gern gewußt. Hier hier hatte es gestanden, als es neu in die Mühle gekommen, hier in der guten Stub'! Und wo war das Gewehr am grünen Gurt geblieben? Und wo der junge Hannes aus dem Schecken, der überm Kanapee hing?! Der Blinde, der die Ecken durchsuchte und au den Wänden hinauftastete, so hoch er reichen konnte, fand sein Jugend- bildnis nicht mehr das hätte die Fränz doch mitnehmen müssen,'s war unrecht von ihr, daß sie das so wenig geachtet; nun lag's irgendwo im Gerllmpel! Er wollte zornig werden, aber er besann sich: die hatte es ja nur vergessen dazumal in all der Not der Zeit nein, kein Wort auf die Fränz, die war brav! Da hat gar mancher einen Sohn, auf den er schon stolz ist n was, Sohn! Ter alte Mann schüttelte den Kopf und seufzte tief: war er nicht auch ein söhn gewesen, aus den der Vater stolz war? und der rackert sich noch nicht halb so ab, ist nicht immer stets bei der Arbeit, wie alleweil jetzt die Fränz! Und es war der doch auch nicht an der Wiege gesungen. Ihre Wieg' ja, ja, hier hatte sie gestanden, hier in der Eck's war doch schon immer ein staatsches Mädel ge- wesen, die Fränz, schon als sie noch im Stecht'issen lag da könnt' mau lange suchen, eh' man eine fand, die ihr glich. Von der Mutter hatte sie's nicht ach die Tina, ein kreuz- braves Weib war sie aber nein, für ihn war sie nicht ge- wesen, eine zarte Blume schickt sich für den Garten, auf einen Äcrg aber schickt sie sich nicht. Die war ihm an der Brust ver- gangen, zerdrückt. Die Fränz war andrer Art, mehr von der seinen, so wie so wie ei, weshalb fiel ihm nur jetzt manches Mal sein Schatz ein, den er vor laugen, langen Jahren gehabt? Schwarze Haare, schwarze Augen und das Feuer im Blut und die Kraft in den Knochen und der starke Sinn, die ähnelten sich, aber die Fränz, die hielt mehr an sich, der würde das heiße Blut so leicht keinen Possen spielen, das machte, sie hatte eine gar keusche Mutter gehabt. Verzeih' mer, Tina," sagte der Einsame plötzlich laut und faltete die Hände, wie man thut, wenn mau bei einem Grabe steht,e so war' dat Fränz doch net geworden, wann dat schwarze Seph' sein' Mutter gewesen wär' sei bedankt, Tina!" Da rührte es sich seltsam im leeren Haus horch! Der blinde Mann lauschte nur ein Hauch! Aber er spürte ihn. In Gedanken verloren kauerte er sich nieder. Ein Feld- stein, roh behauen, hatte sich gelöst aus dem Mauergefuge, nach innenwärts war er niedergestürzt mit Lehm und Verputz; auf ihm nahm Hannes jetzt seinen Sitz, ließ den Stecken fallen und stützte das Hairpt in beide Hände. Er sann und sann. rings um sich die Leere, er allein übrig geblieben vom Leben der vollen, der reichen, den fürnehmen Mühlen jetzt ein Bettler auf einem Stein! Ter Schmerz überkam ihn. Ausheulen hätte er mögen wie ein Hlind sich das Haar zerraufen, gegen die Wände mit Fäusten schlagen. Meine Mühl', meine Mühl'! Wer hatte sie ihm genommen? Der Laufeld , die Müller, die Gläubiger, die er nicht zahlen gekonnt? Och, die! Ein geringschätzendes Lächeln zog für einen Augenblick seine Mundwinkel herunter. Die wären dazu alle nicht stark genug gewesen und der Mühlstein hatte es auch nicht gemacht, von dem die Frau alleweil sprach, daß der ihr drohend über dem Kopse hing nein, nein, er, der Kerl hier mit den starken Fäusten, er; er hatte er sie nicht selber von sich geschmissen?! Das traf ihn wie ein Blitz den hatte er jetzt grell den Horizont erleuchten sehen, trotz all der Dunkelheit seines Blicks. Tief, tief duckte sich der Blinde und bückte den Rücken, wie einer, der bereit ist. eine Last zu tragen. Draußen murmelte der Bach, und im vertrockneten Graben unterm toten Mühlrad sang eine Unke. Die hütete dort wohl einen Schatz unter ihrem großen Stein:Unk unk wer den Schatz hebt, wird reicher wie ein König, unk, unk aber der Stein will erst gesucht sein, erst gesucht mit Geduld, und wenn gefunden, dann abgewälzt mit Geduld immer mit Geduld unk unk!" Der eintönige Unkenruf schläfert ein. Der Bach singt ein Wiegenlied. Kein Wind regt sich, auch die Grillen im ver- lassenen Gemäuer halten Ruh'. Wie verzaubert liegt der versunkene Garten, die verlassene Mühle im Sonnen- schein.--- Da hörte der Müllerhannes wieder sein Mühlrad gehen, rauschend, geschwind, und sah das Wasser perlend von den Radschaufeln fließen. Aus seiner Uhr schrie's lustigKuckuck!" In seiner Mahlstube klapperten die Gänge, das Läutewerk läutete, und seine Knechte sangen dazu; sie sangen das Lied, das der Noldes das letzte Mal auf dem Klavierchen gespielt. Ha, war das schön!