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Das alles wäre aber unnüz gewesen, denn der Kurfürst ent brannte, je mehr das Kind Sybilla zum Weibe erblühte, in desto größerer Liebe zu ihr. Ein Jahr nach seiner Heirat, 1693, ließ er sie durch den Kaiser zu einer Reichsgräfin v. Rochlik erheben, schenkte ihr das Schloß Pillnitz   und ließ sie das frühere Dresdener  Finanzministeriums- Gebäude bewohnen, welches durch einen unter irdischen Gang mit seinem Schlosse verbunden war. Die Pfiffigkeit der Mutter Sybillens drängte darauf hin, ihrer Tochter den gleichen Rang bei Hofe wie der Kurfürstin zu verschaffen, und so wurde denn auf ihr Betreiben eine förmliche Urkunde ausgestellt: ein schriftliches Cheversprechen an Eidesstatt, im Datum zurückgehend bis vor die Heirat mit der brandenburgischen Prinzessin. In diesem Dokument bekannte sich Johann Georg IV.   als Bigamist. Es heißt darin: Kund und zu wissen, daß ich solches für eine rechte Ehe halte und erkenne, indem jenes nur eine zugefehte Sache von der Kirche, dieses aber eben so viel ist; sollte also Gott   uns in solchem diesem Ehestand ſegnen, so bekenne frei vor männiglich, daß solche vor meine rechte und nicht unrechte Kinder zu halten sein; um aber feine Berrüttung und Streitigkeiten in dem Kurhause anzufangen, sollen diese meine rechte Kinder keinen Teil an diesen Landen und Kurwürden haben und allein diese meine Ehefrau Gräfin und sie Grafen   genannt werden.... Ferner auch will ich mir aus­genommen haben, frei zu sein, noch eine Frau zu nehmen und zwar von gleichem Geblüt mit mir, welche den Namen vom Kurfürft führen und ihre durch Gottes Gnade von mir zeugende Kinder die recht­mäßigen Erben dieser Kur und Lande sein sollen indem feines­wegs in der heil. Schrift zwei Weiber zu haben verboten, sondern Erempla anzuführen wären, worinnen es selber von unsrer Kirche zugelassen ferner habe auch gebeten, solche Schrift niemanden zu weisen, es sei denn höchst nötig" usw. Es ist offenbar die Sorge um die Kinder gewesen, welche die Neitschütz, Mutter und Tochter, veranlaßt hat, dem Kurfürsten so Lange zuzusehen, bis er dieses sonderbare Schriftstück unterschrieb. Dazu aber bedurften sie keiner Zaubermittel", da der Kurfürst offenbar geistig höchst beschränkt gewesen ist. Er war einstmals bei einem Ausritt, hinter seinem kleinen Türken, so ihm etwas zuwider gethan", ungestüm hergalloppiert, war dabei aber mit der Stirn so heftig gegen einen unversehens zufallenden Thorflügel geprallt, daß er rücklings vom Pferde fiel und für tot aufgehoben wurde. Von diesem Unfall hatte er eine Gehirnerschüterung davongetragen, daß er von der Zeit an nichts als ungestüme und unordentliche Regungen empfunden und mit ihm sowohl in gemeinen als in wichtigen Dingen schiver umzugehen gewesen".

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Die Bevölkerung Dresdens   war über das Verhältnis höchst auf­gebracht. Der damaligen kleinen Lakaien- und Spießerstadt, die ganz vom Hofe abhängig war und auch die Hofvorgänge aus nächster Nähe beobachtete, war die Maitressenwirtschaft noch etwas Fremdes. Unter dem folgenden Kurfürsten, August dem Starken, sollte sie jedoch von ihrer Prüderie gründlich kuriert werden. Vorläufig murrte sie heimlich und öffentlich über den Maitressenstandal, zumal die Neitschübschen Damen mit großer Prätension öffentlich auftraten. Die Mutter sprach vom Kurfürsten stets als von ihrem lieben Herrn Sohn", die Tochter aber nühte das Verhältnis diplomatisch und politisch aus. 1693 ließ sie sich vom englischen Hofe mit 40 000 Thalern bestechen, um den Kurfürsten an des Kaisers Seite gegen Frankreich   zu erhalten. Im selben Jahre veranlaßte sie den Kur­fürsten dem Kaiser, zum Dank für ihre Erhebung zu einer Gräfin v. Rochlik, 12 000 Mann Kriegsvolk zur Unterstüßung gegen Frank­ reich   an den Rhein   zu senden. Der Wiener Hof wollte sie dafür, nach beendetem Feldzuge, zur Fürstin erheben, da traf sie das Unglück, die Kinderblattern zu bekommen an denen sie am 4. April 1694 starb. Die Neitschütz wurde mit einem ungewöhnlichen Pomp beerdigt und in der Sophienkirche  , hinter dem Altar, beigesetzt. Aus dem Umstande, daß Johann Georg   der Tod Sybillens sehr nahe ging, wollte man wieder auf Zauberei und Hererei schließen, und im Volfe fursierten viele Geschichten, wie ängstlich der Kurfürst an der Leiche gethan habe. Jedoch Sybillens Mutter faßte die Sache praktischer an. Sie führte dem Kurfürsten das Gesellschaftsfräulein der Ver­storbenen Agnes v. Kühlau zu und nach den Worten, die das Urteil aufbewahrt hat, sagte sie dabei: Euer furfürstliche Durchlaucht werden doch um meiner Tochter willen die ganze Welt nicht meiden! Es ist Ihnen so viel gesünder!"

