Unterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 46.

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Das Geld.

Freitag, den 6. März.

( Nachdruck verboten.)

Roman von Emile Zola .

1903

Gartens mit altehrwürdigen Bäumen, die ebenfalls beim be­vorstehenden Umbau des ganzen Stadtviertels verschwinden sollten. Trotz des erlittenen Krachs 30g Saccard einen ganzen Schwarm von Dienerschaft nach sich, die Trümmer seines Bis zum Börsenschluß blieb Saccard hartnäckig und allzu zahlreichen Dienstpersonals, einen Kammerdiener, einen drohend auf seinem Beobachtungsposten stehen. Er sah, wie Küchenchef mit seiner Frau, die als Weißzeugbeschließerin die Säulenhalle fich leerte, wie die Stufen mit der langsam diente, eine andre Frau, die ohne bestimmten Zweck da­weggehenden, abgehetzten und ermatteten Schar sich allmählich geblieben war, einen Kutscher und zwei Stallfnechte. Ställe bedeckten. Um ihn herum dauerte das Gewoge auf dem und Remisen füllte er an, steďte zwei Pferde und drei Wagen Pflaster und den Gehwegen fort; ununterbrochen fluteten hinein und richtete im Erdgeschoß ein Eßzimmer für die Dienerschaft ein. Dieser Mann hatte thatsächlich keine fünf­die Menschen hin und her, die ewig auszubeutende Menge, die Aktionäre von morgen, die an diesem großen Hazardspiel hundert Franken in der Kasse, lebte aber auf dem Fuße von der Spefulation nicht vorübergehen konnten, ohne umzubliden, jährlich zwei- bis dreimalhunderttausend. in sehnsuchtsvoller Scheu vor dem, was hier vorging, vor dem Geheimwesen der Finanzoperationen, das für französische Köpfe um so verlockender ist, als nur wenige in dasselbe ein­dringen.

II.

So brachte er es denn auch fertig, die großen Gemächer des ersten Stocks mit seiner Person auszufüllen, drei Salons, fünf Schlafzimmer, dazu noch den ungeheuren Speisesaal, in dem eine Tafel mit fünfzig Gedecken Platz hatte. Von hier ging früher eine Thüre auf die innere Treppe und führte Als nach seiner letzten heillosen Affaire mit den Bau zum zweiten Stockwerk in einen andern kleineren Speisesaal. plägen Saccard sein Hotel am Park Monceaux verlassen und Die Fürstin, die unlängst diesen zweiten Teil des Stocks seinen Gläubigern preisgeben mußte, um eine noch größere der mit seiner Schwester lebte, hatte einfach diese Thüre mit an einen ledigen Ingenieur Namens Hamelin vermietet hatte, Katastrophe abzuwenden, da war sein erster Gedanke gewesen, zwei starken Schrauben versperrt. So teilte sie mit diesem sich zu seinem Sohne Marime zu flüchten. Seit dem Tode feiner Frau, die in einem Fleinen Kirchhof der Lombardei Mieter die frühere Dienerschaftstreppe, während Saccard ruhte, bewohnte Marime allein ein Saus in der Avenue der die alleinige Benügung der großen Treppe hatte. Kaiserin und hatte daselbst sein Leben mit wohlüberlegter und Einige Zimmer stattete dieser teilweise mit den hartherziger Selbstsucht eingerichtet. Dort verzehrte er ohne Trümmern der Park Monceaur- Wohnung aus; die andren jede Ausschreitung das Vermögen der Toten. Nundweg ließ er leerstehen. Trotzdem gelang es ihm, diese lange Reihe schlug er seinem Vater die Bitte ab, ihn bei sich aufzunehmen, trauriger und nackter Mauern neu zu beleben, von denen damit zwischen beiden das gute Einvernehmen nicht gestört eine eigensinnige Hand bereits am Tage nach dem Tode des werde, wie er mit seiner lächelnden und verständigen Miene Fürsten die allerletzten Tapetenstücke gerissen zu haben schien. Hier begann er nun aufs neue seinen Traum von einem großen Vermögen.

erklärte.

Seitdem dachte Saccard an einen andren Zufluchtsort. Schon wollte er sich in Passy ein Häuschen mieten, ein bürger­liches Ruheplätzchen wie für einen früheren Staufmann, als er sich erinnerte, daß im Hotel Orviedo in der Straße Saint­Lazare Erdgeschoß und erster Stod immer nod) unvermietet wären, wie aus den geschlossenen Thüren und Fenstern zu schließen war. Die Fürstin von Orviedo bewohnte seit dem Tode ihres Gemahls drei Zimmer im zweiten Stock und hatte nicht einmal ein Täfelchen über das Hauptthor hängen laffen, an dem das Gras schon emporiuchs. Eine niedrige Thür führte am andren Ende der Fassade durch eine Seitentreppe zum zweiten Stod hinauf. Oft hatte er bei seinen geschäft lichen Besuchen im Hause der Fürstin sich verwundert über die Lässigkeit ausgesprochen, mit welcher diese das Haus ge­hörig auszunüßen verabsäumte. Sie aber schüttelte den Stopf; in Geldsachen hatte sie eigne Ansichten. Indessen, als er sich selbst als Mieter anbot, schlug sie sofort ein und überließ ihm zum Spottpreis von zehntausend Frank jährlich die fürstlich eingerichteten beiden Stockwerke, die sicherlich das Doppelte

wert waren.

