Und ohne die Antwort abzuwarten, lief sie durch die enge Straße an das andere Ende der Stadt. Chawe war eine viel zu erfahrene Person, um nicht zu wissen, daß sie die Würdenträger der<Äadt der Reihe nach besuchen müsse, wenn sie alle Fische verkaufen wollte. lind so lief sie denn auch, trotzdem die Wohnungen der andren Damen am Wege lagen, an das entgegengesetzte Ende der Stadt, zu der rau Adjunktin. Die Spekulation war ganz richtig. Die Frau djunktin kaufte nach verhältnismäßig kurzen Verhandlungen den ganzen Stör für drei Rubel, d. h. ungefähr elf Groschen per Pfund. Trunken von der Hoffnung auf großen Gewinn, aber auch über den Ausgang des Fischhandels nicht wenig beunruhigt, lief Chawe unter den widersprechendsten Gefühlen nach Hause. Na was. dachte sie laufend, einmal billiger, einmal teurer! Sie nahm einen ganzen, gab gleich Geld, ich könnte die beiden andren verschenken und hätte meine drei Rubel. „Meine drei Rubel", rief sie laut, das Papier in der Tasche zusammenknüllend.„Fünf Gulden kommen ihnen noch, die werd' ich zahlen; sind zwei Störe nicht fünf Gulden wert?" Aus der Ferne sah Chawe schon ihren Mann mit den Fischern vor dem Hause verhandeln, wobei er mit einem Stock nach den Stören stieß, die die Mnder ängstlich ansahen. „Fische, was für Fische", sagte er verächtlich.„Wer ißt das— ein Hungriger. Und wer bezahlt das— ein Tummer. Hat sie Euch kein Angeld gegeben?" „Das hat sie", sagte einer der armen Kerle,«aber den Rest bringt sie nicht". „Gewalt! Sie kommt nicht? Hab' ich kein Haus, bin ich kein Hausherr, ist mein Besitztum nicht fünf Groschen wert?" Symche bemerkte jetzt seine näherkommende Frau und fuhr noch stolzer fort:„Auf meinem Besitz ist keine Hypothek, so werden noch zwei Störe Platz haben. Ich handle nicht mit solchen Dummheiten, ich habe gesagt, ich habe ein Haus. Symche ist Hausherr." Chawe beruhigte ihren Mann mit ein paar scharfen Worten und wandte sick an die Fischer. „Drei Gulden Hab' ich zu zahlen." „Fünf", riefen die Fischer. „Was einen Rubel und einen Gulden das Stück?" Ein Streit begann. Aus Princip und in der Hoffnung, gleich beim ersten Stör schon zu verdienen, wollte Chawe zloei Groschen abhandeln, aber vergebens. Die Fischer zogen mit ihrem Gelde ab und Chawe setzte sich auf die Bank bor dem Hause und wischte sich mit der Schürze den Schweiß vom Gesicht, ohne sich um das weinerliche Geschrei der Kinder zu kümmern, die sie von vier Seiten zupsten. Endlich zog sie zwei Birnen aus der Tasche, zerbiß sie in vier Teile und füllte vier offene Münder. „Symche", rief sie ihrem Manne zu, der, die Hände auf dem Rücken, die bcmosten Schindeln seines Besitztums betrachtete,„trag' die Störe ins Zimmer". „Ist ihnen hier auch nicht kalt", antwortete er phlegmatisch und schleppte sich hustend zur Stadt. Chawe zitterte vor Wut und in ihre Augen traten zwei große Thränen. Sie haßte ihren Mann wegen seiner Faulheit und Krank- heit, so weit sie im Joch ihrer schweren Arbeit hassen konnte. Wäre Symche gesund gewesen, sie hätte eine gewisse Anhänglichkeit für ihn gehabt, hätte er aus religiösen Motiven gefaulcnzt, sie hätte geduldig die ganze Last allein getragen. Aber Symche ging als„Chussit" und auch infolge seiner Krankheit jeder Beschäftigung aus dem Wege. Ein kranker und dabei sich noch vermehrender Parasit— kann es für eine arme Frau etwas