Der Kurfürst fonnte sich aber nicht lange mehr mit Gedanken um eine neue Liebste plagen. Die Leiche übertrug ihm bei zu zärt­licher Berührung, ihre Krankheit und fünfzehn Tage nach dem Be­gräbnis, am 27. April 1694, starb er plötzlich. Er wurde zu Freiberg  , der alten Bergstadt, begraben.

Der ungeheure Standal, der nicht bloß dem Kurfürsten persönlich anhing, sondern auch das Ansehen der Krone schwer schädigte, mußte in der einen oder andern Weise getilgt werden, und der Dresdener Hof unternahm dies, indem der neue Kurfürst, der Bruder des Ver­storbenen, August der Starke  , die im Volte ausgesprengten Gerüchte aufgriff: die alte Neitschütz sei eine Here, sie und ihre Tochter hätten den Kurfürsten Johann Georg   behert, so daß er nur ihr willenloses Opfer gewesen sei. Auf solche Weise konnte man alsdann den verstorbenen Surfürsten als Unschuldigen und Gequälten hinstellen, alle Schuld aber auf die beiden Neitschüz abwälzen. Solche Lösung der schlimmen Affaire hatte um so mehr für sich, als sie durchaus im Geiste der Zeit war. Ueberall wurden Heren verbrannt, und bei allem, wofür das Bolt keine plausible Erklärung fand, sprang der Aberglaube helfend ein,

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So kam die Mutter der Neitschütz auf das Dresdener Rathaus als Gefangene und das Verhältnis ihrer Tochter mit dem verstorbenen Kurfürsten wurde zur Grundlage des Herenprozesses. Die alte Neitschütz saß anderthalb Jahre in dem sogenannten Quatemberstübchen des Rathauses unter scharfer Bewachung. Die Anklage erhob zwei Beschuldigungen: die v. Neitschütz sollte den Kurfürsten Johann Georg   III. durch Zauberei ermordet haben, um den Kurfürsten Johann Georg IV.   zur Regierung zu bringen. Dann sollte sie auch diesen durch Zauberei verliebt gemacht haben. Auch gegen die bereits verstorbene Tochter wurde der Prozeß geführt. Drei Tage nach dem Tode des Kurfürsten wurde ihr Leichnam wieder aus der Hofgruft in der Sophienkirche   hervorgeholt und aufs neue, aber nicht auf einem Friedhofe, sondern auf dem freien Platz außerhalb der Sophienkirche eingescharrt. In dem Prozeß wurden vierundvierzig Personen, teils aus der Umgebung der Neitschüß, teils vom Dresdener Hofe als Zeugen ver­nommen. Die Untersuchng führte der Dresdener Amtmann in Ver­bindung mit dem Dresdener   Stadtrate. Neben den beiden Neitschütz war eine Anzahl niederer Helfershelfer" angeklagt. Am 28. Januar 1695 mußte die Traummarie", die man auf die Tortur gespannt hatte, die Kammerfrau der Neitschütz, Elisabeth Nitsche nebst ihrem Manne am Dresdener   Pranger stehen. Die Here aus dem Spree­wald" hatte man derart auf der Tortur gepeinigt, daß sie im Ge­fängnis starb; dasselbe Ende fand der Dresdener   Scharfrichter. Die alte Gräfin Neitschüß wurde mit Daumenschrauben gequält; als dann später die Affaire unter dem Volke vergessen war, schlug man den Prozeß nieder und entließ die Frau aus dem Gefängnis. Sie ging auf das Gut Gaussig bei Baußen, welches ihrem Sohne Rudolf v. Neitschütz gehörte. Dort starb fie 1713, im Alter von 63 Jahren. Die frühere Suppelmutter wurde eine wadere Matrone. Die Spuren der Daumenschrauben verbarg sie, indem sie beständig Handschuhe trug. Auf dem Schlosse Gaussig befand sich lange ein Gemälde, welches sie am Spinnrad darstellte. Ihr Fleiß soll so groß gewesen sein, daß sie während des Schloßbaues auf dem Gerüste saß und spinnend die Bauleute beaufsichtigte. Diese Arbeiter zu drangsalieren, reichte also ihre Tugend noch immer aus.

