Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 97.
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5 39 Dienstag, den 19. Mai.
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Das Geld.
( Nachdruck verboten.)
al
1903
Goldkönigs bestätigte. In diesem Augenblick war er fürwahr herrlich anzusehen; seine ganze schmächtige Persönlichkeit trotte dem Schicksal, in seinen Augen war fein Blinzeln, sein Gesicht blieb störrisch, er fämpfte allein gegen die Sturmflut der Verzweiflung und des Zornes an, deren ungestümes Steigen er schon fühlte. Im ganzen Saale brodelte es, alle Wellen liefen Während der letzten halben Stunde trat der endgültige auf seinen Pfeiler zu, Fäuste ballten sich, Zungen lallten böse Krach ein; die Niederlage verschlimmerte sich und riß die Menge Worte; auf seinen Lippen aber schwebte noch ein unbewußtes in regellosem Galopp mit fori. Auf das äußerste Vertrauen Lächeln, welches man für eine Herausforderung halten konnte. und den blinden Glaubensdusel folgte die Reaktion der Furcht; Zuerst nahm er inmitten eines unklaren Dunstes den alles stürzte herbei, um zu verkaufen, so lange es noch Zeit war. todesblassen Maugendre wahr, den der Hauptmann Chave am Ein Hagel von Verkaufsorders sauste auf das Parkett herab, Arme fortführte, indem er seine Vorausfagung immerfort mit von allen Seiten reguete es Bettel; diese ungeheure Menge von der Grausamkeit eines kleinen Spielers wiederholte, der sich Papier, die ohne jede Vorsicht fortgeworfen wurde, beschleunigte darüber freut, daß die großen Spekulanten Hals und Beine die Baisse und brachte einen regelrechten Zusammensturz her- brechen. Dann sah er Sédilles berzerrtes Geficht; mit dem vor. Sprungweise sanken die Kurse auf eintausendfünf- wahnsinnigen Blick eines vor dem Bankrott stehenden Kaufhundert, eintausendzweihundert und neunhundert. Käufer manns kam Sédille auf ihn zu und drückte ihm zitternd die waren feine mehr da, das Schlachtfeld blieb verödet und mit Hand, wie um in seiner Gutmütigkeit zu zeigen, daß er ihm Leichen bedeckt. Ueber dem düsteren Gewimmel der schwarzen nicht grollte. Schon beim ersten Strach war der Marquis de Röcke ragend, fahen die drei Kommissare wie Standesbeamte Bohain abseits getreten und zu dem siegreichen Heer der Baisse aus, welche Todesfälle eintragen. Durch eine meriwwürdige übergegangen; er erzählte Kolb, der ebenfalls sich vorsichtig Wirkung des durch den Saal wehenden eisigen Hauches war beiseite hielt, welche bedenklichen Zweifel dieser Saccard seit jede Erregung erstarrt und jeder Lärm verstumunt, gleichsam der letzten Generalversammlung ihm einflößte. Fassungslos in dem Entsetzen über die gewaltige Katastrophe. Eine grauen- war Jantrou wieder verschwunden, um der Baronin Sandorff hafte Stille trat ein, als nach dem Glockenzeichen des Börsen- den letzten Kurs zu melden. Sicherlich würde diese in ihrem schlusses der letzte Kurs zu achthundertunddreißig Frank be- Wagen eine Ohnmacht bekommen, wie es in den Tagen befannt wurde. Eigensinnig prasselte der Regen immer auf das deutenden Verlustes vorkam. Dann sah er Salmon, der immer Glasdach herab, welches nur noch eine unbestimmte Däm- noch stumm und rätselhaft blieb, diesem gegenüber den Baissier merung durchließ. Unter den tropfenden Schirmen und dem Moser und den Haussier Pillerault; der lettere war trotz seines Hinundherstampfen der Menge war der Saal zur Kloake ge- ungeheuren Verlustes stolz und übermütig, der andre verdarb worden, auf dem schmutzigen Boden, der einem vernachlässigten sich trotz des gewonnenen Vermögens den Sieg mit seiner unPferdestall glich, lagen allerlei Papierschnigel umher, während bestimmten Angst für die Zukunft. innerhalb der Umzäunung das bunte Geflimmer der Auftragzettel auffiel: grüne, rote, blaue waren mit vollen Händen und in solcher Menge hineingeworfen worden, daß das weite Becken überlief.