Schrecklicheres geben? Chaive schwieg noch immer, vollauf mit den Stören beschäftigt, die sie rasch loswerden mußte, da ihnen die Julihitze schaden konnte. Ohne auf das Kindergeschrei zu achten, lief sie in eines der Nach- barhäuser, zu ihrer Kundin, der Frau Kassiererin, die sie richtig im Gärtchen traf. „Ach, ach. gnädige Frau, was ich für die gnädige Frau Hab'. Keinem Menschen noch Hab' ich ein Wörtchen gesagt..., Einen frischen, schönen, sehr schönen Stör." „Stör ", sagte d-x Frau Kassiererin,„das ist gar kein Fisch. Voriges Jahr Hab' ich zivairzig Pfund einmariniert und mußte die Hälfte rauswerfcn. Nicht einmal die Kinder wollten's essen". „Was die Frau Kassiererin sagt, was die Frau.Kassiererin sagt!.., Der selige Notar hatte Stör lieber, als gebackene Schwämme.... Und die Frau Adjunktin fragt immer:'„Chawe, Chawe, wann habt Ihr Stör für mich?" „Na schließlich, wenn er billig ist." „Für die gnädige Frau einen Gulden das Pfund." „Geht weiter, Chawe, für das Geld Hab' ich Lachs." „Kostet mich selbst fünfundzwanzig Groschen, ich muß was ver- dienen." „Fünfzehn Groschen geb' ich und nehme dreißig Pfund." „Was mach' ich mit dem Rest. Frau Kassiererin, so ein schmackhafter Fisch, daß man es fast bedauert, wenn man ihn aufißt. Na, ich lauf' zu der Frau Bürgermeisterin, vielleicht nimmt sie ihn zur Hälfte." Untcrdeß aber hatte die Frau Bürgenneisterin in Erfahrung gebracht, daß Chawe im Drange der Geschäfte die Rangordnung nicht ganz strikt eingehalten und sich erst bei der Frau Kassiererin gemeldet hatte. Das Resultat war. daß die Frau Bürgermeisterin die Jüdin zur Thür hinauswarf. »Die Spitzbübin," schrie sie die Thür zuschlagend,„die will mich mit dem traktieren, was einer Kassiererin nicht mehr mag. Da» vergeh' ich Dir nicht." Chawe hatte keine Zeit, sich über diesen Empfang lange zu grämen und lief Wetter. Aber der Gott des Handels hatte offenbar beschlossen, sie schwer für ihren Wagemut zu strafen, denn sie brachte weder einen ganzen, noch einen halben Stör an. In dem einen Haus fehlten die Herrschaften, in dem andern das Geld, und Chaive kam tiefbetrübt nach Hause, nachdem sie die ganze Stadt durch- stöbert hatte. Was thun? Für eine arme Händlerin, der niemand zwei Störe abkaufen will, ist diese Frage nicht weniger schrecklich, als für den Handelsherrn, dessen beladenes Schiff mitten auf dem Meere leck wird. In einer solchen Stunde der Gefahr ist immer der erste Ge- danke: das Kapital retten. Nachdein sie die Fischer bezahlt hatte, fehlten Chawe zu der eingelegten Summe noch fünf Gulden. Sie nahm rasch ein Beil, hieb einen Stör in zwei Hälften und trug die eine davon zu der Frau Kassiererin . Wenn sie sofort den ganzen Betrag einheimste, hatte sie zwei Rubel Rein- verdienst, selbst wenn der übrige Teil der Fische verderben sollte. Oh! süße Hoffnung, oh! seltener Tag des Glücks. Zwei Rubel Verdienst für ein paar Sttmden Lauferei. Wohlhabendere Leute als Chawe würden sich unter solchen Um- stäuben dem Fischhandel zuwenden. Aber an diesem Tage sollte sich die Erde unter ihren Füßen fast in Wasser verwandeln. Die Frau Kassiererin erklärte erst, sie würde nicht ftinfzehn, sondern nur zehn Groschen pro Pfund zahlen und dann wollls sie das Geld nicht heute, sondern erst morgen hergeben. Somit hatte Chawe ihre drei Rubel nicht in der Tasche, und hatte noch keinen Groschen