Anterhaltungsblatt des Vorwärts Nr. 19. Mittwoch, den 28. Januar. 1903 (Nachdruck verböte».) Der)VIüUerbaiines. Roman aus der Eiset von Clara Viebig  . Sonst war Tina immer gelaufen, aber nein, heut, jetzt, wo sie ganz bestimmt wußte, daß sie noch einmal gesegnet war, kam sie ein Stolz an. Wenn Hannes freundlich gesagt hätte, gewiß gern, aber so nein. Der Eigensinn der Schwachen gesellte sich dem Stolz. Ich gehn net mehr in den Keller. Wann Du eweil noch Bier trinken willst, mußte Dir dat selber holen gehn ich net!" Er sah sie einen Moment ganz verdutzt an was was sagte die?! Aber dann brach er los, er griff sie am Arm und zog sie zur Stubenthür. Aber sie widerstrebte: nein, nein, nun erst gcrad nicht! Sie ging nicht in den dunklen Keller, wo die Stufen glitschig waren und jeder Schritt ein Fehltritt sein konnte! Mit Kraft riß sie sich los und kreischte ihm ins Gesicht: Et u> cii Schand, wie Du bis Du bis ja besoffen aber wart, ich schreiben et nach Haus ich sagen et meinem Vadder!" Sie hätte nie daran gedacht,'daS zu thnn, aber nun erschien es ihr Notwehr. War sie sich nicht auch was schuldig, sich und dem Leben, das- die lieben Heiligen in ihren Schoß gesenkt? Er hatte Lust, sie zu schlagen, das sah sie ihm wohl an, aber nein, das durfte er jetzt nicht. Jetzt nicht! Ihre sanften Augen flammten- kam er ihr nicht schon drohend näher, zuckte es ihm nicht schon in der Hand? In höchster Erregung hob sie die Arme und hielt sie sich schützend vor: Untersteh Dich noch ehs, riihr mich net an!" Und nun noch einmal lauter:Rühr mich net an!" O lau bis Du geck?!" Er verstand nicht ihre Exaltation, er hielt die fiir Frechheit. Was, auch sein Weib wollte ihm trotzen?! Hatten sich denn alle gegen ihn verschworen: der Laufeld  , die Müller, der Vater, der Advokat? Nun, mochte selbst der Alte ihm obstinat sein, aber hier hier zu Haus wenigstens ging's nach seinem Kopf. DaS Weib sollte still sein mit seinem Gekreisch, es machte ihn toll, ganz rasend. Biste still," briillte er sie an; aber sie schrie unter Schluchzen: Bis Du nur still! Eine andre Hütt' sich sechsmal be­klagt, ich sein alleweil still gewesen: aber eweil will ich reden, über uns is doch dat Unglück! Et is über der Mühl', ich weiß et als längst. Du has verspielt, ich bau verspielt, mir hau all verspielt! Kuckste" ihre großen Augen starr aufreißend, wies sie mit zitterndem Finger nach dem Fenster, durch das der dunkle, winterkahle Hang aus zerrissenem Nachtgewölk hereindräuteda hängt et, da lauert et über der Mühl', et wart nur sein Zeit ab o Mann, Mann" ganz außer sich schlug sie die Hände zusammenda is nix mehr zu machen!" Nu kriegen ich et aber satt!" Ein Grausen war dem Manne über den Leib gefahren was meinte sie, war- wußte sie? Vorwürfe? Nein, sie machte ihm ja gar keine, aber doch hörte er die. Und er wollte nichts hören zum Donner noch einmal, still nein, gar nichts hören! Packen wollte er das vorlaute Weib, gegen die Wand schleudern --Rühr mich net an!" schrie sie gellend auf. Er hatte sie um den Leib gefaßt, alle Besinnung hatte ihn ver- lassen, was er mit ihr wollte, wußte er selber nicht still sein sollte sie nein, keine Vorwürfe die Mühle war noch sein und er stand da, groß und mächtig, er, der Müller- Hannes was rief sie die Angst, daß die ihn nun plötzlich packte? Nein, keine Angst wovor denn, warum denn tot machen mußte man die Angst, daß die nie mehr lebendig wurde so so nie mehr Hannes rühr mich net an ich sein Hannes!" Halb gewürgt schrie s«, sie stieß ihn zurück er ihr nach, wie ein Wilder hinter ihr drein hierhin, dorthin aus dieser Ecke in jene zur Thür wollte sie hinaus, seine breite Gestalt verstellte den Ausgang. Da stürzte sie zum Fenster, riß