Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 152.
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Donnerstag, den 6. August.
( Nachdruck verboten.)
Die Achenbacher.
Roman von Anton v. Perfall.
Flori trat zu dem Alten. Seine kräftige, schon männliche Formen annehmende Gestalt, welche seiner kindlichen Gemütsart weit vorausgeeilt schien, überragte den Großvater um Haupteslänge.
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Dieser betastete die breiten Schultern, die kräftigen Arme mit sichtlichem Wohlgefallen. Bist ja schon an Mannsbild, Flori," sagte er schmunzelnd, da kannst mi schon verstehn. Der Lehner hat den Vater schwer fränkt. Er hat uns Achenbachern a Recht g'nomma mit seiner Falschheit, das unser war seit Menschendenka, die Herrschaft in der G'meind. Das darfst nia vergess'n, nia bergeb'n, und kein Nachbarschaft soll sein zwisch'n uns und die Lehner für alle Beit'n. Versprichst ma das, Flori?"
Der feierliche Ton, welchen der Großvater anschlug, verfehlte seine Wirkung nicht auf den Jüngling. Er wußte jetzt, um was es sich handelte. Die Bürgermeisterwahl war schlecht für den Vater ausgefallen. Daher auch sein Born, welchen er an dem armen Mädel ausließ. Und an all dem war der Mann schuld, gegen welchen er von Jugend auf eine unwiderstehliche Abneigung gefühlt hatte. Zum erstenmale regte sich in ihm das Familiengefühl und mit ihm der Stolz. " Da thua i mir ganz leicht, Großvater. I kann ihn ja selb'r net leid'n, den Lehner, von ganz'n Herz'n net," erwiderte er.
Also nacha laß a das' nüberlauf'n und Umanandspiel'n mit sei'm Madel. Bist eh' z'alt, dazua," bemerkte Lorenz. Flori wurde feuerrot und warf den Kopf auf gegen den Vater. Eine auffallende Energie zeigte sich in dem jugendlichen Antlig, das noch unberührt war von jeder Leidenschaft. " Was kann denn' s Referl für sein Vatern? I mein', Du hast Di grad selb'r überzeugt, wia guatherzig se is."
Was war denn grad?" fragte die Bäuerin mißtrauisch. Lorenz fuchtelte ärgerlich mit den Armen umher." Ah was, a Dummheit! Laß! sag' Dir," wandte er sich heftig gegen den Sohn, mach mi net heiß mit dem Madel. leid's amal net, die Freundschaft, und wenn Du's net einfiechst, nacha muaß i Dir halt drauf helf'n."
Der Großvater schüttelte bedenklich das weiße Haupt. „ Nur langsam, Lorenz, nir überſtürz'n. Mit die Jungen red'n am besten die Alt'n. Lass'n mir den Flori." Die Bäuerin lachte. Was für G'schicht'n machst weg'n an armselig'n Dirndl! Als ob an dem was liegat. Zum Lach'n."
"
zu
1903
Er nahm Platz auf der Bank, in der zitternden Wärme des Ofens, neben ihm Flori, sein Enkelfind, an welchem er mit der ganzen Zärtlichkeit eines sonst liebeleeren Alters hing.
Und er begann von Zeiten, welche den Jüngling neben ihm mit ehrfurchtsvoller Neugierde erfüllten, wo noch Bären hausten oben im Gebirg und das ganze Land ringsum noch den Bauern gehörte, sonst keinem Menschen in der Welt. Da hat's nur ein' Hof geb'n da herob'n, und ein' Achenbacher, meinen Urgroßvater. Ein Mann, weit und breit berühmt vonweg'n sein Verstand und seiner Körperkraft. Wie die Destreicher ins Land kommen sind und den Kurfürsten verjagt haben, ist er einer der ersten g'wes'n, der sich dem Aufstand ang'schloss'n hat, bei Schärding hab'n s' ihn g'fang'n g'nomma, nachdem er dem Sendlinger Blutbad glücklich entgangen, und an Monat später hat er 3' Münch'n den Tod erlitt'n von Feindeshand, treu seinem Landesherrn. Dann is' s große Unglück fomma! Die Oestreicher haben sein Weib und seine zwei Buab'n vom Hof vertrieb'n. Jahrelang san s' ohne Besitz g'wes'n, bis der Kurfürst wieder z'ruckkomma is und' s alte Recht wieder golt'n hat. Dann hab'n s' friedsam 3'sammg'wirtschaft auf' n Hof. Nig hat g'fehlt, bis g'heirat hab'n, nacha war's aus. D' Weiber hab'n den Fried'n g'sprengt,' s Teil'n is anganga, nur den Westerwald haben f'g'meinschaftli b'halt'n, weil ma an Wald, den der Herrgott hat 3'sammwachs'n lassen, net verreiß'n soll wia alt's G'wand. ' s wär alleweil no ganga, aber der Bruader vom neuen Hof hat nur a Madel g'habt, und die hat an armen Bursch'n aus dem Vinschgau g'heirat, ein' Lehner, und so is da drüb'n zum Lehner word'n, nach dem Vater sein Tod. Von da is fei' Haus'n mehr g'wes'n. Die Tiroler Falschheit is schon in dem Menschen g'steckt. Kaum is der Schwiegervater g'storb'n, is Prozessiere anganga mit uns Achenbacher. Ihm hat der Anteil seiner Frau nimmer g'langt, den ganz'n Wald hat er hab'n woll'n. Und kriegt hat er' n a. Mein Vater hat den Prozeß verlor'n, auf an falsch'n Eid hin, den der Lehner g'schwor'n hat.