Die Liebe des Fürsten   zu Sybille war von der Familie Neitschü praktisch flug benutzt worden, um sich zu bereichern. Hand in Hand mit ihnen hatte der Kammerdirektor und Geheimrat v. Hohm ge= arbeitet. Er hatte das Land in unerhörter Weise bedrückt und aus­geplündert, derweilen die Neitſchütz den Kurfürsten in Liebesbanden hielt. Als ihn August der Starke 1694 auf den Königstein   schickte, fand man unter den Papieren dieses Mannes ein Buch mit dem Titel: Verzeichnis derer, so wir haben ducken müssen". Auch der Kur­fürst selbst stand im Verzeichnis der Duckenden. Hohm zahlte nicht weniger als 200 000 Thaler, worauf sein Prozeß niedergeschlagen wurde und er selbst die Freiheit wiedergewann. Emil Rosenow  .

Kleines feuilleton.

Mißbrauch der Flaschenposten. Gegenwärtig läuft eine kleine Notiz Oceanfahrt einer Flasche" durch die Zeitungen, in der erzählt wird, wie ein Amerikaner in einer Flasche eine Karte mit Grüßen ins Meer geworfen habe, wie diese dann in England auf­gefunden und beantwortet worden sei. Der kleine Vorfall kann dem Publikum nach der Schilderung leicht als ein liebenswürdiger fleiner Scherz erscheinen, der Nachahmung verdiene. aber ganz und gar nicht. Die Flaschenposten auf See sind eine bitter­ernste Sache, und bei näherem Nachdenken wird jeder die statt­gehabte Verwendung als einen tadelnswerten Mißbrauch ansehen müssen. Die Flaschenpost ist ein altes, primitives, aber auch heut noch nicht ersetzbares Verständigungsmittel der Seeleute. In der Flasche senden verunglückte Seeleute ihren Angehörigen vielleicht die letzten Abschiedsgrüße und Weisungen, ihren Reedern den letzten Bericht. Mit Flaschenposten versucht ein in der Nähe der Küste steuerlos treibendes Schiff Hilfe herbeizurufen oder machen Schiff brüchige einen letzten Versuch, mit vorübersegelnden Schiffen in Verbindung zu treten. Diesen ernsten Aufgaben entsprechend werden Flaschenposten auch auf das gewissenhafteste beachtet, und es liegt im allgemeinen Interesse der Seeschiffahrt, daß der Flaschenpost ihr ernsthafter Charakter unangetastet erhalten bleibt. Wenn nun aber ein großer Dampfer seine Fahrt unterbricht, um eine Flasche aufzufifchen, oder wenn Fischer an der Küste mit Dransehung ihres Lebens und ihres Bootes eine Flasche aus der Brandung holen und dann darin die Meldung finden, daß Mr. Smith diese Flasche in guter Gesundheit geleert hat, wenn ihnen beim zweiten Male Frau Müller die gleiche wichtige Nachricht giebt, da wird ihre Neigung zur achtsamen Beobachtung der Flaschenposten sicher nicht erhöht. Und das ist noch der günstigste Fall, daß der Finder den Inhalt gleich richtig verstehen kann. Oftmals werden Flaschen an Küsten angespült, wo kein Mensch die Sprache ihres Inhalts versteht, und das giebt dann leicht böse Weiterungen und Mißverständnisse. Es ist noch nicht lange her, da gaben auf einem Dampfer der Hamburg­Amerita- Linie die Fahrgäste ihrem Wohlbehagen durch eine Art von Riesenbierkarte Ausdrud, die sie alle unterschrieben und in eine Flasche steckten. Die Flasche trieb bemerkenswert rasch an einen Ort der brasilianischer Küste, wo kein Mensch Deutsch   verstand und wo man kombinierte, das Schiff müsse untergegangen sein und die Ueber­lebenden wollten der Außenwelt durch den von ihnen unterschriebenen Brief noch ein letztes Lebenszeichen geben. Der Untergang und die