Unterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 2 sis
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15] 5 Im Kreife.
Sonntagio98. Dezember.
( Nachdruck verboten.)
Erzählung von Waclaw Sieroczewski. Gratis Deutsch von Nofa Schapire.
Wenn es ein großer Fisch war, der den Kahn hätte umiverfen fönnen, ließ Alerander das Netz wieder fallen und ruderte bis zur Untiefe zurück. Dort stieg er aus dem Kahn, zog die Beute vorsichtig an sich und betäubte den Fisch mit einem starken Schlage. Kleinere Fische zog er ohne weiteres heraus und warf sie im Netz in den Kahn, wo sie lange gegen den Rand schlugen Manchmal vergingen zwei und drei Tage, ehe ihm etwas ins Netz fam. Seitdem Froschauge fort gegangen war, fing er immer weniger, denn er fonnte mir einmal im Tage Netze auswerfen. Wenn das Netz lange unbeweglich an einer Stelle stand, hörten die Fische auf, dort ihr Spiel zu treiben, denn die Pflöckchen, die Schnüre und Maschen machten ihnen Angst. Die Bucht hatte nicht viel Stellen, an denen sich Fische aufhielten und nach neuen suchen, war wegen der großen Entfernung unmöglich. Mitunter war es geschehen, daß, wenn er länger am Flusse geblieben war, er dann Zofia weinend im Hemdchen vor dem Hause fand. Er zankte jie aus, aber das half nichts.
Ich habe Hunger und fürcht' mich allein," rechtfertigte sich das arme Würmchen.
Der Fang wurde immer geringer. Auch die Vorräte gingen auf die Neige; es fehlte an Mehl, und Milch hatten sie überhaupt nicht mehr gesehen, seitdem Froschauge fort war. Dazu fam noch, daß die Jakuten wohl gemerkt hatten, daß er nur selten an die Bucht kant, sie begannen ihm allerlei Schabernack anzuthun, die Netze zu lösen, einmal banden sie jogar den Kahn los; sie konnten ihn nicht fortbringen, denn er war so klein, daß sie Angst hatten, sich hinein zu setzen, aber sie stießen ihn auf den Fluß. Alexander suchte lange, ehe er ihn fand, da die Strömung ihn mit sich geschleppt und ans Ufer geworfen hatte. All das ärgerte und kränkte ihn nicht wenig.
Wirklich, es wäre schon besser, alles aufzugeben und mur Zofias Erziehung zu leben!"
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" Diese Lumpen! Diese Lumpen!" wiederholte r werd Euch!"
i wieder begannen zu verschiedenen Tages- und Nachtzeiten die Vorübergehenden der kräftigen, bärtigen Gestalt mit der Waffe über der Schulter zu begegnen.
„ Schläft dieser russische Teufel nicht?" schimpften sie. Der fungert um sein Feld rum und um seine Neße, wie ein Bär um seine Höhle."
Er drohte ihnen nicht, er folgte nur jedem mit langem, durchdringendem Blick und fragte die Fremden kurz: Wer seid Ihr? Woher und wohin?"
,, Gott bewahre! Der wird uns noch was anthun!" schreckten sich die Leute gegenseitig, wenn sie von ihm sprachen. Die Vorüberfahrenden knallten, wenn sie ihn sabe mit der Peitsche und zogen die Zügel strammer, die Fußgänger sogen die Mütze schon von weitem und kamen schüchtern here in so besser! Wenn man hier nur mit Gewalt was ausrichten kann, dann sollen sie sich fürchten!"
Und die Angst der Leute, denen er unvermutet im Walde begegnete, ihre zitternden Lippen und die furchtsam aufgeriffenen Augen machten ihm keinen Eindruck mehr; er empfand diesen schmerzlichen Druck nicht mehr, daß sie ihn nicht fennen, nicht verstehen. Er versuchte es auch nicht mehr mit freundlicher Ueberredung.
Ich will ihnen wohl," sagte er sich, aber sie sind wild und können nur mit Furcht im 3aume gehalten werden."
Er gob ihnen sogar bis zu einem gewissen Grade recht, er erinnerte sich der Worte des Kenias und sagte sich, daß sie eine gewisse Achtung verdienen, aber seine frühere warme Zuneigung war verschwunden. Und wenn er die Jakuten der Schar aller derjenigen zuzählen wollte, unter deren Los er litt, für die er einmal Hab und Gut und die Freiheit geopfert hatte, dann sprach keine Stimme mehr im Herzen für sie. Es war ihm nicht möglich, den Zeugen und zum Teil den Urhebern seiner Demütigungen zu verzeihen. Er konnte ihnen seine Verzweiflung beim Anblick seiner aus Ufer geworfenen Netze und den Hunger, der auf ihn lauerte, nicht verzeihen, und auch den zertrümmerten Schädel seines erschlagenen Pferdes konnte er nicht vergessen. Sie bewarfen ihn mit Kot, legten ihm abscheulige Dinge zur Last, fie rijjen an seiner Seele wie an einer gesprungenen Saite. Nein! Warum sollen sie nicht auch leiden! Fühlen, wie er fühlt! Aber warum? Weshalb? Sind sie den schuldig? Und wen müßt es?"
