Mnterhaltmgsblatt des Honviirls Nr. 103. Sonntag, den 31. Mai. 1903 671 Das Geld (Nachdruck verboten.) Roman von Emile Zola . Am Montag hatte die Gräfin über dem entsetzlichen Abenteuer, das ihrer Tochter zugestoßen war, diesen schlecht gekleideten Mann und seine grausame Geschichte vergessen und wachte mit ihren Augen, die vor Thränen blind waren, am Lager ihrer Tochter, die man wild phantasierend nach Hause gebracht hatte. Alice war endlich eingeschlafen, und die Mutter hatte sich erschöpft und von der Wucht der wiederholten Schicksalsschläge niedergeschmettert auf einen Stuhl gesetzt, als Busch, diesmal von Lsonide begleitet, von neuem eintrat. „Gnädige Frau, hier ist meine Klientin, wir müssen nun zu Ende kommen." Beim Anblick der Dirne war die Gräfin zusammen- geschaudert. Sie schaute verwundert auf die Person mit der auffallenden Kleidung, mit den struppigen, schwarzen Haaren, die bis auf die Augenbrauen niederfielen. „Wir müssen zum Schluß kommen," betonte Busch scharf, „denn meine Klientin ist in der Rue Feydeau sehr in Anspruch genommen.". „Nue Feydeau?" sprach die Gräfin nach, ohne zu ver- stehen. „Nun ja, dort ist sie... Dort ist sie in einem öffentlichen Hause." Entsetzt eilte die Gräfin mit zitternder Hand den offen gebliebenen Flügel des Alkovens zu schließen. Alice hatte in ihrem Fieber unter der Bettdecke sich leise geregt. Wenn sie nur wieder einschlief, wenn sie nur nichts sah und nichts hörte! Schon fuhr Busch fort:„So ist die Sache, Frau Gräfin , verstehen Sie mich wohl... Das Fräulein hier hat mir die Sache übertragen, ich bin ihr Vertreter, sonst nichts, darum habe ich verlangt, daß sie selbst mitkam, um ihre Ansprüche geltend zu machen... Nun, Lckonide, erzählen Sie!" Unruhig und unbehaglich in dieser ihr aufgezwungenen Rolle schaute sie mit ihre» großen, trüben Augen eines geprügelten Pudels fragend auf Busch; aber die Aussicht auf die versprochenen tausend Frank wirkte bestimmend. Während er den Schuldschein des Grafen abermals entfaltete und aus- breitete, begann sie mit heiserer, vom Alkohol verwüsteter Stimme: „Ganz recht, das ist das Papier, welches Herr Karl mir gegeben hat. Ich war die Tochter des Wagners, die Tochter von Cron dem Hahnrei, wie man ihn nannte, Sie wissen ja, Madame?... Und da war Herr Karl immer hinter mir her und machte mir Zumutungen. Mich ekelte das an: wenn man jung ist, nicht wahr, und noch unerfahren, so ist man gegen die alten Herren nicht zuvorkommend... Da hat Herr Karl nur eines Abends, nachdem er mich in den Stall mit- genommen hatte, das Papier eingehändigt." Die Gräfin stand aufrecht und ließ die Dirne reden. Da schien es ihr, als habe sie im Alkoven ein Stöhnen gehört. Mit verzweifelter Geberde rief sie: „Schweigen Sie!" Aber L6onide war im besten Zuge und wollte ausreden. „Es ist doch nicht redlich, wenn man nicht zahlen will, ein unschuldiges Mädchen zu verführen. Ja, Madame. Ihr Herr Karl war ein Gauner. Das ist die Ansicht aller Frauen- zimmcr, denen ich die Geschichte erzähle." „Schweigen Sie, schweigen Sie!" rief die Gräfin wütend und hob beide Arme enipor, wie um die Dirne zu zermalmen, wenn sie weiter redete. L6onide bekam Angst und hob mit der instinktiven Be- wegung der an Ohrfeigen gewöhnten Dirnen den Ellbogen herauf, um ihr Gesicht zu decken. Eine gewitterschwüle Pause trat ein, während welcher ein neues Stöhnen, ein leiser Ton von erstickten Thränen aus dem Alkoven zu kommen schien. „Was wollen Sie endlich?" fragte die Gräfin bebend mit leiserer Stimme. Jetzt mischte sich Busch wieder ein. „Nun, Frau Gräfin , das Mädchen will bezahlt sein. Sie hat auch recht, die Unglückliche, wenn sie sagt, daß der Herr Graf von Beauvilliers gegen sie schlecht gehandelt hat. Es ist ganz gewöhnlicher Betrug." „Nie werde ich eine derartige Schuld bezahlen." „Dann wollen wir einen