Unterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 36.
30]
Nacht.
Freitag, den 20. Februar.
( Nachdruck verboten.)
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1903
Nun durch den Busch hinauf, hier sich an der jungen Buche gehalten ei wie biegsam war die noch, und das Stämmchen so glatt, noch kein Riß in der Rinde- jetzt hier an der Eiche- aber die war schon älter, man fühlte es gleich an der genarbten Borke. Hopla jetzt über die Kiefer gestolpert, warum streckte die denn auch die knorrigen Wurzeln in die Luft? Ei ja, das arme Ding der Blinde bückte sich und fühlte nach es hatte einen schlechten Stand, nicht spatentief Erde, um die Wurzeln drein zu versenken, mur flippiges Schiefergeröllman fann's nicht begreifen, wie die so arm leben kann! hat Hunger wie emfig er klopft alle müssen sie heraus, die Larven und Maden aus der Baumrinde jetzt klopft er hier, jezt klopft er da. Und nun fangen zwei Häher an zu 3anken, sie flattern, daß man die schönen, himmelblauen Flügelbinden sieht, sträuben die hellbraunen Schöpfe gleich werden fie sich hacken, daß die Federn fliegen. Aber weiter, weiter, mur nicht so lang zugeguckt. Brombeeren hielten den Blinden fest und zerstachen ihm Hände und Gesicht.
Horch, da ist der Baumpicker, der Specht der Kerl
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Wenn ein Bienchen surrte, das hörte er; wenn sich ein Blatt regte, das hörte er auch. Immer waren da neue Stimmen. Am Abend kannte er sie noch nicht, den nächsten Morgen waren sie ihm schon vertraut. Neues kam ihm über Er hatte gestern, als er seine Bank gesucht, noch in die Nesseln gefaßt, und als er heut vorsichtig nach dem Siz getastet, um sich nicht wieder zu brennen, hatte er eine Blume zwischen den Fingern gefühlt, die schlank, mit vielen Stengeln, an der Hauswand emporgeschossen. Was war das für eine Blume, wie hieß sie? Das wußte er nicht, aber daß sie weiß war, das wußte er. Nur eine weiße Blume hat so feine Blütenblättchen, nur eine weiße fann so lind duften, und reibt man sie, so wie zarter Seifenschaum zwischen den Fingern zergehen. Und grüne, schmale Blättchen hatte sie am Stengel , Immer rechts mußte man sich halten immer rechts eins rechts, eins lints, immer so weiter hinauf, von der Wurzel daß der Felshang rechts bleibt und links unten im Grund bis zur Blütendolde. Wo war sie hergekommen in aller die kleine Kyll . So nun ist der Weg glücklich erreicht, Schnelle zwischen Abend und Morgenröte?! Hatte die Fränz der tiefipurige Holzweg, auf dem die Ochsen in den Wald sie hingepflanzt?! Onein, sie war geboren worden aus un fahren, die gefällten Stämme heimzuschleifen. Hallo!" merklichen Knospenja, der Herr Noldes hatte schon recht: Still! Der Blinde schlug sich erschrocken auf den Mund Es geschehen noch Wunder heutzutag, man muß sie nur pit, nicht so laut! sehen!
Und der Blinde sah sie. In heißen Sommernächten war's in der Hütte, in der einzigen Stube, wo dicht dabei die Ziege sich unablässig an der Stallwand schabte und die Hühner im Traum gaderten; unerträglich schwül. Dann saß die Fränz bei ihm draußen. „ Ha,") " Ha, en Stärnschnauz," schrie sie dann wohl plöglich auf und wünschte sich rasch was. Und: Ha, en Stärnschauz!" schrie der Blinde ihr nach. Er sah den funkelnden Flimmer oben am Himmel hatte er den denn nicht tausendmal gefehen, wenn er mit seinem Chaischen fröhlich heimfuhr durch die Heimatliche Bergflur? Aber so leuchtend war nie ein Stern niedergeschossen, wie jetzt dieser durch seine nächtliche Dunkelheit einen langen Schweif zog der hinter sich her von lauter Erinnerungen und blieb dann liegen hinterm vertrauten Mühlendach. Ja, die Mühle, die Mühle! Wie sie dastand im grünen Wiesenthal am Maarbach ), ganz ohnegleichen! Ach, die Mühle, die Mühle!