Die Fürstin von Orviedo war damals eine der merk­würdigsten Persönlichkeiten in Paris . Vor fünfzehn Jahren hatte sie sich dazu verstanden, den Fürsten , den sie nicht liebte, zu heiraten, um einen ausdrücklichen Befehl ihrer Mutter, der Herzogin von Combeville zu gehorchen. Damals besaß das zwanzigjährige Mädchen einen großen Ruf von Schönheit und Tugend; obwohl sehr fromm und etwas zu ernst, liebte fie das gesellschaftliche Leben mit Leidenschaft. Sie wußte nichts von den merkwürdigen Geschichten, die über den Fürsten umliefen, vom Ursprung seines auf dreihundert Millionen geschätzten Vermögens, noch von seinem Leben voll schauder­hafter Räubereien. Nicht am Waldrand und mit bewaffnetem Arme, wie die alten Raubritter alter Zeiten, hatte der Fürst feine Diebereien verübt, sondern als korrekter Dieb der Neu­seit, in der hellen Mittagssonne der Börse die Taschen armer, leichtgläubiger Menschen unter Zusammensturz und Mord ausgeraubt. Drüben in Spanien und hier in Frankreich hatte der Fürst bei allen großen, sprichwörtlich gewordenen Gaunereien sich den Löwenanteil geholt.

Man erinnerte sich noch in Paris des unerhörten Auf- j Obgleich die Fürstin nichts davon ahnte, daß diese vielen wandes des Fürsten von Orviedo. In der ersten Fieber Millionen in Rot und Blut aufgelesen waren, hatte sie von aufregung über sein unermeßliches, durch Börsenspiel er- born herein einen Widerwillen für ihn empfunden, gegen worbenes Vermögen war er aus Spanien inmitten eines welchen ihre Frömmigkeit ohnmächtig bleiben sollte; bald hatte Regens von Millionen in Paris eingetroffen; dann hatte er sich zu dieser Abneigung ein dumpfer Groll gesellt, weil sie dieses Haus angekauft und herrichten lassen, in Erwartung aus diefer aufgezwungenen Heirat kein Stind befam. Mütter­des erträumten Palastes von Gold und Marmor, mit dem er liche Liebe hätte ihr genügt, denn sie schwärmte für Kinder. die Welt in Erstaunen sezen wollte. Das Anwesen war eines So aber gelangte sie zu förmlichem Haß gegen diesen Mann, jener Lusthäuser, wie sie im vorigen Jahrhundert von adligen der, nachdem er die Liebende entmutigt, nicht einmal die Lebemännern inmitten weit ausgedehnter Gärten errichtet Mutter in ihr befriedigen konnte. wurden; inzwischen zum Teil niedergerissen und in ernſteren Raumverhältnissen wieder aufgebaut, hatte es vom ehemaligen Bark nichts als einen breiten, von Ställen und Remisen um­gebenen Hof behalten, der infolge der geplanten Stardinal­Besch- Straße sicherem Untergange geweiht war. Der Fürst hatte das Haus aus der Erbschaft eines Fräuleins von Saint­Germain erworben, dessen Anwesen ehemals bis zur Rue des Trois- Frères fich ausdehnte, der früheren Verlängerung der Rue Taitbout. Der Eingang von der Rue Saint- Lazare war geblieben, neben einem Tangen Bau aus gleicher Zeit, der früheren Folie- Beauvilliers, die infolge eines langsamen Vermögensverfalles noch von der Familie Beauvilliers be­wohnt war. Diese besaß noch ein Stückchen prachtvollen

Um diese Zeit hatte sich die Fürstin in einen unerhörten Lurus gestürzt, Paris mit dem Glanz ihrer Festlichkeiten ge­blendet und einen Prunt entfaltet, auf welchen die Tuilerien neidisch waren. Plötzlich, am Tage nach dem Tode des Fürsten , der von einem Schlaganfall niedergestreckt ward, war das Hotel der Rue Saint- Lazare in tiefe Stille und völlige Nacht versunken. Stein Licht, kein Geräusch mehr; Thüren und Fenſter blieben geschlossen, und es verbreitete sich das Ge­rücht, die Fürstin habe mit heftiger Raschheit Erdgeschoß und ersten Stock verlassen und sich wie eine Einsiedlerin in drei Kleine Gemächer des zweiten Stockes mit einer früheren Stammerfrau ihrer Mutter zurückgezogen, der alten Sophie, von welcher sie aufgezogen worden war. Als sie wieder zum