Unterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 56.

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Das Geld.

Freitag, den 20. März.

( Nachdruck verboten.)

Roman von Emile Zola  . Saccard fand Sédille aufgeregt und voll Besorgnis; denn Sedille war ein Spieler ohne Kaltblütigkeit und ohne Philo­sophie. Er lebte in steten Gewissensbissen, immer wieder hoffend, immer wieder niedergeschlagen, frank vor Ungewiß­heit und dies, weil er im Grunde genommen ehrlich blieb.

Die Ultimoliquidation des April war für ihn unheilvoll gewesen. Sein feistes Gesicht mit dem dicken blonden Backen­bart rötete sich schon bei den ersten Worten.

,, D, mein Lieber, wenn Sie mir das Glück bringen, dann heiße ich Sie willkommen!"

Dann faßte ihn wieder der Schreck.

Nein, nein! Führen Sie mich nicht in Versuchung. Es wäre besser, ich schlösse mich mit meinen Seidenwaren ein und ginge nicht mehr aus meinem Comptoir heraus."

Um ihm Zeit zu lassen, ruhiger zu werden, sprach Saccard von seinem Sohn Gustave und erzählte, er habe ihn vormittags bei Mazaud gesehen. Dies war aber für den Seidenhändler ein neuer Anlaß zum Kummer. Er hatte nämlich den Traum gehegt, einst die Last seines Geschäfts auf diesen Sohn abzu­wälzen, und dieser verachtete den Handel, den Sinn bloß auf Lustbarkeiten und Festlichkeiten gerichtet; seine scharfgewekten weißen Zähne waren, wie gewöhnlich bei den Parvenü­söhnchen, nur dazu gut, bereits erobertes Vermögen aufzu­Knabbern. Der Vater hatte ihn zu Mazaud gebracht, um zu sehen, ob er an Finanzgeschäften anbeißen würde.

Seit dem Tode seiner armen Mutter," murmelte Sédille, hat mir der Junge recht wenig Freude gemacht. Nun, vielleicht lernt er dort auf dem Makleramt Dinge, die mir nüglich sein werden."

Nun," versette rasch Saccard, sind Sie mit uns? Daigremont hat mich beauftragt, Ihnen zu sagen, daß er dabei sei."

Sédille hob seine zitternden Arme zum Himmel:

Nun ja, ich bin dabei!" sagte er mit einer von Gier und Furcht erstickten Stimme, Sie wissen wohl, daß ich nicht anders kann. Wenn ich mich weigerte und Ihr Geschäft gut ginge, dann wäre ich frank vor Neue... Sagen Sie also Daigremont, daß ich dabei bin."

Als Saccard wieder auf der Straße sich befand, zog er die Uhr und sah, daß es kaum vier Uhr sei. Die Zeit, die er noch vor sich hatte, und das Bedürfnis, ein wenig zu laufen, veranlaßten ihn, den Wagen fortzuschicken. Fast sofort hatte er dies zu bereuen; denn er war noch nicht am Boulevard, als ein neuer Regenguß, eine mit Hagelförnern untermischte Sintflut, ihn von neuem zwang, unter einem Thorwege Zu­flucht zu suchen. Welches Hundewetter für einen, der Paris  abzusuchen hatte! Nachdem er eine Viertelstunde lang dem herabprasselnden Regen zugesehen hatte, wurde er von Unge­duld erfaßt und rief einen leeren Wagen an, der vorbeifuhr. Es war ein Viktoria. Obgleich er die Lederdecke über die Beine zog, gelangte er durchnäßt und eine gute halbe Stunde zu früh nach der Rue Larochefoucauld.

Der Diener ließ ihn im Rauchzimmer allein und sagte, daß der Herr noch nicht heimgekehrt sei; Saccard lief mit fleinen Schritten auf und ab und besichtigte die Gemälde. Als aber eine prächtige Frauenstimme, ein Contralto von schwer­mütiger Macht und Tiefe, sich in der Stille des Hauses erhob, trat er an's offene Fenster und lauschte. Die gnädige Frau übte am Klavier ein Stück ein, um es wohl am Abend in irgend einem Salon vorzutragen. Durch diese Musik in Träume ge­wiegt, begann er über die außerordentlichen Geschichten zu sinnen, die man über Daigremont erzählte, vor allem über die Geschichte mit der Hadamantiner Anleihe, jener Fünfzig­Millionen- Anleihe, deren ganzen Bestand er zurückbehalten und fünfmal durch eigne Makler verkaufen ließ, bis er einen Markt geschaffen und einen Preis festgesetzt hatte. Dann kam der ernsthafte Verkauf, ein unaufhaltsamer Sturz von drei­hundert Franken auf fünfzehn, ungeheure Gewinnste, durch welche eine ganze Welt von Leichtgläubigen mit einem Schlage zu Grunde gerichtet ward. O, er war schlau, ein ganz ge­waltiger Herr! Und die Stimme der gnädigen Frau tönte weiter und hauchte liebedürftend eine zärtliche Klage von

1903

tragischer Gewalt aus, während Saccard, der wieder in die Mitte des Zimmers getreten war, vor einem Meissonier stehen blieb, den er auf hunderttausend Franken schätzte.

