Unterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 41.

3]

Cla

Das Geld.

Freitag, den 27. Februar.

( Nachdruck verboten.)

Roman von Emile Zola  .

1903

welchem ein dünnes Fistelſtimmchen ertönte, schien aus dem alten, malvenfarbigen Hut, der mit knallroten Bändern auf der Seite gebunden war, hervorzuquellen; ihre riesige Brust und ihr Bauch spannten das gelblich schimmernde Grün­popelinekleid bis zum Bersten. Im Arm hielt sie eine un­geheuer große, reisesackähnliche, altmodische Schwarzledertasche, die sie niemals losließ. An jenem Tage war die Tasche hoch­geschwollen und bis zum Plazen gefüllt, so daß ihr Gewicht die Méchain nach rechts herunterzog, wie einen schief­gewachsenen Baum. ,, Kommen Sie jetzt erst?" rief Busch, der wohl auf sie

wartete.

ich bringe fie gleich mit." " Ja, und ich habe die Papiere aus Vendôme erhalten; ich bringe sie gleich mit."

holen."

Gut, fort! Zu mir!... Heute ist hier nichts zu

Seit jenem Sturz hatte Saccard nicht wieder gewagt, die Börse zu betreten, und auch heute hielt ihn ein Gefühl frank­hafter Eitelkeit, die Gewißheit, als Besiegter empfangen zu werden, davon ab, die Stufen hinaufzusteigen. Wie die aus dem Schlafgemach der Geliebten verstoßenen Liebhaber die­selbe zu hassen glauben und doch verstärkte Sehnsucht empfinden, so kam er vom Schicksal getrieben hierher, um­schritt die Kolonnade unter leeren Vorwänden, trat in den Garten ein und erging sich wie ein Lustwandler unter dem Schatten der Kastanienbäume. In dieser staubigen Anlage ohne Rasen und ohne Blumen, auf deren Bänken zwischen Ledertasche geworfen. Er wußte, daß die entwerteten Papiere Saccard hatte einen flackernden Blick auf die geräumige Bedürfnisanstalten und Zeitungskiosken ein bunter Misch­masch niederer Spekulanten sich herumtrieb, wußte er den An- unausbleiblich da hinein gerieten, die Aktien bankrotter Ge­schein eines harmlosen Spaziergängers anzunehmen; er blickte sellschaften, mit denen die Feuchten Füße" immer noch zu aber lauernd zur Börse hinüber mit dem wuterfüllten Ge- pekulieren pflegen, Aktien zu fünfhundert Franken, um welche danken, daß er das Gebäude belagerte, daß er es mit einem diese sich für zwanzig Sous, für zehn Sous streiten, in der engen Ring umschloß, um eines Tages als Sieger wieder unbestimmten Hoffnung auf ein unwahrscheinliches Steigen einzuziehen. dieser Papiere, oder als eine praktische Gaunerware, die man Durch die Ecke rechts kam er heran, unter den Bäumen mit Gewinn an Bankrotteure abgiebt, die ihre Passiva zu gegenüber der Rue de la Banque, und sogleich geriet er mitten verdecken wünschen. In den mörderischen Schlachten, der in die kleine Börse der ausgeschiedenen Werte, unter die so- Finanz war die Méchain der Rabe hinter den marschierenden genannten Feuchten Füße". So nennt man nämlich mit Heerscharen. Keine Gesellschaft, kein großes Bankhaus ging ironischer Verachtung jene Börsentrödler, die im Freien, in aus dem Leim, ohne daß sie mit ihrer Tasche auftauchte, in dem Straßenkote der Regentage mit den Papieren unter- Erwartung der Leichname schnüffelte sie in der Luft umher, gegangener Gesellschaften spekulieren. Da stand in lärmender selbst an den glücklichen Tagen erfolgreicher Emissionen. Denn Gruppe eine unreinliche Judengesellschaft mit fettglänzenden sie wußte schon, daß der Krach unausbleiblich war, daß der Lag Gesichtern oder abgemagerten Raubvogelprofilen beisammen, des Gemegels kommen würde, an dem es in Rot   und Blut eine ungewöhnliche Versammlung auffallender Nasen, wie Tote auszurauben, Werte umsonst aufzulesen giebt. Und über einer Beute dicht aneinander gedrängt, sich unter lautem Saccard, der sein großes Projekt einer Bankgründung im Rufen ereifernd und nahe daran, einander aufzufressen. Kopfe wälzte, bekam einen leichten Schauer; es wandelte ihn eine Vorahnung an beim Anblick dieser Tasche, dieses Schind­angers der entwerteten Papiere, der alles zur Börse hinaus­gefegte schmuzige Papier in sich aufnahm.

