Unterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 70.
32]
Das Geld.
Donnerstag, den 9. April.
( Nachdruck verboten.)
Chaves gewichtigster Grund gegen das Spiel war, daß der Spieler mit mathematischer Notwendigkeit verlieren muß: gewinnt er, so hat er die Maklerprovision und die Stempelfosten zu zahlen; verliert er, dann hat er außer dem Verluste noch die nämlichen Kosten zu tragen, so daß, selbst im Falle er gleich oft gewinnt und verliert, immer noch Provision und Stempelgebühr aus seiner Tasche fließen. Jährlich ergeben diese Gebühren an der Pariser Börse die ungeheure Gesamtsumme von achtzig Millionen.
Wie eine Waffe schwang er diese Ziffer von achtzig Millionen, die der Staat, die Coulisse und die Makler ein
heimſen.
Auf der Bank hinten im Gang bekannte Marcelle ihrem Manne einen Teil dieser Geschichte:
1903
könne die Vollstreckung aufhalten... O, dieser Busch! Ich hasse zwar niemand, aber was mich dieser Mensch anefelt und außer Rand und Band bringt! Gleichwohl bin ich zu ihm geeilt nach der Rue Feydeau , und er hat sich wohl mit den fünfzig Frank begnügen müssen; so haben wir vierzehn Tage Ruhe.
Heftige Erregung zog das Gesicht Jordans zusammen, während verhaltene Thränen seine Augenlider benetzten. „ Das hast Du gethan, mein Weibchen, das hast Dut gethan?"
,, Natürlich, ich will doch nicht, daß man Dich weiter belästige. Was liegt mir an den Grobheiten, die ich einstecke, wenn man Dich nur ruhiger arbeiten läßt?"
Jetzt lachte sie wieder und erzählte von ihrem Besuch bei Busch mitten unter den schmierigen Aftenheften, wie grob er fie empfangen habe, mit der Drohung, ihnen fein Stück Leibwäsche zu lassen, wenn ihm nicht sofort die ganze Schuld bezahlt würde.
Das Komische war, daß sie sich den Genuß verstattet hatte, den Mann außer sich zu bringen, indem sie ihm den rechtmäßigen Besitz dieser Schuld abstritt, dieser dreihundert Frank ,, Lieber Schatz, ich muß Dir sagen, daß ich's schlecht ge- in Wechseln, die mit den Kosten auf siebenhundertunddreißig troffen habe. Mama hatte gerade mit Papa Streit wegen Frank fünfzehn Centimes aufgelaufen waren, und die ihn eines Verlustes, den er an der Börse erlitten hat... a, vielleicht unter einer Partie alter Lumpen keine hundert Sous er steckt scheint's immer dort. Das kommt mir so merkwürdig gekostet hätten. Er erstickte fast vor Wut: erstens habe er vor, er ließ damals nur ehrliche Arbeit gelten... Kurz, sie gerade diese Wechsel sehr teuer gekauft, dazu komme seine haderten miteinander, und da lag eine Zeitung, die" Cote Beitversäumnis, die ermüdenden Gänge, die er zwei Jahre financière", die hielt ihm Mama unter die Nase und schrie, lang gemacht hatte, um den Aussteller wieder aufzuspüren, er verstehe nichts, sie habe die Baisse richtig vorausgesehen. und die Gewandtheit, die er bei solcher Menschenjagd entDann hat er ein andres Blatt geholt, eben die„ Espérance", falten müsse, sollte er sich für alles das nicht bezahlt und hat ihr den Artikel zeigen wollen, aus dem er seine Nach machen? So gehe es eben den Leuten, die sich erwischen richt geschöpft hatte. Kurz, alles liegt voll Zeitungen bei ließen! Schließlich hatte er doch noch die fünfzig Frank geihnen, sie stecken vom Morgen bis zum Abend die Nase hinein, nommen, da sein vorsichtiges System darin bestand, sich immer und ich glaube, Gott verzeihe mir's! daß Mama auch das abfinden zu lassen. Spielen anfängt, trotz ihres scheinbaren Zornes
Jordan mußte lachen, so spaßhaft war sie in ihrem Kummer, wenn sie den Auftritt darstellte.
Sturzum, ich habe ihnen unsre Geldverlegenheit erzählt und sie gebeten, uns zweihundert Frank vorzuschießen, um die Vollstreckung aufzuhalten. Da hättest Du ihr Jammern hören sollen: zweihundert Frank, wenn sie zweitausend an der Börse verloren! Wollte ich mit ihnen Scherz treiben? Wollte ich sie denn zu Grunde richten? Nie habe ich sie so gesehen... Sie waren sonst so lieb gegen mich und hätten alles ausgegeben, um mir Geschenke zu kaufen! Ich glaube wahrhaftig, daß sie närrisch werden, denn es ist ein rechter Unsinn, wenn man sich das Leben so verbittert! Sie sind ja so glücklich in ihrem schönen Heim, ohne jede Sorge und brauchen nur noch ihr so hart verdientes Vermögen behaglich zu berzehren!"