Jetzt trat jemand ein, und zu seiner Ueberraschung er­fannte er Suret.

,, Wie, Sie sind es schon? Es ist noch nicht fünf Uhr... Ist denn die Sigung aus?"

" Ja, freilich, zu Ende!... Sie liegen einander in den Haaren."

Und er erzählte, daß der Abgeordnete von der Opposition immer noch redete, und Rougon sicherlich erst tags darauf er­widern könnte. Sobald er dies gemerkt, hatte er sich getraut, den Minister während einer kurzen Pause zwischen zwei Thüren anzuzapfen.

" Nun?" fragte Saccard mit nervöser Erregung ,,, was hat mein erlauchter Bruder gesagt?"

Huret antwortete nicht sofort.

,,, er war sehr bissiger Laune... Ich gestehe Ihnen, daß ich auf seine sichtbare Erbitterung hin hoffte, er werde mich einfach fortjagen. Ich habe ihm also Ihre Sache furz dargelegt und gesagt, ohne seine Billigung wollten Sie nichts unternehmen."

" Und dann?"

,, Dann hat er mich an beiden Armen gefaßt, mich ge­schüttelt und mir ins Gesicht geschrien: Er soll sich hängen lassen!" Dann hat er mich stehen lassen."

Saccard war fahl geworden und lachte gezwungen auf: ,, Das ist recht nett!"

"

" Ja, allerdings! recht nett," erwiderte der Abgeordnete mit Ueberzeugung, so viel erwartete ich eigentlich nicht.. Mit dieser Antwort können wir die Sache in Gang bringen." Da er jetzt im Nebenzimmer die Schritte des heim­fehrenden Daigremont hörte, setzte er leise hinzu: Lassen Sie mich nur machen!"

Augenscheinlich hatte Huret die größte Lust, die Gründung der Banque Universelle   zu stande kommen zu sehen, um sich zu beteiligen. Ohne Zweifel war er sich bereits über die Rolle klar geworden, die er allenfalls dabei spielen könnte. Sobald er Daigremonts Hand gedrückt hatte, setzte er deshalb eine strahlende Miene auf und fuchtelte mit dem einen Arm in der Luft herum:

Sieg!" rief er dann, Sieg!"

" So? Wirklich? Erzählen Sie mir die Sache!

,, Mein Gott  ! Der große Mann ist gewesen, wie er sein mußte. Er hat mir geantwortet: Möge mein Bruder Erfolg haben!"

Bei diesem Wort geriet Daigremont außer sich vor Ent­zücken. Er fand das Wort reizend: Er möge Erfolg haben!" Darin lag alles: er möge ja nicht die Dummheit begehen, kein Glück zu haben, sonst gebe ich ihn auf; hat er aber Glück, dann helfe ich ihm. Ausgezeichnet, in der That!"

Nun, mein lieber Saccard, wir werden Erfolg haben, Sie können ruhig sein... Wir wollen schon alles Nötige thun."

Dann setzten sich die drei Männer nieder, um die Haupt­punkte zu vereinbaren. Daigremont mußte wieder aufftchen, um das Fenster zu schließen, weil die allmählich anschwellende Stimme der gnädigen Frau eine Klage voll grenzenloser Ver­zweiflung ausstieß, welche die Männer hinderte, einander zu verstehen. Und selbst nachdem das Fenster geschlossen war, wurden sie von diesen halb gedämpften Klagetönen begleitet, während sie die Gründung der Banque Universelle   mit einem Kapital von fünfundzwanzig Millionen beschlossen, das in fünfzigtausend Aktien zu fünfhundert Franken eingetheilt war. Außerdem wurde ausgemacht, es sollten Daigremont, Huret, Sédille, der Marquis de Bohain   und einige ihrer Freunde ein Konsortium bilden, welches vier Fünftel der Aftien, also vierzigtausend Stück, fest nahm und unter sich teilte. Dergestalt war der Erfolg der Emission gesichert. Da fie ferner die Papiere nicht aus den Händen gaben und auf dem Markte selten machten, könnten sie später dieselben nach Belieben emportreiben. Beinahe wurde aber alles abge­brochen, als Daigremont eine Prämie von viermalhundert­tausend Franken beanspruchte, die auf die vierzigtausend Aftien mit zehn Franken pro Stück zu verteilen wäre. Saccard erhob Einspruch, da es unvernünftig sei, die Kuh brüllen zu machen, ehe sie noch gemolfen wäre. Der Anfang würde ohne