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Und während die Fränz, von der harten Arbeit des Tages ermüdet, den Kopf gegen die Schulter des Vaters fallen ließ und fest schlief, bekam Müllerhannes sehnsüchtige Gedanken. Aber auch wenn die Fränz wadh) gewesen, hätte er sie der nicht verraten. Die würde ihn ja nie und nimmer so weit allein gehen lassen und er mußte hin, ja, er mußte!
Ganz heimlich mußte er hin, wie ein Bursch' zu seiner Liebsten wie die jest wohl aussah, nun sie so gar allein war? Was würde sie sagen zu ihm, was würde er sprechen zu ihr? Mühle, Mühle, seh' ich dich wieder, o du Mühle, du Mühle!
In dieser Nacht schlief Hannes nicht, aber er warf sich nicht, ruhig lag er pit, pit, daß die Fränz nur seine Heimlichkeiten nicht merkte!
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Voller Ungeduld lauerte er darauf, bis sich die Tochter den nächsten Morgen anschickte, mit Spaten und Hacke auf den Acer zu gehen. Da arbeitete sie hangabwärts hinter dem Hause, vor dem Hause saß der Blinde.
Aber kaum hatte er ihre Schritte verhallen gehört, stand er mit schlauem Lächeln auf. O, feine Sorg', den Weg würde er schon finden!
Erst hügelab auf glitschigem, kurzem Moosrajen, dann auf drei großen Steinen über den Bach- hei, das war wohl geglückt! Waren die Füße auch naß-er stand doch drüben. Aengstlich stand er und lauschte fam die Fränz ihm auch nicht nach? Horch rief sie da nicht?! Nein, es war nur der Wind Westwind weich fühlte er ihn auf der linken Wange.
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*). Sternschnuppe.
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,, Brameln, verflirte, halt' mich net auf!"
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Wie ein Dieb schlich er weiter. Jetzt ging's viel rascher ci, nun hatte er ja schönen ebenen Weg unter den Füßen. Er gewahrte gar nicht all das Geröll, das unter seinen Schuhen fnirschte, die Schieferstückchen, die abgrundtief hinunterprasselten. Mit der Rechten konnte er sich den Gang entlang tasten, und abwärts ging's jest geschwind. Jetzt eine Ecke- hollarief da nicht eine Stimme?!
der
der
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Müllerhannes!—"
„ Ich kommen ja schon!" Mit mächtigen Sätzen stürmte dahin, er strauchelte, er fiel, er raffte sich aufwo war Weg? da, da!
Wiesen Hecken einsame Ackerflur.
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Num konnte er nicht mehr irren die Stimme, die Stimme, sie lockte und murmelte, sie führte ihn.
Am Maarbach entlang kam der Müllerhannes zur Mühle.
Was half es der Fränz, daß sie, die in tausend Aengsten den Vater gesucht, ihm, als er endlich heimkehrte, berechtigte Vorwürfe machte? Staum war sie andren Tages zu ihrer Arbeit gegangen, stahl auch er sich wieder von dannen.
So ließ sie ihn denn gewähren. Und er ging immer sicherer und sicherer seinen einsamen Weg.-
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Das Wasser im Maarbach rann, Welle um Welle, Tropfen Tropfen, wie es immer geronnen. Der Müllerhannes hörte es rauschen.
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Er hatte sich ein Plätzchen erforen, so versteckt, daß nur er es finden konnte. Erst mußte man von der Straße, die gen Maarfelden führt, links heruntertappen noch war der Mühlenweg da, aber er war verrast, und die weißen Steine, die ihn eingefaßt und den mutigen Pferdchen vorm Chaischen den Schritt vorgezeichnet, lagen halb unsichtbar unter der wilden Strischelm")- Hecke dann hinein in die Hausthür, deren verrostete Klinke schwer dem Druck nachgab, aber verschlossen war sie nicht, der Schlüssel fehltewer sollte denn auch hier etwas stehlen?
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Alles, was im Haus nicht niet- und nagelfest, war ja fortgetragen, verstreut in die Welt; der eine zu Manderscheid hatte dies auf der Auktion erstanden, der andre zu Bettenfeld das, der dritte vielleicht zu Bleckhausen jenes. Am schwersten war das Klavierchen abgegangen. Die Müller an der Styll, die gleich die Hand auf das wertvollste, die gesamte Mühleneinrichtung, gelegt, wollten vom Klavierchen nichts wissen. Sie waren doch keine Tagediebe, die Zeit hatten, auf einer Drahtkommod' Dideldum zu machen!
Wer wohl das Stlavierchen gekauft? Das hätte Hannes *) Stachelbeeren.