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Sonntagsplauderei.

tausend verwickelten Fährten vergessen, denen er zu folgen| ließ er fich nicht lange bitten und begann die alte Geschichte pflegte; er erschien nicht mehr an der Börse, trieb teine zu erzählen, die Verführung von Rosalie in der Rue de la Schuldner mehr in die Enge, er wich nicht vom Bett des Harpe, die Geburt des Kindes nach Saccards Verschwinden, Kranken, den er mit mütterlicher Liebe wartete und pflegte den Tod der Mutter, wie der Knabe Victor einer Coujine zur und umkleidete. Er, der schmutzige Geizhals, ward zum Ver- Last blieb, die sonst zu viel zu thun hatte, um sich mit ihm schwender; er rief die ersten Aerzte von Paris herbei, er hätte abzugeben, und wie er so in Verworfenheit aufwuchs. gerne beim Apotheker die Arzneien teurer bezahlt, damit sie ( Fortsehung folgt.) wirksamer wären; und als die Aerzte jedes Arbeiten untersagt hatten und Sigismund eigensinnig war, verstedte er ihm seine Papiere und seine Bücher. Zwischen beiden war ein förm­licher Wettkampf in der List ausgebrochen. Sobald der Wächter von Müdigkeit übermannt einschlief, wußte der in Schweiß gebadete und vom Fieber verzehrte junge Mann ein Stückchen Bleistift und einen weißen Zeitungsrand sich zu verschaffen und machte sich wieder an seine Berechnungen. Beim Erwachen geriet Busch in Zorn, wenn er ihn noch leidender jah, und das Herz wollte ihm darüber brechen, daß jener seinen Hirngespinsten sein bißchen übriges Leben widmete. Mit derlei Dummheiten gestattete er ihm zu spielen, wie man einem Kinde Hampelmänner gestattet, wenn es ge­jund ist; aber sein Leben mit thörichten, undurchführbaren Gedanken zu Grunde richten, das war wirklich gar zu dumm! Schließlich hatte Sigismund versprochen, seinem Bruder zu lieb vernünftig zu sein. Dann hatte er sich etwas erholt und konnte nunmehr aufstehen.

Sobald Busch wieder an seine Arbeit gehen konnte, nahm er sich vor, die Sache Saccard müsse erledigt werden, um so mehr, als dieser wie ein Eroberer feinen Einzug in die Börse gehalten hatte und wieder ein Mann von zweifelloser Zahlungsfähigkeit wurde.