es auf, mit einem Schwung war sie oben, und nun sprang sie hinab, strauchelte, raffte sich auf und jagte fort, in sinnloser Angst. In den Stall? Hinter die Holzstapel? Da würde er sie zuerst suchen weiter, am toten Mühlrad vorbei, hin- unter ins tote Gärtchen, dessen Beete in Schnee und Schmutz und Nacht versunken waren. Kam er auch hierhin nach?! Sie hörte seine Stimme: Tina! Tina!" Es klang furchtbar. Ganz klein kauerte sie sich hinter einer Hecke zusammen, da horch ein Knall! Jesus Maria, das war ein Schuß! Jetzt hatte der Hannes wohl das Gewehr von der Wand gerissen,'s war lange her, daß ein Freuden- schuß daraus abgegeben schoß er dnrch's Fenster? Tina, Tina!" Sieh', wieder ein Feuerstrahl, sie konnte seine Gestalt erkennen er stand am Fenster, das Gewehr an der Backe. In tödlichem Entsetzen kniff sie fest die Augen zu und preßte die Hände gegen die Ohren oh, und jetzt, zu dieser Stunde höchster Not jetzt jetzt fühlte sie's plötzlich, wie sich das neue Leben in ihr regte. Da riß sie die Hände von den Ohren und rang sie empor zum stummen Himmel: Heilige Maria, Muttergotts, bitt' für uns!" XII. Hannes hatte geglaubt, die Bank habe nur von weitem nach seinem Holz geschielt und behalte das nun im Auge zur Sicherheit für die fehlenden Hypothekenzinsen: jetzt mußte er eine gewaltige Enttäuschung erleben. Ein Beamter war ge- kommen, hatte Stapelholz und Stammholz abgeschätzt, und im Wittlicher   Kreisblatt hatte die Bank gleich danach eine Anzeige erlassen, daß sie so und so viel Holz, lagernd auf dem Grundstück des Müllers Kirchweiler zu Maarfelden zu Verkauf ansbiete. War's möglich, das schöne Holz, das er um so vieles teurer bezahlt, vierhundert Thaler wenigstens war's wert sollte wegen der lumpigen zweihunderwierzig Thaler zum Teufel gehen?! Hannes war außer sich sein Holz, sein schönes Holz! Das durfte nicht geschehen, das konnte ja gar nicht ge- schehen, da mußte sich ein andrer finden, der für ihn einsprang, der Bank ihre Forderung bar zahlte. Pah, eine Kleinigkeit! Er hatte ja Freunde: da waren so viele, die mit ihm getrunken hatten. Die Zeit drängte jeden Augenblick konnte einer kommen, ihm's Holz vor der Nase fortholen, so fuhr er umher, von Bleckhausen nach Daun  , von Daun   nach Mander- scheid, von Manderscheid   nach Großlittgen  , von Großlittgen  nach Eisenschmitt, von Eisenschmitt nach Bettenfeld  , von Bettenfeld wieder heim niemand konnte ihm aushelfen. Als sei alles Geld aus einmal aus der Eise! verschwunden, so war's. Mir hau selber nix!" Und sie hatten doch was, er wußte es ja, sie wollten nur nicht! Da gab er das Suchen nach freundschaftlicher Hilfe auf. Das Gesicht, hochrot und gedunsen die jähe Angst, die das Weib in ihm geweckt, war ihm zu Kopf gestiegen und arbeitete da hinter der zusammengezogenen Stirn und klopfte hinter den Schläfen, als sollten die springen kam er zum Alten im Dorf. Der würde schon noch was haben, und der war ja sein Vater, der ließ ihn nicht im Stich. Ziemlich sicher forderte er Hilfe. Aber Matches war unwirsch: zweihundertvierzig Thalerl Was fiel ihm ein?! Und die Mutter mischte sich mit Klagen drein: sie wollten doch auch leben! Schreib an Tina sein Vadder" rief der Alte, und wurde ganz vergnügt bei dem Gedanken, einen Ablenker ge- funden zu habende' hat et ja derzu schreib er nur, schreib'!" Ja, das war eine gute Idee: der an der Mosel   mußte herausrücken, konnte es ihm ja von der Erbschaft abziehen rasch, rasch, da tvar keine Zeit zu verlieren! Aber schreiben dauert viel zu lang, weit besser, mau fuhr sofort selber hin und holte sich gleich das Geld. Spornstreichs lief Hannes nach Haus zurück: er fühlte sich wie von einer körperlichen Pein erlöst, rasch schon von