Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 34.
34]
Mittwoch, den 18. Februar.
Der Müllerbannes.
1903
Wovon das arme Volf nur leben mochte?! Der Acker ( Nachdruck verboten.) trug doch noch nichts. Der Rauch, der ab und zu aus dem baufälligen Schornsteinchen aufstieg, sah nicht aus nach vollen Töpfen, ganz dünn und mager war er und verflüchtigte sich gleich, wie ein leichtes, bläuliches Nebelsäulchen in der starten Luft. Die Ziege, die angepflockt am Hang graste, hatte kein Strozendes Euter, und die wenigen Hühner, die beim Brunnen scharrten, fanden da wohl auch keine Haferkörner. Dem dicken Fresser, der früher nur Gutes geschleckt und sogar„ Schambannijer" getrunken, mochten die Happen, die es jetzt gab, wohl nicht schmecken!
Roman aus der Eifel von Clara Viebig . Die Fränz fam heraus. Sie ging gebückt, auf dem Buckel frug sie eine Last zusammengebundener Betten. Unwillkürlich fuhr der Theißen Willem zurück vor dem Blick, der ihn von unten her aus den schwarzen Augen des bleichen Gesichts traf. Etwas verlegen bot er seine Hilfe an; ohne Wort, nur mit einer trotzigen Gebärde, wies sie ihn ab. Aber ihr blasses Gesicht wurde blutrot, als sie all die neugierigen Gaffer sah. Rasch zog sie das Brett heraus, das hinten den Karren verschloß, warf die Betten hinauf und ging ins Haus zurück. Noch ein paarmal eilte sie schwer beladen hin und her, aber sie sah immer starr ins Zeere, als sei da niemand; feiner mehr bot sich an, ihr zu helfen. Die hochmütige Packasch, mochten sie sehen, wie sie allein fertig wurden!
Jezt kam die Alte; den Kopf ganz vermummelt, wanfte sie, ein Bündel unterm Arm.
Bei diesem Anblick erhoben die Weiber ein lautes Lamento:
Dat arm' alt Tier!- Jesses, Maria, so en Unglück auf die alten Täg." ,, Adjes, Großmutter, adjes!"
Viele Hände streckten sich aus, die Frauen weinten. Die Alte war ganz wie blöd; sie hatte mur acht auf ihr Bündel, und Thränen, wie sie die ganz Alten weinen, Thränen, die so dahin rinnen, ohne daß sich eine Muskel des Gesichts dabei verzieht, näßten ihre Wangen. Ohne Laut, ohne Wort, ließ sie sich auf den Karren heben, duckte sich da ganz eng neben die paar Hühner, die mit zusammengebundenen Beinen auf einem Häufchen lagen.
Wieder dauerte es eine Weile, die Erwartung wurde immer größer. Konnte sich der Müller denn gar nicht trennen? Jetzt-man hörte schwere Tritte im Flur jezt, aha!
Aber das neugierig erregte Gemurmel erstarb es wurde totenstill; selbst der Morgenwind, der im verstreuten Stroh raschelte und um die Büsche fäuselte, schien anzuhalten. Der Knecht des Dhein und die Fränz, die jetzt heraustraten, schleppten eine schiere Last. Bei Kopf und Beinen trugen fie einen leblosen Körper; faum schafften sie's, man sah es, dem Jakob knickten die Knie, und an des Mädchens Hals und Armen strafften sich die Muskeln zum Zerreißen.
" Jesus Maria, der Müllerhannes! Der war nicht betrunken was war geschehen?!"
-
" I hän tot?" Is hän schwach gefall?")- Holt *) Ohnmächtig geworden.
"
den Noldes!" Och, Dummheit, den!"„ Ne, bei den Herr Doktor!"" Jakob, wat is passiert, fag doch, wat?" Der Knecht zuckte nur die Achseln, feuchend unter der Last.
"
Plak!" sagte die Fränz hart und puffte gegen die Nächst stehenden. Mit verzweifelter Entschlossenheit lupfte sie den Kopf des Vaters auf den Wagen und legte ihn der Großmutter in den Schoß. Die Beine schob der Knecht nach. Er hätte gern noch den Fragenden Antwort gestanden, aber die Fränz drängte: Voran, mach!" Und griff selber nach der Peitsche: Hott, hahr!"
"
Der schwergeladene Karren schwankte langiam davon. Der Knecht führte das Pferd am Zügel. Die Tochter schritt nebenher.
-
XIX.