Wenn die Kesselschmied- Gattin mund Blumenapporteurin Rothe feine Schwindlerin ist und wenn die Geister oder Intelligenzen" die Rechte einer juristischen Person haben sollten, so müßten sie un berzüglich an einem irdischen Gerichtshof wegen Ehrenbeleidigung lagen; denn die Geister, die von der Rothe und ihren Gläubigen citiert, die Intelligenzen, die bemüht werden, sind die armseligsten eines schwachsinnigen Kindes, in dem immer noch eine dämmernde Idioten, deren überfinnliche Wunderkraft geringer ist als das Lallen Erinnerung an die gewaltigen Wunderleistungen menschlicher Kultur arbeit stedt. Sehen so die Dinge aus, die zwischen Himmel und Erde spulen, und von denen sich unsre Schulweisheit nichts träumen läßt? Dann bleibe ich lieber auf der Erde, die voller Wunder der Erkenntnis und des Schaffens ist, und deren selbstverständlichstes, natürlichstes und einfachstes Erzeugnis eine tiefsinnigere und rätsel­vollere Erscheinung ist, als die ganze Klopfgeister- Wirtschaft me diumistischer und occultistischer Intelligenzen. wenn man die Rothe- Epidemie, die jetzt ein Berliner Gerichtshof Es ist eine ganz falsche, weil zu günstige und milde Auffaffung, mit merkwürdiger Geduld in einem erschreckenden Narrenzug von Bernunftkrüppeln manifestiert"-Menschenapporte aus der Siechen­Der Bericht der von ihm nach der Rue St. Lazare ge- luft des Schwachfinns auf den ewigen Hang der Menschenseele schickten Frau Méchain lautete sehr günstig. Trozdem zögerte zur Erfassung des Unerklärlichen und Wunderbaren, des Ueberfinn­er immer noch, seinen Mann von vorne anzugreifen; er lichen und Seltsamen zurückführt. Wenn es das wäre, so würde schwankte noch und besann sich, vermittelst welcher Tattit er man mit schroffer nüchterner Stritit, aber mit Ernst und Achtung an ihn besiegen konnte, als ein der Méchain entfallenes Wort Geister find alberne Gefellen, die gar nichts fönnen, sie sind nicht diese Phänomene herangehen. So steht aber die Frage nicht. Diese über Frau Karoline, über diese Dame, welche bei Saccard überfinnlich, sondern unterfinnlich, fie steigern nicht die menschliche haushielt und von der alle Lieferanten des Stadtviertels ihr Erkenntnistraft, sondern sie schwächen fie bis zu ihrer Berblödung. erzählt hatten, ihn auf einen neuen Feldzugsplan brachte. Abgesehen von den ernsthaften pathologischen Erscheinungen, handelt Sollte etwa diese Dame die wirkliche Herrin sein, welche die es sich hier lediglich um die vielleicht auch ewige Luft am Schlüssel zu den Schränken und zum Herzen besaß! Busch Läppischen, am Unsinnigen, an der Mystik des Kretinismus. gehorchte ziemlich häufig einer plöglichen Eingebung und be- Diese Spiritisten, Offultisten, Mediumisten bilden ein Hirnspittel, in gab fich auf einen bloßen Fingerzeig seines Spürfinnes hin dem ein greuliches Rothwälsch faselnden Schwachfinns zur In­auf die Jagd, in der bestimmten Annahme, aus den That- brunft einer religiösen Schwärmerei gefälscht wird eine fünft­fachen eine Gewißheit und einen Entschluß schöpfen zu können. liche Berstandesverkrüppelung, in der nichts blüht und gedeiht, als So machte er sich nach der Rue St. Lazare auf, um Frau und Wissenschaft, und Ihr werdet nicht Forscher und Bekenner des die Ausbeutung geschäftskundiger Gauner. Bernichtet nur Vernunft Karoline zu besuchen. Ueberfinnlichen und Wunderbaren, sondern elende Narren des Stupidesten, Niedrigsten, Blödesten. Nur das Natürliche ist das Wunderbare.

Oben im Zeichnungssaal war Frau Karoline im Anblick dieses schlecht rasierten Mannes mit dem flachen und schmutzigen Geficht betroffen, der einen schmierigen Rock von einstiger Eleganz und eine weiße Halsbinde trug. Er selbst bohrte feine Blicke bis in ihre Seele hinein und fand sie ganz nach Wunsch, so stattlich und so gesund, mit ihrem weißen Haar, welches ihr noch jugendliches Geficht mit einem heiteren und milden Schein umgab. Besonders fiel ihm der Ausdruck ihres start entwidelten Mundes auf, ein Ausdruck von solcher Herzensgüte, daß sofort sein Entschluß gefaßt war.

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Madame," begann er, ich hätte Herrn Saccard zu sprechen gewünscht, aber man hat mir den Bescheid gegeben,

daß er nicht zu Hause sei.

Das war eine Lüge, er hatte nicht einmal nach Saccard gefragt; er wußte sehr wohl, daß dieser nicht zu Hause war, da er auf seinen Weggang zur Börse gelauert hatte.

Und so habe ich mir denn erlaubt, mich an Sie zu wenden; mir ist es eigentlich lieber so, da ich wohl weiß, mit wem ich spreche. Es handelt sich um eine so ernste und so heikle Mitteilung

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Frau Karoline, die bis jetzt den Mann nicht hatte figen heißen, wies ihm mit ängstlicher Zuvorkommenheit einen Stuhl.