Bargeld verdient, trotzdem ein großer Teil des Tages bereits verflossen war. Dieser Gedanke betäubte sie erst förmlich, aber dann kam sie mit einem sonderbar energischen Gesichtsausdruck nach Hause. Es war ein Uhr mittags. Symche zerpflückte gerade rote Rübenblätter vor der Thür und warf sie den Hühnern vor. Die Kinder hockten, zu einem dichten Häuflein zusammengedrängt, an der Wand und kanten unreife Erbsenschalen, von denen der Vater ihnen eine Handvoll aus der Stadt mitgebracht hatte. Als sie die Mutter erblickten, begannen sie erbärinlich zu heulen. Chawe hob das Jüngste auf und küßte es. Dann ging sie in die Stube. „Kauf' ihnen ein Psimd Brot", sagte sie zu ihrer Mieterin und Hausgenosfin und legte vier Groschen auf den Tisch,„ich muß weiterlaufen." Kleines femUeton* dg. Tischgespräch. Es war ein sehr unpassendes Thema für diesen Kreis, man sah der kleinen Malerin aber auch die Bosheit förmlich aus den Augen funkeln. Und dieser Erich Wulkow— dieser grüne Junge, der noch kaum zwei Jahre auf der Universität war, nickte ihr natürlich Beifall zu. Die Gesichter der Damen ver- längcrten sich, der Geheimrat und der Rektor nahmen eine würde- volle Miene an. nur die junge Frau Rechtsanlvalt kicherte in ihr Taschentuch. „Ja ich weiß wirklich nicht, meine Herrschaften, wie man darüber lachen oder sich entrüsten kann!" sagte die Malerin scheinbar sehr erstaunt. „Nein, ich muß nämlich auch gestehen, ich..." „Aber, Herr Wulkow I" Die Geheimrätin schnitt dem Studenten entrüstet das Wort ab.„Aber, Herr Wulkow, ich finde wirklich, das ist keine Unterhaltung für Damengesellschaft." „Man muß doch bedenken, wo man sich befindet I" warf der Reftor salbungsvoll ein. „ES giebt ja Damen, die sich nicht dran stoßen! Ich meine aber doch in unsren Kreisen..." Die Rettorin vollendete den Satz nicht, allein der Blick, den sie der Malerin zuwarf, war vernichtend.'Die Kleine schien das Vernichtende jedoch nicht zu empfinden. Sie zuckte die Achseln:„Nun, ich verstehe trotzdem nicht, warum man unter denkenden Menschen die Frage nicht diskutieren soll. Es ist doch eine Frage, die uns Frauen sehr viel angeht." „Nein, erlauben Sie mein liebes Fräulein"— die Geheimrätin sagte das„liebes Fräulein" mit der Herablassung einer Königin— „erlauben Sie, die fteie Liebe geht uns gar nichts an. Das mag was fiir die unteren Kreise sein, einer Dame aus guter Familie wird kein Herr so etwas anzubieten wagen." „Ganz ausgeschlossen!" bestätigte der Geheimrat im Brustton der Ueberzeugung. „Das wäre ja auch wohl unerhört! Da würde ja überhaupt keine Dame drauf eingehen!" warf die Rektorin ein. «Dann wär' sie auch schön dumm!" lachte die junge Frau Rechtsanwalt. „Nein, hören Sie, Fräulein, wenn man einen lieben soll, muß er auch die Gewähr bieten, daß er zeitlebens für einen sorgt— sonst— nich in die Hand." Sie zog die Arme an und spreizte alle zehn Finger. „Bravo l" rief die Geheimrätin. „Das heißt also nach Ihrer Meinung, man soll sich so teuer wie möglich— verkaufen!" Die Augen der kleinen Malerin sprühten Funken. „Aber Fräulein!" Die ganze Gesellschaft schrie auf. „Was find denn das fiir Ausdrücke, Fräulein!" Die Geheim» rätin geriet fast außer sich.„Sich verlausen, wenn man eine Eh»
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20 (9.9.1903) 176
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