Mazaud war zugleich mit Jacoby und Delaroque nach dem Maklerzimmer hingegangen. Er trat an den Schenktisch, trant ein Glas Bier für seinen glühenden Durst und ließ seine Augen rings um das ungeheure Gemach schweifen, um dessen Langen Tisch in der Mitte die sechzig Stühle der Makler aufgestellt waren, mit der Garderobe, den Tapeten aus rotem Sammet, dem ganzen unfeinen und verschossenen Lurus, der dem Raum eine Aehnlichkeit mit einem großen Warteiaal erster Klasse gab; er sah sich mit dem Erstaunen eines Mannes um, welcher den Saal nie recht gesehen hatte. Als er dann aufbrach, drückte er sprachlos Jacoby und Delaroque die Hand; bei diesem gewohnten Händedruck erbleichten alle drei, ohne daß in ihrem alltäglichen, forrekten Aussehen das geringste auffiel. Flory sollte seinen Chef an der Thüre erwarten. Mazaud sah ihn daselbst bei Gustave stehen, der vor einer Woche endgültig ausgetreten und heute als bloßer Neugieriger gekommen war; immerfort lebte er in Saus und Braus weiter, ohne sich darum zu kümmern, ob der Vater morgen noch seine Schulden zahlen könnte. Flory dagegen war erdfahl; mit furzem, nervösem Lachen bemühte er sich, eine Unterhaltung aufrecht zu erhalten, niedergeschmettert durch den soeben erTittenen, entseglichen Verlust von etwa hunderttausend Frank; denn er wußte nicht, woher er den ersten Pfennig dazu nehmen sollte. Mazaud und sein Gehilfe verschwanden bald in dem dichten Regen.
In dem Saale aber umwehte die Panik vor allem Saccards Haupt; hier hatte der Krieg die größten Verwüstungen angerichtet. Im ersten Augenblick hatte er, der Gefahr mutig entgegenschauend, die Niederlage nicht recht begriffen. Was bedeutete denn dieses Gesumm? Das waren doch Daigremonts Truppen, die jetzt anrückten? Als er hierauf den Sturz der Kurse hörte, ohne sich noch die Ursache desselben zu erklären, da hatte er die ganze Kraft zusammengenommen, um aufrecht zu sterben. Eine eisige Stälte stieg vom Boden zu seinem Kopfe herauf, ihm kam die Empfindung der unwiederbringlichen und unheilbaren Niederlage. Die gemeine Trauer um das Geld und der Zorn um die verlorenen Genüsse trugen zu seinem Schmerz nichts bei; nur seine Erniedrigung als Befiegter thaten ihm wehe, nur der glänzende und endgültige Sieg Gundermanns, der wieder einmal die Allmacht diefes
„ Sie werden sehen, daß wir im Frühjahr mit Deutschland Krieg haben werden. Alles mit einander ist faul, und Bismarc lauert uns auf."
,, Lassen Sie uns doch in Ruhe; heute war es wieder unrecht von mir, daß ich mich zu lange besann... Was schadet's? Ich muß eben von vorne anfangen, alles wird schon gut gehen!"
So weit hatte Saccards Kraft nicht nachgelassen. Da vernahm er hinter seinem Rücken den Namen Fayeur, jenes Renteneinnehmers aus Vendôme, mit dem er für eine große Kundschaft winzig fleiner Aktionäre in Verkehr stand; erst dieser vermochte bei ihm ein unbehagliches Gefühl hervorzurufen, da ihm jetzt die gewaltige Masse der kleinen, der fämmerlichen Kapitalisten einfiel, die unter den Trümmern der Universelle zermalmt würden. Mit einemmal trieb der Anblick des totenblassen und verzerrten Gesichts Dejoies dieses Unbehagen auf die höchste Spize, indem der Ruin aller Niedrigen und Bejammernswerten in der Person dieses ihm befannten armen Mannes vor ihm aufstieg. Zugleich standen auch die blassen und verzweiflungsvollen Gesichter der Gräfin Beauvilliers und ihrer Tochter vor ihm und blickten ihn aus thränenerfüllten Augen verstört an.
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Und in eben diesem Augenblick bekam Saccard, dieser hartgefottene Bandit mit dem durch zwanzigjährige Räubereien gepanzerten Herzen, Saccard, der stolz darauf war, daß seine Beine noch nie gewankt hatten und er sich noch nie auf jene Bank neben dem Pfeiler zu setzen brauchte, jetzt bekam Saccard eine Anwandlung von Schwäche und mußte eine Weile sich auf diese Bank niederlassen. Der Menscher schwarm wogte immer noch hin und her und drohte ihn zu erstiden. Er schaute aufwärts, wie um Luft zu schöpfen, und fuhr sofort mit einem Ruck empor, als er droben an der Telegraphengalerie die Méchain erkannte, die, über den Saal herabgebeugt, mit ihrer ungeheuren, fetten Persönlichkeit das Schlachtfeld beherrschte. Neben ihr, auf der steinernen Brüstung, lag die alte Ledertasche. Ehe sie die entwerteten Aktien hineinpressen durfte, lauerte sie auf die Toten, wie ein gefräßiger Rabe, der den Heerscharen der Finanz bis zum Tage des Gemezels nachzieht.
Alsbald verließ Saccard mit fester gewordenem Schritt den Saal. Alles in ihm war öde und leer, trotzdem schritt er vermöge einer ungewöhnlichen Anstrengung seiner Willenstraft aufrecht und sicher von dannen. Nur waren seine Sinne gleichsam abgeſtumpft: er fühlte den Boden nicht mehr unter seinen Füßen und meinte, er laufe auf einem dicken Wollteppich. Ebenso lag vor seinen Augen ein dichter Nebelschleier und tönte