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Reden Sie, mein Herr, ich höre... Busch hob sorgfältig die Schöße seines Roces auf, als fürchte er, ihn zu beschmußen. Es galt bei ihm jezt als aus gemacht, daß sie mit Saccard ehelich zusammen lebte.

Die Sache ist, Madame, nicht leicht zu sagen, und ich gestehe Ihnen, daß ich im legten Augenblid mich frage, ob es recht ist, Ihnen so etwas anzuvertrauen. Hoffentlich werden Sie in meinem Schritte bloß den Wunsch erkennen, Herrn Saccard die Möglichkeit zu bieten, ein früheres Un­recht wieder gut zu machen.

Sie winkte ihm, er solle frei herausreden; sie hatte be­griffen, mit welchem Menschen sie es zu thun hatte, und wünschte, überflüffige Beteuerungen abzuschneiden. Uebrigens

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Geht in ein physikalisches oder chemisches Laboratorium. Tausend­fach entfalten sich hier Wunder der Erkenntnis und des Schaffens. ermeßliche Fülle von fruchtbaren Problemen. Freilich müßt ihr Euer Hang, ins Ueberfinnliche zu schweifen, findet hier eine un­arbeiten und Euch mühen, und mit dem faulen Gaffen und dem lifternen Gefühlsmarasmus ist nichts gethan. Von diesen Stätten der Wissenschaft geht die Eroberung und Bezwingung einer Welt auf, die der Menschengeist wie aus dem Nichts erbaut. Geheimnis volle Naturkräfte werden gebändigt und in den Dienst einer üppig quellenden Kultur geschirrt.

Oder versenkt Euch in das Wesen und Wachstum einer Pflanze.

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Giebt es einen reicheren Anreiz des Eindringens ins Wunderbare, als die Beobachtung, wie fich aus den Stoffen der Erde und der einer athmenden, duftenden, leuchtenden Blume scheinbar wie aus Luft, unter dem Auge des Lichts, dieses feine, märchenhafte Gebilde dem Nichts in verschwenderischer Mannigfaltigkeit bildet! Dder studiert den Mechanismus einer Menschenhand: jeder Nerv und jede Sehne ist ein unerschöpfliches Wunder. Und höher hinauf: Jeder Saz, jedes Wort einer Sprache bietet dem Grübler und Forscher des Wunderbaren ein unverfiegliches Feld der Schatzgräberei. In den von Menschen geschriebenen Gesezen des Sternen- Alls wird das Und endlich flimmt Wunderbarste vernünftiger Magie erreicht. empor zu den Unermeßlichkeiten menschlicher Gesellschaftsbildung, von Recht und Moral, von Organisation und Produktion, bis Jhr aulest und Künstler. Sucht Ihr die blaue Blume des Wunders, wohlan in erschauernd Euch beugt vor den Offenbarungen der großen Denter Beethovens Musit, in Blatos Gedankenwelt wandert Ihr jahrtausende­lang in ewigem Wechsel von Wunder zu Wunder, bei jeder Weg­wendung entfaltet sich ein Neues, Ueberraschendes, Unbegreiflich- Be­greifliches, ein Universum des Neberfinnlichen, und bleibt doch alles auf dem flaren festen Boden dieser Erde, und es sputt nichts und flopft nichts, und lallt nichts in Trance und kein Medibumsel streckt Geister anfangen, hört der Geist auf, wo die Intelligenzen mani aus der vierten Dimension die freche Geifterzunge heraus. Wo die feftieren, macht die Intelligenz Bankrott.

Darin liegt das Widerwärtige, faft tönnte man sagen das Grauenhafte des in Moabit entblößten Rothe Sputs. Es ist nicht die Sehnsucht, sich über die graue Dede des Werfeltages, über die

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