Und bann, haben Sie eZ so eilig damit, mich schon vormittags zu stören? Lohnangelcgenheiten werden doch Sonnabends abends erledigt." »Ich glaubte, Herr Niederlein, daß ich hier würde besser mit Ihnen reden können; ich muß Ihnen meine Lage mitteilen," bei diesen Worten griff er in die Tasche und holte einen Zettel hervor, auf dem wieder Einahmen und Ausgaben einander gegenüberstanden. Sehen Sie. Herr Niederlein, da habe ich alles aufgeschrieben, ich lann wirklich nicht auskommen." Aber ich bitte Sie, was geht mich denn Ihr Zettel an." Damit wandte er sich ab und lieh den Bittsteller stehen.»Gehen Sie an Ihre Arbeit, heut' ist viel zu thun, das wissen Sie doch? Na, alsol.. Der so unwirsch Angefahrene stand betroffen da. Sein Gesicht wurde rot und die Lippen preßten sich fest aufeinander; es war, wie wenn er viele Worte hinunterdrückte, die ihm auf der Zunge lagen, die er aber nicht aussprechen wollte. Das war also das Entgegenkommen, was er auf seine demütige Bitte erwartet hatte. Statt Einsicht gänzliche Rücksichtslosigkeit, und statt der notwendigen Hilfe einfach kurze Abfertigung. Ich hatte geglaubt, daß Sie mehr Herz für Ihre Arbeiter haben, Herr Niederlein." Was?... Was wollen Sie damit sagen?" Der dicke Herr war aufgesprungen, daß der goldene Kneifer wie ein Espenblatt wäckelte.Was? Das unterstehen Sie sich, mir an den Kopf zu werfen? Sofort gehen Sie hinunter an Ihre Arbeit." In höchster Aufregung ging er im Comptoir auf und ab.Das ist ja eine Unverschämtheit sondergleichen I" Verzeihen Sie. Herr Niederlein," wagte jener einzuwenden. ich komme ja nur mit einer Bitte; ich wollte Ihnen ja nur mit- teilen, daß ich mit dem Lohn, den Sie mir zahlen, wirklich nicht aus- kommen kann; ich kann nicht I" Dann machen Sie, daß Sie fortkommen! Sie sind ja ein tzanz unverschämter Patron!" Die Manschetten waren ihm bei seinen Gestikulationen über die Rockärmcl gerutscht. Mit aufgeregten Griffen suchte er sie wieder zurechtzurücken. Und so werden Bittsteller bei Ihnen empfangen?" Raus! Raus l Noch ein Wort und ich lasse Sie mit der Polizei aus dem Geschäftslokal bringen." Die aufgeregte Szene hatte in den anstoßenden Zimmern Auf- mcrksamkcit erregt. Die leitenden Persönlichkeiten beeilten sich ins Comptoir zu gelangen, um eventuell ihrem Chef beizustehen. Dieser tobte und brüllte wie von Sinnen im Comptoir. Alles, was man an wörtlichen Beleidigungen und Beschimpfungen einem andren vor- werfen kann, brüllte er gegen den Bittsteller, dem wiederum nicht so viel Zeit gelassen wurde, auch nur ein Wort der Erwiderung zu sprechen. Erst als er durch die Thür gedrängelt, sich im Setzersaal befand, vermochte er einige in seiner Aufregung unbedachte Aeußerungen zurückzuschleudern, von denen sichHalsabschneider", Lohnschinder" und andre bis zu den Ohren des dicken Herrn ver- irrten. Nun wurde dieselbe Szene im Setzersaal vor dem ganzen Personal fortgesetzt, die sich eben im Comptoir abgespielt hatte. Ein Lärmen und Rasonnieren, das immer in die Worte aus- klang:Hinaus, Sie Verbrecher, sofort hinaus! Das ist der Dank für meine Güte, sofort hinaus!" Doch zögerte Schwindt, unter Berufting auf seine vierzehntägige .Kündigung, diesem nachdrücklich gegebenen Wunsche stattzugeben. Erst als der in der Zwischenzeit herbeigerufene Polizist erschien, der ihn darauf aufmerksam machte, daß er den