So war der Müllerhannes aus seiner Mühle gezogen. Der arme Sterl! Man sah's recht an dem:„ viel verthun un nig erwerben ist der Weg zum Verderben"! Aber daß es ihm so schlecht erging, wie jetzt, das hatte er doch nicht verdient! Da waren manche, die im ersten Sommer fleißig hinaus wanderten nach dem entlegenen Abbau und ums Häuschen vigilierten wie mochte es dem Hannes gehn?! Die Kinder belagerten förmlich den kleinen Hang mit dem grauen Nest, aber auch fie friegten faum jemand zu sehen; felten, daß sich die finstere Fränz blicken ließ, um an der Quelle Wasser zu schöpfen.
Die Gutherzigkeit der Dörfler regte sich zugleich mit der Neugier. In Maarfelden und Bleckhausen, den beiden nächſtbenachbarten Gemeinden, fanden sich barmherzige Seelen, die nur um einen Gotteslohn hinunterstiegen in die Schlucht, dort den einsamen, nackten Hügelfegel hinaufkletterten und auf der notdürftig zurecht gezimmerten Bank am Häuschen ihre Wohlthaten niederlegten: Brot, Mehl, Speck und sonst auch noch allerlei, was sie selber nicht mehr gebrauchen konnten. Gingen sie dann in den nahen Busch und rasteten ein wenig im Schatten, waren derweil gewiß die Gaben weg.
Der Winter machte solchen Liebesthaten ein Ende; dunkle Regenwolfen hingen dräuend über der Schlucht. Bald schneite der Abbau ein bis zum Dach, der Weg dorthin war fast unmöglich. In die dunkelste Versunkenheit dunkler Tage, dunkler Nächte fiel das dunkle Schicksal der Einsamen; beinahe vergessen hätte man sie, wäre nicht eines Mittags, blaugefroren, fast erstarrt und erschöpft zum Umsinken ein Mädchen oben vorm Dorfwirtshaus am Eingang von Bleckhausen erschienen, hätte dort angepocht und mit zuckenden Lippen und niedergeschlagenem Blick ein Gabe geheischt.
Herrje, war das nicht die Müllerfränz aus dem Abbau?! Der mußte es aber schlecht gehen, daß die bettelte! Die Müllerfränz bettelte! Ja, ja, der Hunger treibt den Fuchs aus der Höhl'! Die mitleidige Wirtin gab einen Topf Suppe und Brot. Etliche, die im Wirtshaus saßen, rannten geschwind heim und holten auch etwases thut so wohl, den„ danke" sagen zu hören, der sich vormals nie dazu geschickt. Kein andrer Bettler hätte so viel bekommen; beladen trat des Hannes Tochter den Heimweg an. Einige folgten ihr verstohlen von ferne und sahen, wie sie lief und dabei im Laufen schon sich vom Brot in den Mund stopfte, und dann immer schneller, schneller rannte, als sei der tiefe Schnee zu überwinden ein leichtes, weil daheim noch viel tiefere Not.
Die Bleckhausener gewöhnten sich daran, daß dann und wann das Mädchen aus dem Abbau erschien und sich etwas holte. Aber als einst ein Bursche, dem sie gefiel, ihr nachschlich, sie von hinten her umfaßte und ihr einen Kuß aufpreßte, stieß sie einen furzen, zornigen Schrei aus, schlug ihn mit aller Straft ins Gesicht und kam nicht mehr wieder.-
**
*
Der Frühling war erschienen. Der Abbau sah nicht ganz so traurig mehr aus, wie vor einem Jahr. Die zwei Pflaumenbäume hatten heuer viel Blüten, und die Henne hatte gekludt; zwölf goldgelbe Hühnchen piepten in der Sonne vor der Schwelle und die Mutter lief mit gespreizten Flügeln drum herum und schrie ängstlich, sobald ein Falke hoch in der Luft über dem Hügel stand.
Dann machte der Mann, der, einen Haselstecken zwischen den Knien, auf der Bank an der Hauswand saß, ein scheuchendes: SB, FB!" fuchtelte mit dem Stock und drehte den Kopf, den Gegenstand der Gefahr suchend, nach, allen Richtungen.
Des Müllerhannes Haar war weiß geworden vor der Beit. Den ganzen vergangenen Sommer, von jenem Tage an, da er die Mühle verlassen, bis zum Herbst, hatte er auf dem Bett gelegen in einer Dumpfheit, die ihm niederzwang. Im Winter war's nicht viel besser mit ihm geworden; aber jetzt hatte ihn der schöne Tag herausgelockt er suchte die Sonne.
-
-
Warm schien sie ihm ins Gesicht,- er blickte hinein, ohne zu zwinkern. Was, was war doch eigentlich mit ihm vorgegangen?! Wie er sich auch zuweilen besonnen hatte, es war ihm nie etwas flar geworden. Aber jetzt, so mit der Zeit, seit die Sonne so freundlich schien, heitt' war es ihm,