Wagen nehmen und sofort nach dem Justizpalaste fahren, wo ich die bereits aufgesetzte Klage einreichen werde. Hier ist sie. Alle Thatsachen, die das Fräu- lein soeben erzählt hat, sind darin aufgezeichnet." „Mein Herr, das ist eine schauderhafte Erpressung, so etwas thun Sie nicht!" „Verzeihen Sie, Frau Gräfin , ich werde es vielmehr sofort thun. Geschäfte sind eben Geschäfte!" Eine grenzenlose Mattigkeit, eine unüberwindliche Ent«. mutigung bemächtigte sich jetzt der Gräfin. Der letzte Stolz,' der sie aufrecht hielt, war gebrochen, ihre ganze Heftigkeit, ihre ganze Willenskraft sank mit einem Male zusammen, sie faltete die Hände und stotterte: „Aber sehen Sie doch, wie weit wir sind, schauen Sie sich in diesem Zimmer um. Wir haben nichts mehr, vielleicht bleibt uns morgen nichts mehr übrig zum essen. Wo soll ich das Geld hernehmen? Zehntausend Frank, großer Gott!" Busch lächelte wie ein Mann, der unter solchen Ruinen zu fischen gewohnt ist. „Feine Damen wie Sie haben immer Hilfsquellen! Wenn man richtig sucht, so findet man." Vor einem Augenblick hatte er auf dem Kaminsims ein altes Juwelenkästchen erspäht, welches die Gräfin am Vor- mittag beim Auspacken hier hatte liegen lassen; mit sicherem Instinkt witterte er Edelsteine darin. Sein Auge erglänzte in solcher Gier, daß die Gräfin der Richtung des Blickes folgte und begriff. „Nein, nein!" rief sie,„die Kleinodien niemals!" Und sie ergriff das Kästchen, wie um es zu verteidigen, diese letzten Ltleinodien, die schon so lange Jahre in der Familie waren, diese paar Kleinodien, die sie in ihrer höchsten Slot immer noch als einzige Mitgift ihrer Tochter aufbewahrt hatte, und die in der jetzigen Stunde ihre letzten Hilfsmittel waren! „Nimmermehr, lieber ein Stück von meinem eignen Fleisch!" Im gleichen Augenblick trat Frau Karoline nach kurzem Klopfen ein. Sie kam in höchster Erregung daher; beim Anblick dieses unerwarteten Auftritts faßte sie stummes Entsetzen. Mit wenigen Worten hatte sie die Gräfin gebeten, sich ihret- wegen nicht stören zu lassen, und hätte sich sofort entfernt, wenn sie nicht die flehende Geberde der Armen zu verstehen geglaubt hätte. Sie trat bescheiden in den Hintergrund des Zimmers zurück. Busch hatte seinen Hut wieder aufgesetzt, während Löonide, der es immer unbehaglicher wurde, der Thüre zu- schritt. „Somit, gnädige Frau, erübrigt nur noch, daß wir uns zurückziehen." Trotzdem zog er sich nicht zurück. Er begann die ganze Geschichte von neuem und in schändlicheren Worten auszu- drücken, als wollte er die Gräfin vor der Neuangekommenen noch tiefer erniedrigen, vor dieser Danie, die er seiner geschäft» lichen Gewohnheit nach nicht wieder zu erkennen schien. „Adieu, also, Frau Gräfin , wir begeben uns stehenden Fußes nach der Staatsanwaltschaft. Eine ausführliche Er- Zählung wird, ehe drei Tage vergehen, in den Zeitungen stehen. Sie haben's so gewollt!" In den Zeitungen! Dieser schaudererregende Skandal auf den Ruinen ihres HauseS! Es war also nicht genug, daß das uralte Vermögen zu Staub ward, alles miteinander mußte im Kot untergehen! O, die Ehre des Namens wenigstens sollte gerettet werden! Mit mechanischer Bewegung öffnete sie das Kästchen: Ohrgehänge, ein Armband, drei Ringe kamen zum Vorschein, Brillanten und Rubinen mit alt- modischen Fassungen. Busch war eifrig näher getreten. Sein Auge blickte zärtlich und schmeichelnd. „O, es sind nicht für zehntausend Frank. Erlauben Sie, daß ich sie ansehe!" Schon nahm er die Juwelen eins nach dem andern in die Hand, drehte sie hin und her und hob sie zwischen seinen vor Gier zitternden dicken Fingern, mit seiner sinnlichen Leiden» schaft fiir Edelsteine ans Licht. Die Reinheit der Rubinen schien ihn vor allem zu entzücken. Und diese alten Brillanten,
Ausgabe
20 (31.5.1903) 105
Einzelbild herunterladen
verfügbare Breiten