Diese Gedanken schiittelte er wieder ab, er liebte es nicht, zuviel mit Grübeleien zu quälen.
"
Schuldige giebt es nicht, aber Hindernisse! Und ich sehe keinen Ausweg!"
Er lachte bitter. Warum sich selbst was vormachen? Er fannte die Eingebornen, er wußte, daß sie ihm nicht einmal das geben würden, was sie versprochen hatten, und wenn fie erst die Sicherheit hatten, daß sie ihn ungestraft chifanieren können, so würden sie ihn so lange quälen, bis sie ihn los Die Kampfbedingungen können sich ändern, aber der sich Kampf bleibt bestehen, und sein Leben wird eine Kette von Elend, Hunger und Demütigungen werden, wie es allen denjenigen erging, die eine gewisse Angst und Schüchternheit Aber nach welchem Ausweg strebte er? Dies sollte doch verraten hatten, oder die durch Krankheit gehindert waren, der Anfang sein. Zum erstenmal fämpfte er für seine eignen ihren Mann zu stehen. Da ist's ja besser, ein Ende zu machen, Interessen, und er sah sich ganz auf sich selbst gestellt. Und das Kind zu töten und sich selbst das Leben zu nehmen! wandte er nicht die gleichen Mittel an, wie jene AuswürfDenn um in die Stadt zu gehen, dafür gab's ja keine ge- linge der Gesellschaft, für die es auch keinen Ausweg gab, nügenden Gründe; sie würden ihn sicher wieder zurückschicken. und die den Jakuten so viel Angst machten! Was müßte es, Sein Gesicht verdüsterte sich bei diesen Gedanken, und er war wenn er sich vornahm, in Zukunft anders zu sein? Hört ein so verstimmt, daß es selbst die kleine Zofia merkte und sich Unrecht je auf, ein Unrecht zu sein? bemühte, ihn aufzuheitern.
In seinem Stopfe jagten sich quälende Gedanken, die er mit schwerer Arbeit 31 betäuben suchte. Sein Lächeln schwand, er wurde mager und blaß. Und dabei war die Arbeit nur Qual, denn sie entfernte ihn vom Hause und er lebte in beständiger Angst um das Kind, um das Haus, um das Feld. „ Sie werden's anzünden. zertreten!" sagte er sich.
Alexander brauchte all seine Kraft auf, um Eßbares zu schaffen und es einigermaßen bis zur Ernte aushalten zu können. Mit einem geflochtenen Wehr schloß er die Bucht vom Hauptfluß ab, stellte eine Fischreuse auf und warf die Neßze an andrer Stelle aus. Er versuchte sogar im See zu fischen, wo es eine Menge Karauschen gab; bald aber gab er es auf, dem ein Bär machte ihm Koufurrenz.
Gerade um diese Zeit brachte Ajar, der bei den täglich Inapper werdenden Vorräten seinem eignen Unternehmungsgeist überlassen war, ein Stück faules Fleisch nach Hause. Das schwarze Fell fiel Alexander auf, er begann den Hund zu beobachten und fand denn auch bald an einer abgelegenen Stelle halb verscharrt, etwas benagt und schon ziemlich faul: Und Zosia blieb immer häufiger allein in der Zurte. Wronys Kopf, sein Hell und die Beine, Dinge, die den Dieb zur Zeit der Revision am schnellsten verraten hätten. Alexander überwand seinen Ekel und hob den Schädel seines treuen Gefährten und Mitarbeiters in die Höhe. Der Schädel machte einen entsetzlichen Eindruck. Das glatte, feuchte Ding eutglitt Aleranders Hand und fiel wieder in sein Lodrück. Er wischte sich die Hand im Grase ab und cilia fort, ohne selbst dem Hunde zu pfeifen, der sich bechaebüsch verbarg. Alerander fühlte, wie sich ihm ienstehle zusammenschnürte, wie ihm Thränen aufstiegen. Er hatte dies Pferd als junges, noch nicht zugerittenes Fohlen gekauft, und lange war es zusammen mit Ajay sein Gefährte in der Verbannung gewesen.
Als er sich eines Tages länger an der Bucht aufhielt, hörte er im Walde ungewohntes Geräusch. Er glaubte, Schadenstifter auf frischer That ertappen zu können, schlich sich leise durchs Gebüsch, um ihnen am Wege aufzulauern. Das Kinaden der Zweige, die unter seinen Füßen brachen, übertönte das Geräusch für einen Augenbt, aber aus dem