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bildes erreicht. Einen Hauptanziehungspunkt bilden die zumal in Oberdeutschland. Die hergebrachte Frühlingskur der Ges hier vielfach stattfindenden Pferderennen, die es freilich nicht wie das bildeten in den Städten ist in einem Lieblingsbuch unsrer Väter, Derby zu einer europäischen Berühmtheit gebracht haben, für die in Hegners Moltentur", anschaulich geschildert. Noch heute blüht nähere Umgebung jedoch nichtsdestoweniger einen gleich zugkräftigen die Moltenfur in einigen Gegenden, z. B. in Appenzell . Im FrühAnlaß zu den drüben unvermeidlichen Geldwetten aller Art abgeben. ling ging man täglich am frühen Morgen einige Wochen lang Von der größten volkstümlichen Beliebtheit sind aber die regelmäßig spazieren und trank dazu Molken oder frische Kräuterfäfte oder auch veranstalteten Volksbeluftigungen. Hier hat der Fremde Gelegenheit, löfende Mineralwässer. Gegen Störungen im Blutlauf, wie Kopfa nicht nur die Vergnügungen zu beobachten, wie sie den Kindern schmerz, Schwindel oder Herzklopfen, ließ man sich Blutegel oder aus dem Volt" jenseits des Kanals geboten werden, das Wettlaufen Schröpftöpfe ansehen, häufig auch Blut aus der Ader entnehmen. von Knaben und Mädchen, das Ringen halbwüchsiger Burschen u. a., Anschaulich hat Kußmaul in feinen Jugenderinnerungen die sondern vor allem mit einem echten und rechten Bunch nach dem Herzen Frühlingsturen des süddeutschen Landvolkes aus eigner Erfahrung des Engländers Bekanntschaft zu machen. Bunchleute sind eigentlich geschildert. In der Pfalz ging der Bauer zum Apotheker und ließ fahrende Komödianten, die mit Marionetten- Theatern umherziehen. sich irgend ein Abführmittel, mit Vorliebe den Wiener Trank aus Bei besonders feierlichen Anlässen jedoch treten sie selber als Atteure Senna und Seignettesalz, bereiten; reichte der Trank nicht aus, auf, wobei es dann äußerst derb und fräftig herzugehen pflegt. Das so mußte der Bader nachhelfen und der Schnäpper, das urdeutsche " Schauspiel" besteht gemeinhin in einem einfachen Vorgang aus Instrument zum Aderlaß, das nur schwer der feinen Lanzette wich, dem englischen Straßenleben, dem Zwist eines Betrunkenen mit trat in Thätigkeit. Sein Pfarrer machte es wenig anders. Es gab einem Bassanten, dem Einfangen eines auf der Flucht Be- Pfarrhäuser, wo die Frau Pfarrerin in einem riesigen Topf den griffenen u. a. Abgesehen von dieser allgemeinen Jdee werden Senna- Aufguß bereitete, der die ganze Familie an einem Tage Text und Gang der Handlung ganz dem Zufall und dem Belieben von den aufgehäuften Schlacken des Winters befreien sollte. der Spieler überlassen. So beobachtete der Schreiber dieses einmal ein Wasserspiel". Am Ufer eines der Teiche im Wembley Park war ein schwimmendes Podium errichtet; ein imitierter Polizist hatte num die Aufgabe, irgend wen, dessen Delift nicht näher qualifiziert war, von jenem Bretterwerk aus wieder einzufangen. Unter derben Büffen und Knüffen und ebenso derben Worten wälzten sich beide wohl eine gute Stunde in dem schlammigen Wasser des Teiches herum zur großen Belustigung von Jung und Alt, die vom Ufer aus nicht verfehlten, die burleske Handlung mit entsprechenden Ermunterungen und Späßen zu begleiten.
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Namentlich im badischen Oberlande hielt der Bauer fest an der überlieferten Frühlingstur mit Schröpfen und Aderlassen. In den alten Kalendern spielte das Aderlaßmännlein eine große Rolle, eine menschliche Figur, auf der sämtliche Blutadern, die sich zum Aderlassen eignen, verzeichnet waren, dabei standen Vorschriften, in welchen Monaten das Blut am besten aus dieser oder jener Ader geholt werden sollte. Vom Landvolk wurde der Brauch, das„ ab= genügte" Blut von Zeit zu Zeit wegzuschaffen, ftrift eingehalten. Man nahm es weg in der Abficht, mit ihm die Unreinheiten" und Schärfen" aus den Säften zu bringen und es durch reineres und besseres zu ersehen. Schröpfen und Aderlassen diente zu Nea generationsturen, wie man sich gelehrt ausdrückte.
