröstend auf die Schulter.
( Fortsetzung folgt.)
Romanfocialismus.
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Eugen der Unenitvegte hat sich bekanntlich zum erstenmal den einmütigen und begeisterten Beifall aller Schattierungen von Bildung und Befiz verdient, als er vor etlichen zehn Jahren den Pegasus be stieg und in den ahnungsvollen Visionen der Socialdemokratischen Bufunftsbilder" ein unbergängliches Meisterwerk manchesterner Dichtung schuf. Die jetzt schon fait vergessenen Tage, da Sparagnes und Strampelannie populäre Figuren waren, werden in die Erinnerung zurüdgerufen durch zwei sogenannte Romane, in denen fociale Frage und Socialismus eine große Rolle spielen, durch Mar Nordaus Krankheit des Jahrhunderts"( 6. Auflage, Leipzig , B. Elischer Nachfolger) und Pawell Rzeznits Pfarrer Krul ( Berlin , 1902. Verlag des„ Arbeiter"). Beide Opera nemen fich Roman". Rzeznits Buch erhebt sogar den Anspruch, ein focialer Roman" zu sein. Daraus folgt ja nun noch nicht ohne weiteres, daß fie den Titel auch wirklich verdienen. Und in der That verdienen sie ihn ebenso wenig, wie Richters Zukunftsbilder" eine humoristisch- satirische Erzählung" zu heißen berechtigt waren. Aber Sein dunkles Geficht war eingefallen, die Züge spit fie stehen nicht allein in ihrem Kunstwert auf einer Linie mit jener geworden, die schmalen Lippen preßten sich noch fester gegen prächtigen Schöpfung Richterscher Muse, sie halten ihm auch die Wage einander, das Kinn trat scharf hervor, und die großen, dunklen in zutreffender Wiedergabe der socialistischen Gedankentvelt und ihrer Augen hatten ihren früheren Glanz verloren. Er stand ge- praktischen Konsequenzen. Sie dürfen also der gleichen erheiternden bückt da, mit schlaff herunterhängenden Armen. Jakob wagte Wirkung gelviß sein, und insofern können fie, wenn nicht zur Roman, weder ihn zu trösten, noch zu fragen, wo seine Frau gestorben fo doch zur Unterhaltungslitteratur gerechnet werden. und wo sie begraben sei. Dieser Mann genügte sich immer Die fünstlerische Bedeutung des Nordauschen Machiveris erhellt felbst. Außerdem legte ihm die Anwesenheit des Jakuten our Genüge aus der probaten Methode, durch die er sein Buch zu einen gewissen Zwang auf.
Jakobs ganze Aufmerksamkeit nahm sein Kuchen, den er in einer eisernen Pfanne but, in Anspruch. Mitunter aber betrachtete er verstohlen den Freund. Eine große Veränderung fiel ihm auf.
Was giebt's zu Hause? Was machen die Jakuten?" " Nichts besonderes. So lang' Du weg warst, sind sie nicht einmal gekommen. Der Herr ist fort, da giebt's auch teinen Thee." Ich hab' nur gehört, daß die alte Geschichte mit den Tartaren wieder im Gange ist. Immer wieder die alte Leier."
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jenem glücklichen Ende führt, womit das Werk gekrönt wird: während man sich gerade den Kopf darüber zerbricht, was aus der völlig unabgeschlossenen Entwicklung der Strohpuppe von einem Helden nun eigentlich werden mag, fällt auf einmal als deus ex machina ein fleiner Junge ins Wasser. Bei dem Rettungswerk ertrinkt dann der Doktor der Philofophic, Eynhardt, und Herr May Nordau ist aus allen Schwierigkeiten heraus. Ein ganz gewaltiger Denter und Ge= lehrter war dieser Dr. phil . nach unsrem Dichter. Jedenfalls, eine Auch ich hab's gehört. Ist der Zasiedatiel) gefchreiben, war er in hervorragendem Maße berufen. Das beweist ..Geschichte der menschlichen Untwissenheit" als sein Lebenswerk zu der gute Mann bei Gelegenheit einer socialdemokratischen Versammlung im Tivoli, wo er sich zum Volk herabläßt und den unwissenden Arbeitern, die in der Gründerzeit nach Nordau durch„ Neid und Uebermut" für die Umsturzreden socialistischer Heber empfänglich „ Nein, aber man erwartet ihn. Willst Du mit ihm geworden sind, seine überlegene, socialpolitische Weisheit verzapft. reden?" " Ich werde hingehen."
*) Basicdatiel ist der von der russischen Regierung zur Kontrolle fämtlicher Angelegenheiten gesandte Beamte. fommen?"
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Die Schilderung der Versammlung ist ein Meisterstück des Realismus, von dessen Lebenswahrheit einen fleinen Begriff geben