Lohn für die 14 Tage einklagen könne, aber jetzt diese Räume sofort zu verlassen hätte, fand er sich in seine unglückliche Lage, zog sich an und verließ, nach- dem ihm der Wochenlohn, abzüglich des ganzen Restes auf seinen Anzug, ausgehändigt war, die gastliche Arbeitsstätte. Unten im Hausflur blieb er stehen, griff in die Hosentasche und zählte sein ganzes Geld. 9 Mark und 59 Pfennige. Während er weiter ging, rechnete er in Gedanken und es stimmte wieder alles. Dann drängte es ihn hinaus ins Freie, fort aus dieser Stadt. fort, fort in die nächste, um dort Arbeit zu suchen, und wenn sich dort keine finden ließ, dann wieder in die nächste, nur fort von hier. Nur nicht in dieser Stadt bleiben; wer da keine Arbeit hat, der ist dem Arbeitshause gar zu nahe. Fort, fort! Er ging hinaus ins Weite. Es war Spätsommer. Die Ernte bereits hereingeholt und durch die Stoppeln guckten die ersten Spitzen des Klees hindurch. Der rastlose Wanderer stieg die Chaussee hinauf auf den Walkbcrg. Dort oben, wo man über die ganze Ebene sehen konnte, legte er sich in ein Stoppelfeld nieder und blickte zurück ins Thal. Dort unten lag Friedberg  . Der spitze Kirchturm; das hohe Rathaus mit dem heiligen Florian auf dem First; rechts davon der dünne Blechschornstein, der sich ein wenig über die Häuser wagt, ist aus der Druckerei von Niederlein, wo jetzt die Setzer mit größtem Fleiß arbeiten und der dicke Herr mit dem goldenen Kneifer vielleicht ein Fläschchen Rotwein auf den Aerger des Vormittags trinkt. Dort hinten links von der Kirche wohnt die Frau Müller, die sich heut abend wundern wird, daß Schwindt nicht kommt, die Miete zu bezahlen und Hemd und Taschentuch zu wechseln. Und rechts, ganz hinten, das hohe Steingebäude mit den regelmäßigen kleinen Fenstern, auf den Dächern Blitzableiter, um die Höfe hohe Mauern das ist.., Ein Schütteln überfiel ihn. seine Augen wurden feucht, mit angsterfülltem Gesicht wandte er sich um und zog hinaus in die große. herrliche Welt. * Die langen Korridore des Arbeitshauses zu Friedberg   lagen still und verödet. Die Spätherbstsonne konnte nicht über die hohen Gebäude in die Höfe schauen, nur an den oberen Etagen erleuchtete sie mit ihrem matten Lichte die dunklen Steinhöhlen. Doch seit Wochen war kein Sonnenstrahl durch die dicken Wolken gedrungen. Ein Gemisch von Regen und Schnee fiel hernieder. Alle Arbeitskräfte desHauses" waren zur Hausarbeit beordert: Wollekratzen, Dütenkleben, Kaffeelesen. Nur die Strafarbeits- Kolonne war in dem unfreundlichen Wetter ausgezogen, um Steine zu karren; von diesem Ende des großen Hofes nach jenem und wieder zurück. Im Arbeitszimmer des Direktors war es wie sonst. Der schlanke, aristokratische Herr mit dem Hornkneifer las Aktenstücke und wunderte sich zwischendurch über das Wetter, bei dem sich gar nichts anfangen ließ. Vom Hofe her erklang das Geräusch des knarrenden Thores und wenige Minuten später trat der Inspektor ein, um Rapport zu erteilen. Heute waren drei neue Arbeitshäusler vom Amtsgericht eingeliefert. Die Akten wurden durchgeblättert. Doch bei dem Namen des einen nahm der Direktor den Hornkneifer ab und wischte sich die Augen:Schwindt? Schwindt?" Ja wohl, Herr Direktor, es ist der nämliche," fiel der Inspektor devot ein. Sehe doch einer an, also schon wieder hier? Lassen Sie mal den Kerl holen!" Wie Sie befehlen, Herr