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Jm badischen Oberland, aber auch in andren Gegenden, haben sich von altersher viele Kleine Bauernbäder erhalten, in die das Landvolk noch heute mit Beginn des Frühjahrs an Sonn- und Feiertagen strömt, der Hofbauer mit der Bäuerin zu Wagen, der fleine Bauer auf Schusters Rappen. In den sechziger Jahren des abgelaufenen Jahrhunderts war es noch häufig Brauch bei den Bauern, daß sie zuerst im heißen Bade das Blut nach außen trieben und es dann mit Schröpfen aus der Haut und mit dem Schnäpper aus der Ader holen ließen. Ein reichliches Mahl mit gutem Weine beschloß die Kur und brachte frisches Blut in die leeren Schläuche. Der Aderlaß wurde zumeist an der Armbene oberhalb des Ellbogens gemacht, nachdem über ihr eine Binde angelegt war. Zu den erforderlichen Vorsichtsmaßregeln gehörte es, daß man die Kranten stets aufrecht sehen, den Schnitt schräg, nicht quer oder der Länge nach, und nicht zu kurz durch die Bene führen ließ, damit fich das Blut möglichst im Strahl entleert. Dann kam es am sichersten zur plötzlichen Verminderung des Blutdruckes und den Erscheinungen, die man als günstige Zeichen begrüßte: leichte Anwandlung von Ohnmacht, Schweiß und freieres Atmen. Die Ohnmachtsanwandlung brauchte man nicht zu fürchten, sie verlor sich. sobald der Kranten in die Rückenlage gebracht wurde. Schon Blutentziehungen von 150 bis 200 Gramm wirkten erleichternd, aber auch pfundweise wurde das Blut beim Aderlaß und durch Blutegel ohne schädliche Folgen den Leuten abgezapft.
Von Wembly Part führt die Straße nach Harrow und Binnar, Ausflugsorte, die bereits in der weiteren Bannmeile liegen und daher mehr von Radfahrern die in der Umgebung Londons bei weitem nicht in der Häufigkeit auftreten, wie dies in der Nähe Berlins der Fall ist oder von Herrschaften" per Wagen aufgesucht werden. Die Folge ist, daß die dortigen Gasthäuser etwas vom Stile der Hotels mit ihrem steifen Ceremoniell und hohen Breisen an sich haben. Weiter im Norden der Stadt findet sich Hampstead , mehr schon ein Stadtteil Londons , mit seiner vielbesuchten Heide. Insbesonders an den sogenannten Baukholydays, den auf die hohen kirchlichen Feste folgenden freien Tagen, welch' lettere in England im Gegensatz zum Brauch auf dem Kontinent feinen tirchlichen Charakter tragen, ist die Hampsteader Heide der Sammelpunkt von Volksbeluftigungen, wie wir fie von unsren deutschen Jahrmärkten und Kirmessen her kennen. Ueber Hampstead hinaus geht es durch das im Norden Londons fich Hinziehende Hügelland nach Finchley, in dessen unmittelbarer Nähe fich die gewaltigen Friedhöfe befinden, Begräbnisstätten, die sich weit über eine englische Meile im Quadrat erstrecken und mit denen sich unsre immerhin stattlichen Berliner Beerdigungsplätze auch nicht entfernt an Ausdehnung vergleichen können. Im Anschluß an die borerwähnte Hampsteader Heide mag hier auf eine der bekanntesten Tabernen Englands und der Welt, die drei Spanier", verwiesen fein, die ihre Berühmtheit Dickens bekannten Pickwickpapers ber danken. Die drei Spanier" gehören also zu den wenigen inns" vor den Thoren der Stadt, die aus der älteren geit noch übrig sind. Das englische Wirtshaus weist durchweg die gleiche charakteristische Gestalt auf. Das gesamte Parterre wird von dem Wirtslokal in Anspruch genommen, dessen Buffet sich in einer mächtigen Hufeisenform durch den ganzen Raum zieht, während der Salon, die private Bar und die öffentliche Bar je durch Holzwände getrennt sind und meist von der Straße aus verschiedene Eingänge befizen. Tische giebt es kaum; der Gast setzt sich auf einen hohen Schemel an das Buffet oder auf eine fortlaufende Holzbank an die Wand. Bemerkenswert