Mein Vater hat' s Herz broch'n, er hat nimmer leb'n woll'n ohne den Wald, der seit Mensch'ndent'n den Achenbachern g'hört hat. Jung is er g'storb'n, i war no a Bua. Aber g'merkt hab' i mir's, und mit mir is der feste Will'n aufg'wachs'n, den Wald wieder z'gwinna, und der Haß gegen den Lehner. Tag und Nacht hab' i sinniert, und wann i aufg'schaut hab' zum Westerwald , hat ma's Herz bluat. Da bat unser Herrgott an Einseh'n g'habt, laßt ma a alte Urkund find'n unter dem G'raff'l all'n, das i schon hundertmal burchfuacht. I hab's net lesen könna, grad ein Wort Wester wald ". Damit bin i aufs G'richt ganga. Da is haarklein Achenbacher g'hören soll. Das Sieg'l von die alt'n Klosterg'stand'n, daß der Westerwald für alle Zeit unteilbar zum herren is drunter druckt g'wesen, die unsre Lehensherren war'n. Da hast es g'habt zum Achenbacher g'hör'n! Zu unserm Hof und zu fein andern. Das war a Gaudi! zu unserm Hof und zu kein andern. Auffig'rennt bin i und jeden Bam hab' i in d' Arm g'nomma. Kannst Dir denk'n, wia i losganga bin. Dösmal is rasch'r ganga, hat niy g'fehlt. Sein Erblasser fann rütteln an diesem Vertrag", hat der Landricht'r g'sagt. Der Wester wald hat wieder sein' Herrn g'habt. Bist do a stolz auf den Prachtwald, wia der Staat selb'r kan hat weit und breit.
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Sie verließ plötzlich das Zimmer, die Thür heftig schlagend. In diesem Augenblick erblickte Lorenz zwischen den unter der Schneelast sich beugenden Zweigen der Obstbäume eine Mannsgestalt. Sie ging über das weite Schneefeld, dem Lehnerhof zu. Als er das Fenster öffnete, erkannte er den neuen Bürgermeister. Sein Herz krampfte sich zusammen in Haß. Urban näherte sich dem Anstieg zu seinem Haus da blieb er plötzlich stehen, bückte sich, stocherte mit dem Stod im Schnee. Er befand sich genau an der Stelle, wo Rest gelegen. Jekt richtete er sich wieder auf und schritt suchend, den Schnee prüfend, umher. Er hatte offenbar des Achen- Net, Flori?" bachers Fährte erkannt. Dann ging er rasch seinem Hause zu, in die Spuren feines Kindes tretend. Der Schnee hatte ihm die ganze Geschichte erzählt, das Fehlende wird er schon herausbringen aus dem Mädel.
Lorenz nickte tropig mit dem Haupte, als er das Fenster schloß.„ Auch recht!"
Er mußte Arbeit haben, Zerstreuung, sonst fraß ihn der Groll auf. So ging er in den Stall. Den Vater und Flori hatte er ganz vergessen über dem Anblick, der ihm eben ge
worden.
Der Alte wartete nur darauf, bis Lorenz das Zimmer berlassen, unterdes hielt er den Enkel fest an der Hand.
So, jegt hör mir zu, Flori," begann er dann, mit ihm zur Ofenbank schlurfend.„ Du mußt amal wissen, wie die Sach sich verhalt zwischen uns und dem Lehner. Nacha wirst selber wiss'n, was D' z'thuan hast."
Der Alte tastete nach der Hand des Jünglings und drückte sie erregt.
Dieser saß mit geballten Fäusten, die klare Stirn in strengen Falten, die Wangen gerötet. Er hatte sichtlich den ganzen Streit mitgefämpft.
,, Und ob i' n gern hab'!" erwiderte er.„ Weißt, wenn i in der Holzarbeit bin und aufsteh' in der Fruah im Kobel, all's glanzt im Sonnalicht, d' Vögel so schön singa und di Bam so guat riadh'n, o, da is ma so wohlso wohl!"
Der Alte lächelte in glücklicher Erinnerung und nickte mit dem greisen Haupte.
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„ Aber was is das all's, schau, Großvater," fuhr Flori in ganz verändertem Tone fort, geg'n das G'fühl, das Du g'habt hab'n muaßt, so was zruckz'g'winna, derfämpf'n, sag'n tönna, mir hab'n si's z'dank'n."
Des Alten Antlig überflog heller Freudenschein. Er