Direktor!" Nach kurzer Zeit brachte ein Aufseher einen Gefangenen zum Direktor. Korrigend Schwindt," meldete er pflichtgetreu. Der Direktor rückte sich den Kneifer gerade und musterte den Eintretenden scharf. Dieser schlug die Augen nieder; sein Gesicht war fahl, die Hände mager. Da sind Sie ja wieder mal hier?" Der Angeredete wagte nichts zu antworten; er zuckte die Achseln und ließ die Arme schlaff herabhängen. Im Sommer draußen herumtreiben und im Winter hier gut untergebracht sein und da ist man noch menschenfreundlich und besorgt diesem undankbaren Gesindel Stellung und Brot." In diesem Augenblick gingen dem armen Halbverhungerten alle Erlebnisse des letzten halben Jahres durch den Kopf. Mit dem besten Willen war er in ein neues Leben getreten, mit Zuversicht auf seine eigene Kraft und die Menschlichkeit der Menschen. Und nun, ohne daß er sich irgend einer Schuld bekennen konnte, war er doch wieder dort angekommen, von wo er mit Abscheu und Entsetzen ausgegangen war. Er hatte ein reines Gewissen und konnte seine Erfahrungen jedermann unterbreiten, ohne fürchten zu müssen, daß auch nur einer ihm Vorwürfe machen könnte. Herr Direktor.. ich.." Weiter kam er nicht. Halten Sie den Mund, Sie frecher Mensch. Ich glaube gar, Sie wollen sich verantworten? Sie sind ein ganz unverbesserlicher Lump! Herr Aufseher! Den Kerl da wollen wir Steine karren lassen, damit's ihm im Winter nicht gar zu gut gefällt." Dann winkte er mit der Hand und wenige Augenblicke später saß der Direktor allein in seinem Zimmer, wischte den Hornkneifer ab und blätterte wieder weiter in den Akten. Im langen Korridor schritten der Aufseher und der Korrigend Schwindt dem Hofe zu. Kleines feuilleton. bf. Ter neue Komet. Im Hörsaal der Treptow-Sternwarte sprach am Mittwochabend Herr Direktor A r ch e n h o l d über den neuen Kometen 1903c. Kometen(Haarsterne) sind Himmelskörper, welche, aus den Tiefen des Weltraumes kommend, unser Sonnen- system streifen und sich dann wieder in ungemessenen Räumen ver- lieren. Zwar giebt es auch einige Kometen, die dauernde Mit- glieder unsres Systems sind und die Sonne gleich den Planeten in elliptischen Bahnen umkreisen; diese sind aber nicht kreisähnlich, wie die der Planeten, sondern meist sehr langgestreckt. Das Ge- stirn nähert sich der Sonne, wird sichtbar, nimmt an Größe und Helligkeit zu, fliegt um die Sonne herum, und entfernt sich, an Helligkeit rasch abnehmend, bis es bald unsichtbar wird, und erst nach vielen Jahren, nachdem es die ganze Bahn durchlaufen hat, von neuem zur Sonne zurückkehrt. Es giebt Kometen, deren Um- laufszeit sich über Hunderte von Jahren erstreckt; andrerseits giebt es auch einige kleinere, nur im Teleskop sichtbare, deren Bahn ganz innerhalb der Planetenbahnen liegt, z. B. der Enckesche, der seine Bahn in 3V, Jahren durchläuft. Die prächtigste Kometen-Erscheinung des letzten halben Jahr- Hunderts Ivar der Donatische Komet, der im September und Oktober 1858 dem bloßen Auge einen glanzvollen Anblick bot. Er gehörte zu den vielen nichtperiodischen Kometen, die nur einmal als Gästo zu uns kommen und uns dann für immer verlassen. Diese Eigen- schast hat der neue Borellysche Komet, um den es sich heute handelt. mit ihm gemeinsam, nicht aber den strahlenden Glanz. Er wurde am LI. Juni von Borelly in Marseille   als ein Gestirn von der