ist, daß das Publikum, ohne daß Differenzen im Warenpreise dies veranlaßten, sich von selber nach den gesellschaftlichen Schichten in die verschiedenen Lokalitäten der" Bar" einordnet, ein Zeichen, wie ungeheuer tief und mächtig jenseits des Kanals die Klassen- und Strankenhäusern verschwunden; es giebt Professoren, die nie Heutzutage ist der Aderlaß fast vollständig aus den Kliniken unterschiede an der Hand einer durchaus mangelhaften Boltsbildung sich gestaltet haben. Diese eine Thatsache eröffnet ein einen Aderlaß machten oder auch nur machen sahen. Verständnis für die gewaltigen Schwierigkeiten, die sich in England fich diefer gewaltige Umschwung innerhalb der Wissenschaft und der Aufgabe entgegenstellen, das Gros der Arbeitermassen aus seiner Braris? Es waren die Führer der jungen Wiener Schule, namentpolitischen Lethargie, die nahe an Fatalismus grenzt, aufzurütteln. lich Stoda und Dietl, die um die Mitte des vorigen Jahrhunderts Damit sind die beliebtesten und, weil in der unmittelbaren den Aderlaß aus der Reihe der Heilmittel strichen, indem sie ihn Nachbarschaft Londons liegend, am meisten besuchten Ausflugsorte bei den Krankheiten, wo er früher unbedingt geboten schien, als entbehrlich oder schädlich nachwiesen. Die Blutvergeudung und ihre ziemlich erschöpft. In die entfernteren, Cristal palace, Chislehurst, schlechten Resultate mußten mit der Zeit zu einer starten Realtion Greenwich u. a. soll unsre Leser eine spätere Darstellung führen. führen. Auch eine gewisse Blutscheu, die mit der größeren Nervosität Dr. H. Laufenberg. unfres Zeitalters zusammenhängt, ließ Blutentziehungen als falsch erscheinen, vor denen schon zur Zeit ihrer Blüte erfahrene Frrenärzte bei gesteigerter Reizbarkeit des Gehirns gewarnt hatten. Andrerseits hat die moderne Hygiene und Körperpflege, die lebung der Muskeln durch Bewegung, Schwimmen und andren Sport, die gesteigerte Anwendung von Waffer, Luft, Licht und der physikalischen Heilmethoden, eine zweckmäßigere Diät vielfach die fogenannten Frühlingskuren durch den Wegfall ihrer körperlichen Vorbedingungen entbehrlich gemacht.
( Nachdruck verboten.)
früblingskur und Aderlass.
Wenn die Natur fich im Frühling berjüngt, überkommt auch die Menschen unwillkürlich ein Gefühl der körperlichen Erleichterung und Befreiung, so oft fie ins Freie hinauspilgern, andrerseits ein Gefühl der Ermüdung durch die milde ungewohnte Luft. Namentlich die Bauern, die den langen Winter über hinter dem Ofen gefeffen und jeden Luftzug scheu vermieden haben, fühlen sich matt und schwer in den Gliedern, sobald die ersten lauen Lüfte wehen. Frühlingsfuren sind deshalb etwas Altherkömmliches in der Bollsmedizin,
In der Vorliebe für den Aderlaß und die Blutentziehungen ist die Voltsmedizin, wie so oft, nur die Bewahrerin alter wiſſenschaftlicher Traditionen der Heilkunde, über die diese selbst in ihrer modernen Entwicklung hinweggeschritten ist. Zwei Jahrtausende lang, seit den Zeiten der altindischen und altgriechischen Medizin bis gegen die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts galten der Aderlaß und die Blutentziehungen unbestritten als ein souveränes Mittel der Krantenbehandlung. Gerade im ersten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts wurden Aderlaß und Blutentziehung noch von maß gebenden Aerzten häufig angewandt. gebenden Aerzten häufig angewandt.
Wie erklärt
Es scheint jedoch, daß man, wie so oft in der Heilkunde, aus der Uebertreibung in der einen Richtung ein wenig in die Uebertreibung nach der andren, der allzu großen Blutschen, geraten ist. Wenigstens mehren sich neuerdings die Stimmen aus dem ärztlichen Lager, die Blutentziehungen und Aderlaß bei gewissen Leiden als sehr