geregten Stimme

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So, jetzt fängt Herr Sigismund wieder an zu sprechen... Es geht seit heute morgen so fort... Ach Gott ! Mein Wasser kocht! Ich vergesse ja das Wasser! Wir brauchen's für allerhand Thee Meine gute Dame, da Sie gerade hier sind, sehen Sie doch gütigst nach, ob er nichts will."

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Laffalle und Finckeldey.

E. Bernstein verzeichnet in seiner Lassalle- Ausgabe das Gerücht, daß Ferdinand Lassalle , um in den fünfziger Jahren die Rücknahme seiner Ausweisung zu erwirken, auch ein Immediatgesuch an den König Friedrich Wilhelm IV. nicht gescheut habe. Dieses Gerücht war bisher auf unzweideutige Quellen nicht zurückzuführen und Die Méchain eilte in die Küche; vom Schmerze des material bekannt gegeben, aus dem doch mit fast zwinge der Wahr­wurde bestritten. Vor einiger Zeit hat aber Professe Oncen Nächsten immer unwiderstehlich angezogen, trat Frau Karoline scheinlichkeit hervorging, daß in der That Lassalle fich zn ar nicht bei in die Krankenstube. Die Kahlheit derselben war vom freund- Friedrich Wilhelm IV., wohl aber bei dem Kartätschenprinzen lichen Schein der klaren Aprilsonne erheitert, ein Strahl fiel Wilhelm verwandt habe. Die Schlußstücke der Beweisführung fehlten gerade auf das tannene Tischchen, auf welchem handschriftliche freilich noch.

Aufzeichnungen und umfangreiche Hefte in großen Haufen Jezt veröffentlicht nun P. Bailleu im Juniheft der Deutschen lagen, die aufgestapelte Arbeit von zehn Lebensjahren. Sonst Berlin ( 1855-1859), und sie beseitigen jest jeden Zweifel: Lassalle Rundschau" Aftenstücke zu dem fünfjährigen Kampf Lassalles um enthielt die Stube immer noch nichts als die beiden Stroh- hat thatsächlich fünf Jahre lang in schriftlichen und persönlichen Bitt stühle und die Bücher auf den Brettern. Auf dem schmalen, gesuchen an Polizeipräsidenten, Minister und den Prinzen Wilhelm um eisernen Bette saß Sigismund aufrecht, durch drei Kissen ge- die Erlaubnis gerungen, in Berlin bleiben zu dürfen. Zum Ziele brachte Stigt, den Oberkörper mit einer roten Flanellbluse bekleidet. ihn aber erst der Anbruch der neuen Aera", als Prinz Wilhelm Vermöge der eigentümlichen Gehirnerregung, die sich bis- für den wahnsinnigen König die Regentschaft übernahm und ins weilen bei Schwindsüchtigen kurz vor dem Tode einstellt, redete Liberale spielte. der Kranke ohne Unterlaß.

Er redete irre, aber zwischenhinein wieder mit wunder­barer Klarheit; aus dem abgemagerten, von langen Locken amrahmten Gesicht schauten die übermäßig geöffneten Augen fragend ins Leere.

Es war, als ob ei Frau Karoline sofort beim Eintritt erfannt hätte, obwohl beide noch nie zusammen gekommen

waren.

" O, Sie sind's, gnädige Frau... Ich sah Sie im Geist, ich rief Sie mit allen Kräften herbei!... Kommen Sie, Tommen Sie näher, damit ich leise mit Ihnen reden kann!.

Trot ihres leichten Augstschauers rückte sie näher; er mötigte sie, auf einem Stuhl Platz zu nehmen, den sie hart ans Bett stellte.

Ich wußte nicht, aber jetzt weiß ich. Mein Bruder Handelt mit Papieren, dort in seinem Geschäftszimmer habe ich Leute weinen hören... Mein eigner Bruder! D, es fuhr mir wie ein glühender Dolch durchs Herz. Ja, diese Wunde haftet noch in meiner Brust und brennt immer weiter; denn es ist etwas Entsetzliches um das Geld und um die arme, leidende Menschheit... Folglich wird nachher, sobald ich tot bin, mein Bruder meine Papiere verkaufen! Das will ich aber nicht, das will ich nicht!"

Seine flehende Stimme wurde allmählich lauter. ,, Sehen Sie dorthin, gnädige Frau, dort liegen sie, meine Papiere, dort auf dem Tisch. Reichen Sie mir dieselben, wir wollen daraus ein Bündel machen, und das nehmen Sie mit... O, ich rief Sie herbei, ich wartete auf Sie! Meine Papiere verloren, die Forschungen und Anstrengungen meines ganzen Lebens vernichtet!"

Da sie schminkte, ob sie ihm das Verlangte geben sollte, faltete er flehend die Hände.

Um Gottes willen! ich möchte nur vor meinem Tode mich vergewissern, ob sie auch alle da sind... Mein Bruder ist fort, mein Bruder kann nicht sagen, daß ich mich um­bringe... Ich bitte Sie inständigst

Durch dieses innige Flehen erschüttert, gab sie endlich nach:" Sie wissen, daß es unrecht ist, da ja Ihr Bruder sagt, daß es Ihnen schadet."

Schadet? O nein! Was liegt übrigens Saran?... Endlich ist es mir gelungen, nach so vielen durchwachten Nächten die Gesellschaft der Zukunft aufzubauen. Alle Fragen sind vorgesehen, alles ist gelöst, jede irgend mögliche Gerechtig­feit und Wohlfahrt gefunden... Wie traurig, daß ich nicht Beit gehabt habe, das Werk mit den nötigen Ausführungen zu versehen! Aber meine Notizen sind jetzt vollständig ab­geschlossen und wohlgeordnet. Nicht wahr, Sie werden sie retten, damit ein andrer ihnen dereinst endgültige Buchgestalt giebt und sie in die Welt hinausschleudert!.