Saccard wollte vorbeigehen, als er etwas abseits einen dicken Mann sah, der in der Sonne einen Rubin   besichtigte, indem er ihn zärtlich zwischen seinen großen, schmutzigen Händen ans Tageslicht hielt.

" Ei, Busch!... Da fällt mir ein, daß ich zu Ihnen herauf wollte."

Busch, der eine Geschäftsagentur in der Rue Feydeau, an der Ecke der Rue Vivienne inne hatte und zu wiederholten Malen Saccard unter schwierigen Umständen von großem Nutzen gewesen war, blieb immer noch in Verzückung vor dem herrlichen Wasser des Edelsteins, sein breites, flaches Gesicht nach oben gekehrt, seine dicken, grauen Augen vom grellen Licht geblendet. Man sah seine zu einem Strick ge­wundene weiße Halsbinde unter dem Gehrock hervorscheinen, der, einstmals prächtig, jetzt aber im höchsten Grade schäbig und mit Flecken gesprenkelt, bis zu den bleichen Haaren hinaufreichte, die in dünnen, struppigen Strähnen vom fahlen Schädel herabfielen. Von der Sonne gerötet, von Regen­güssen verwaschen, hatte sein Hut fein bestimmbares Alter mehr.

Endlich stieg Busch wieder zum Diesseits herab. " Ah, Herr Saccard! Sie kommen ein wenig hier vorbei?" " Ja, es ist wegen eines russischen Briefes von einem russischen Bankier in Konstantinopel  . Da habe ich an Ihren Bruder gedacht wegen der Uebersetzung.

Busch, der immer noch mit unbewußter Zärtlichkeit den Rubin   in seiner Rechten hin und her rollte, streckte die Linke vor und sagte, es solle noch am gleichen Abend die Ueber­segung ihm zugehen. Aber Saccard erklärte, es handle sich bloß um ein paar Zeilen.

Ich gehe selbst hinauf. Ihr Bruder wird mir das gleich vorlesen."

Da wurde er durch die Ankunft einer ungeheuer dicken Frau unterbrochen, der bei den Stammgästen der Börse wohl befannten Frau Méchain, einer von jenen hartnäckigen, arm feligen Spielerinnen, deren fette Hände in allerhand ver­dächtigen Geschäften herumwühlen. Ihr rotgedunsenes Voll­mondsgesicht mit den gekniffenen blauen Augen, in welchem das kleine Näschen verschwand, mit dem kleinen Mund, aus

Als Busch die alte Frau mitnehmen wollte, hielt ihn Saccard zurück.

Ich kann also hinauf? Ich treffe Ihren Bruder sicher?" Die Augen des Juden blickten sanfter und drückten eine sorgenvolle leberraschung aus. Mein Bruder? Ja, gewiß! Wo sollte er denn sonst sein?"

,, Ganz recht!... Bis nachher!"

Saccard ließ beide weiterlaufen und setzte seinen Weg nach der Rue Notre- Dame- des- Victoires   langsam längs der Bäume fort.

Diese Seite des Börsenplates ist eine der begangenſten, mit Geschäftshäusern und Pariser Hausindustrien dicht besetzt, deren vergoldete Firmenschilder in der Sonne flammen. An den Altanen klapperten die Jalousien, und eine ganze Familie Provinzbewohner schaute mit offenem Munde zum Fenster eines Hotel garni heraus. Unwillkürlich hatte er empor zu diesen Leuten geblickt, über deren Verblüfftheit er lächeln mußte; dieser Anblick stärkte ihn durch den Gedanken, daß es draußen in den Departements immer noch Aktionäre geben würde. Hinter seinem Rücken tobte der Börsenlärm weiter, wie das immerwährende Rauschen der fernen Meeresflut und es verfolgte ihn wie eine stete Drohung, ihn zu ver­schlingen. Da zwang ihn eine neue Begegnung zum Stehen­

bleiben. Wie, Jordan, Sie wollen zur Börse?" rief er und drückte einem großen, dunkelhaarigen jungen Manne mit Fleinem Schnurrbärtchen und entschlossener, eigenwilliger Miene die Hand.

Jordan, Sohn eines Marseiller Bankiers, der sich nach heillofem Spekulieren erschossen hatte, irrte seit zehn Jahren auf dem Pariser   Pflaster umher, auf Schriftstellerei erpicht, in waderem Kampf gegen das tiefste Elend. Ein in Plassans feßhafter Vetter, der dort die Familie Saccard kannte, hatte ihn an diesen empfohlen zu jener Zeit, da er in seinem Hotel am Park Monceaur ganz Paris   empfing.

O, zur Börse? Niemals!" entgegenete der junge Mann