" Ich will hoffen, daß Du vom Bitten abgelassen hast," sagte Jordan.
,, Nein, ich habe nicht abgelassen, und dann sind sie über Dich hergefallen... Du siehst, ich sage Dir alles; ich hatte mir zwar vorgenomnten, das für mich zu behalten, aber es fährt mir so heraus... Sie haben mir wiederholt, sie hätten dies vorausgesehen, es sei fein Handwerk, in den Zeitungen herumzuschreiben, wir würden noch im Armenhause enden... Kurz, ich geriet selbst in Harnisch und wollte gerade fort, als der Hauptmann hereinkam. Du weißt, er hat mich immer vergöttert, der Onkel Chave. In seiner Gegenwart sind sie vernünftig geworden, um so mehr, als er Papa triumphierend fragte, ob er sich weiter ausbeuten lassen wolle... Da hat mich Mama beiseite genommen und mir fünfzig Frank in die Hand gedrückt, indem sie sagte, damit würden wir ein paar Tage Frist erlangen, die Zeit, uns umzusehen."
" Fünfzig Frank? Ein Almosen? Und das hast Du genommen?"
Marcelle hatte zärtlich seine Hand ergriffen und sprach ihm mit dem ganzen Aufwand ihrer ruhigen Bernunft zu. ,, Höre, Schab, sei nicht böse!... Ja, ich habe es genommen und habe so klar begriffen, daß Du es nie über Dich gewinnen würdest, das Geld zum Gerichtsvollzieher zu tragen, Saß ich zugleich zu diesem Gerichtsvollzieher hingegangen bin, Du weißt schon, in der Rue Cadet. Aber, denke Dir, er hat mir's nicht abgenommen und mir auseinandergesetzt, er habe ausdrückliche Weisung von Herrn Busch, und Herr Busch allein!
,, O, was bist Du für ein waderes Weibchen, und wie liebe ich Dich!" rief Jordan und ließ sich dazu hinreißen, Marcelle zu füssen , obwohl der Redaktionssekretär gerade durch das Wartezimmer ging.
Dann fragte er leiser:
Wie viel hast Du noch zu Hause?" ,, Sieben Frank."
Gut!" sprach er ganz glücklich, das genügt uns für zwei Tage, und ich verlange also keinen Vorschuß, den man mir übrigens verweigern würde. So etwas fällt mir schwer. Morgen will ich beim„ Figaro" nachsehen, ob man einen Aufsatz von mir brauchen kann... erst meinen Noman beendet hätte, wenn er nur ein klein wenig Absatz fände!"
Jetzt war es an Marcelle, ihn zu küssen.
Ja wohl! es wird alles gut werden... Du gehst jetzt mit mir heim, nicht wahr? Das wird sehr nett, und wir kaufen unterwegs auf morgen früh einen Bückling an der Ecke der Nne de Clichy, wo ich prächtige gesehen habe. Heute abend giebt's Speckfartoffeln."
Nachdem Jordan einen Kollegen ersucht hatte, für iht die Korrekturfahnen zu lesen, ging er mit seiner Frau weg. Saccard und Huret waren ebenfalls am Aufbrechen. Auf der Straße hielt gerade vor der Hausthüre ein Wagen, und sie sahen die Baronin Sandorff aussteigen, welche beide mit einem Lächeln begrüßte und dann flugs hinaufeilte. Zuweilen stattete sie so Jantrou einen Besuch ab. Saccard, den ihre großen umränderten Augen sehr aufregten, wäre fast wieder hinaufgegangen.
Oben im Zimmer des Hauptredakteurs wollte die Baronin nicht einmal Blaz nehmen. Nur einen guten Morgen im Vorbeigehen, bloß ein Zufall, ihn zu fragen, ob er nichts Neues wisse.
Troy seines raschen Aufkommens behandelte sie ihn immer noch wie damals, als sie ihn jeden Morgen bei ihrem Vater, Herrn von Ladricourt, mit dem gekrümmten Rücken eines eine Order erbittenden Kommissionärs sah. Ihr Vater war von empörender Roheit; nie konnte sie den Fußtritt vergessen, mit welchem er im 3orne über einen ansehnlichen Verlust ihn hinausgeworfen hatte. Und jetzt, da sie ihn an der Quelle der Nachrichten sah, war sie mit ihm vertraulich geworden, um ihn womöglich auszuhorchen.
Nun, nichts Neues?"