Die zwei wichtigsten von Baillen mitgeteilten Aftenstücke sind 31. Mai 1855 und das Gesuch an den Prinzen Wilhelm vom ein Schreiben an den Berliner Polizeipräsidenten Hinckeldey vom 15. Juni 1858 beide Kundgebungen außerordentlich lebendige und charakteristische Beiträge zu dem Bilde des großen und genialen Socialisten, der dadurch nicht unbedeutender wird, daß er seine Menschlichkeiten zeigt. Lassalle war kein Held in glattem und plattem Jambenstil, er war ein ganz auf sich selbst gestellter Mensch, der mit zäher Energie und drängender Leidenschaft seine Zwecke ver­folgte; er war fein Cato, und er persönlich fonnte sich als ein Ginzelner, dem erst nur ein versprengtes Häuflein anhing, die An­wendung von Mitteln gestatten, die dem Gliede einer großen und starken Partei schon deshalb verwehrt werden müßten, weil die Partei selbst dadurch an der notwendigen strengen Reinheit leiden würde.

Lassalle war nach dem Abschluß der Hatzfeld - Wirren von der brennenden Sehnsucht erfüllt, in Berlin leben und wissenschaftlich arbeiten zu dürfen; er trug sich mit seinem Heraklit ". Aber die Aus­weisung stand hinderlich im Wege. Und mun ringt er fünf Jahre lang mit bewunderungswürdiger Zähigkeit, von der Düsseldorfer Verbannung loszukommen. Wie ein Grieche oder Römer, der fern von Athen oder Rom verbannt ist, drängt er nach der Heimat seines Geistes. Zuerst wandte er sich an den Polizeipräsidenten von Berlin Hindeldey. In den Berliner Polizei- Akten befindet sich sicher kein zweites Dokument dieser Art. Das Bittgesuch ist in dem gedrungenen Stil eines klassischen Philosophen geschrieben, voll stolzen überschweng­lichen Selbstbewußseins, reich an durchaus aufrichtigen Selbstbekennt­nissen und Ausbrüchen glühenden Temperaments. Am reizvollsten aber wirkt die Art, wie Lassalle mit Hinckelden umgeht. Er behandelt den preußischen Polizeibarbaren wie einen Gleichstrebenden, der mit Plato zu Bette geht und mit Hegel aufsteht, der keine andre Sorge hat, als auf des Gedankens Höhen mit Ferdinand Lassalle zu wandeln; an dessen fühlendem Busen der Verbannte seine tiefsten Empfindungen ausströmt. Ganz und gar ernst und echt in den Selbstbekenntnissen, foppt er zugleich den Polizeimann in der liebens­würdigsten und feinsten Weise. So wenn er mit griechischen Lettern zu der Erwähnung Herakleitos des Dunklen überfegt: ho skoteinos denn ein Berliner Polizeipräsident wird sich doch wohl freuen, hellenische Laute zu hören! Umgekehrt erläutert er die Erwähnung " Handschriften"; er ist doch nicht ganz sicher, ob Herr v. Hinckeldey bon ,, Codices" durch die in Klammern vorsorglich hinzugefügten: Lateinisch versteht.

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Lassalle spricht mit dem Mann wie mit einem vertrauten Freunde, so weit er von seinen eignen Plänen und Gefühlen redet, aber Hinckeldey ist ihm andrerseits doch nur die dumme Puppe, die zweifellos nicht versteht, was er aus den Tiefen seines Denkens und Schmeicheleien sind von lustiger Jronie. Sich selbst achtet Lassalle Begehrens auf sie hineinredet. Die hineinredet. Die eingesprengten fleinen viel zu hoch, um auch einem Polizeipräsidenten gegenüber von sich eine unwahrheit zu sagen, den nun einmal mächtigen Gebieter aber behandelt er mit ausbündiger spöttischer Diplomatie.

" Ich habe nur einmal die Ehre gehabt," schreibt Lassalle , Ew. H. zu sehen, aber diese kurze Unterredung hat mir genügt, um mich zu überzeugen, daß Ew. H., Selbst offen, richtiger, als bald jemand, Offenheit in andern zu schäzen wissen. Erlauben also Ew. H., daß ich mit vollständiger Offenheit die betreffende Frage einen Augen­blick lang mir freimütig zu diskutieren erlaube.

Mit seinen langen, schmächtigen Händen hatte er die Daß meine politischen Ueberzeugungen nicht mit denen der Papiere ergriffen. Er blätterte sie mit Wonne durch, während Regierung stimmen, das fann an sich gewiß auch in der Seele in seinen schon trüber werdenden Augen ein Flammenschein Ew. H. noch kein Grund sein, mir die Niederlassung in Berlin nicht hell aufloderte. Er sprach sehr rasch mit dem abgebrochenen zu gestatten. und eintönigen Ticktack einer Uhr, deren Gewichte langsam Schwerlich würden Etv. H. das Princip aufstellen oder billigen hinabsinken: es war das Geräusch des im fortschreitenden wollen, mur politische Meinungsgenossen in Berlin zu dulden. Todeskampfe unablässig arbeitenden Gehirnmechanismus.

( Schluß folgt.)

Und wohin würde man bei einer einigermaßen konsequenten Fest haltung dieses Princips gelangen? Denn schwerlich glauben Ew. H., daß alle gegenwärtigen Einwohner Berlins ein und denselben politischen Ansichten huldigen. Schwerlich werden es Etv. H. für erreichbar oder, falls es selbst erreichbar wäre, für erreichens tvert halten, daß in einer Stadt von weit über 400 000 Einwohner keine