--- Müllerhannes sah und hörte viel. Tie Vögel sprachen und alle Wellen im Bach. Bald hingen am Himmel die Wolken schwer, bald segelten sie leicht durch lichtes Blau. War der Himmel dick, dann hingen die Blätter der Bäume schlaff, welk glitten sie durch seine Hand, kein Windhauch half sie aufrichten; die Vögel piepten ängstlich, die Blumen im Gras neigten die Köpfe. Aber wehte der Eifelwind frisch über die Berge, alles Grau am Himmel verjagend, dann schwangeil sich Lerchen trillernd über den Rain, Baum und Kraut strömten eine herbe Würze aus, dann rann auch durch des Blinden Glieder ein neues Leben. Mit dem Sommer schritt er durch die Felder, seine Hand streifte die reifenden Nehren den Herbst sah er kommen, seine Hand fühlte es den Blättern au, daß sie sich braun färbten. Die Schwalben, die sich auf dem Telegraphendraht der Chaussee sammelten, sagten ihm Lebewohl, die Brombeeren strichen ihm mit ihren bereiften Ranken über Hände und Ge- ficht; bald würde er den ersten Schnee sehen. Der Blinde hatte keine Zeit, nach dem zu fragen, was die Well des Dorfes bewegte. Was ging's ihn an, daß die sleißigeil Müller noch anbauten, daß ail den dunklen Abendeil das neue elektrische Licht wie ein Stern über ihren Mühlen strahlte? Was kümmerte es ihn, daß der Laufeld mager ge- worden, trotz all feines Reichtums, und die Leute davon zu erzählen wußten, wie garstig der Joseph gegen seinen Vater sei; nicht rasch genug konnte der ans Geld kommen, der Alte saß ihm viel zu lang und viel zu fest darauf. Böse Wort- Wechsel sollte es geben in dem stattlicheil Haus dicht bei der Kirch'. Ter Junge war frech der Alte eigensinnig; und die Schwiegertochter, die der Joseph ins Haus zu bringen ge- dachte, aus einer Familie, die den lieben Gott einen guten Mann sein ließ, sich aber kein Gewisseil draus machte, Freitags mit vollen Backen Fleisch zll kauen, stand dem frommen Lau- seid noch lange nicht an. (Fortsetzung folgt.) (Nachdruck iierdoten.) Die poftkutfche. Skizze von Emil Rosenow . Ter Zug hatte bereits den Bahnhof verlassen, aber die Post- kutsche stand noch immer vor dem Stationsgebäude. An der nächsten Haltestelle kreuzten die Züge; da wartete die Post noch auf die Fahr- gäste des andren. Ter Postkutscher stand mit den Bahnleutcn zu- sammen und stritt heftig, daß die Zweig-Bahn, die man zu bauen beabsichtige, sich niemals rentieren werde. Er verdiene oft nicht den Hafer für die Pferde, weil die Bauern und kleinen Leute höchstens 'mal Sonntags die Törfer verließen, Wochentags aber nicht aus den Häusern hinauskämen. Das werde die Eisenbahn auch nicht ändern. Derweilen platschte der Regen hernieder. Die Gäule standen, die Köpfe gesenkt, den Schwanz eingezogen, knicknickig und schläfrig da, während die dreckbespritzte Kutsche förmlich zusehends mit ihren hohen Rädern in den aufweichenden Lehmboden sank. Die Fahr- gäste, ein paar Frauen, ein Bauer, der Kantor, die bereits im Innern der Kutsche saßen, schimpften, daß man so lange warten müsse. Konnten denn nicht zwei Kutschen gehen? Zu jedem Zuge eine? He? Mußte man denn auf diesen versoffenen Dingcrich von Kutscher warten, bis es ihm patzt, abzufahren? Endlich fuhr der zweite Zug ein. Die Weiber reckte» die Hälse. Zwei Personen stiegen aus. Also doch. Da konnte man sich ja heute wieder'mal schön drängeln, denn gerade zwei Plätze waren noch unbesetzt. Und zum Unglück war der eine der Ankömmlinge der dicke Viehhändler Lauteuschlager. Der brauchte Platz für Dreie. Der andre, der Strumpfwirker Thiele, brauchte um so weniger Raum; aber schließlich wollte jeder doch seinen Platz haben. Der dicke Lautenschlager schien übrigens denselben Gedanken zu haben. Als er aus dem 3. Klasse-Abtcil herausklettertc, warf er einen Blick auf die Postkutsche, hatte auch sofort die Personenzahl erfaßt und brummclte etwas vor sich hin. Tann blickte er die Wagenreihe hinauf; als er aus der 4. Klasse den Strumpfwirker aussteigen sah, ging er mit ein paar langen Schritten zu der Kutsche hinüber. Der Thiele hatte es nicht eilig und so kam der Viehhändler zuerst an und kletterte keuchend in das Innere. Ta a gl" sagte er. Tag, Herr Lautenschlager." Er setzte sich breit hin, daß er die beiden leeren Plätze einnahm. mit der festen Absicht, auch nicht ein Haar breit wegzurücken. Mochten die andren rücken oder mochte der Hungerleider zusehen, wo er bliebe. Die andren reckten die Hälse, zu sehen, was nun werden würde. Der Thiele aber nahm sich Zeit. Er kam langsam heran, lüftete bescheiden den Hut, blickte in den Wagen und trat dann, die Hände in den Hosentaschen, wieder in den Regen zurück.