„Nch loffen Sie doch bei Gott, dies Gekrächz," sagte derandre und setzte sich, indem er sich vom Kissen erhob aufdie Bank.„Aber nein, ich habe es doch nur so zur Beleuchtungmeines Gedankens.. sagte der erster? im Tone unwill-kürlichen Verdrusses.„Ach spreche doch nicht von physischerAngst... wenn Gott will, kommen wir glücklich ans Ziel...nur zu unsrer Unterhaltung war das: Auch hier ist dochalles ganz gewöhnlich. Schließlich ist es nur ein Strich auf demPapier, den irgend ein Herr in Petersburg gemacht hat...und der Herr ist ein ganz gewöhnlicher Herr: das Röckchenund die Krawatte und das anständige Aussehen... SeineKinderchen liebt er und der Frau macht er selbstverständlichGeschenke..."Er verstummte. Der Herr in den buntgestreiften Hosensaugte nervös an einer Cigarette und sagte:„Pfui! HabenSie mir einen Schrecken eingejagt, Pawel Semjonitsch, beiGott! Denn wirklich, weiß der Teufel, da schläft dieseCanaille ein und es passiert etwas... Viecher sind dieseEisenbahnkerls! Nun, jetzt kann man nicht mehr schlafen.Wollen wir von etwas anderm... Sind Sie schon lange inTichodol?"Pawel Semjonitsch warf den Cigarettenstummel fortund antwortete:„Ja in Tichodol. Wissen Sie, das ist so einelendes Nest... Das ist da wie in einer Grube. EinLehrer, ein Amtsrichter, ein Steuereinnehmer... Bist dueinmal dahinein geraten, dann bist du vollständig vergessenund aus der Zahl der Lebenden gestrichen... Der FranzoseLampi blieb da so lange, bis er seine volle Pension erhieltund seine Enkel in demselben Gymnasium untergebrachthatte..."„Ja, ich erinnere mich," sagte Jlja Petrowitsch.„Ichhabe mich da, wie Sie sehen, herausgerissen. Wirklich, diesNest, weiß der Teufel, nicht mal einen Klub hat es."„Einen Klub giebt es jetzt schon, aber trotzdem ist dieStadt elend und schmutzig...Ich lebe allerdings ganz draußen vor der Stadt. Daskam so, erstens sind da die Wohnungen billiger und zweitensist man gleich in der freien Luft. Es ist zwar vom Gymnasiumsehr weit, aber das hat auch seine gute Seite— Bewegung.Nun, auch die Wohnung ist sehr bequem. Erinnern Sie sichvielleicht, Jlja Petrowitsch, an das Haus von Budnikow?"„Gewiß, gewiß, ich erinnere mich," entgegnete JljaPetrowitsch. scheinbar zufrieden, daß das Gespräch in einruhigeres Fahrwasser gelenkt war.„Auch Simeon Nikolaje-witsch kannte ich. Ein gebildeter Mann von blühender Ge-sundheit."l Fortsetzung folgt.).(Nachdruck verboten.)Der Schutzpatronder Ordnungeretter,Es ist seit manchem Jahre bekannt, daß der ordnungsliebendeTeil der Völker Europas die Verteidigung der heiligsten Güter unterdem Patronat eines besonderen Schutzengels betreibt. Auch sovieldarf als feststehend gelten, daß einem der drei Erzengel die Prote-gierung der Ordnungsretter als Specialressort zugewiesen wird. Frag-lich kann nur sein, welcher von den dreien die erhebende Aufgabe derUmsturzbekämpfung auf sich genommen hat, ob Raphael, Gabriel oderMichael der Schutzengel der heiligsten Güter ist. Gemeinhin wirdMichael als Ordnungsschutzpatron in Anspruch genommen. Dafürscheint ja auch jene Stelle der Apokalypse zu sprechen, wo der streit-bare Michael den„großen Drachen, die alte Schlange, die da heißt derTeufel und Satanas", zum Himmel hinauswirft. Nichtsdestowenigerist diese Ansicht ein Irrtum. Soeben ist darüber Klarheit geschaffenworden durch die aktenmäßige Veröffentlichung einer Offenbarung,die zwar schon vor bald hundert Jahren ergangen ist, aber bisher imStaub eines französischen Familienarchivs unter allerhand gleich-gültigen Sachen begraben lag. Daraus hat nun Herr Dom Dribourgdas unschätzbare Dokument hervorgeholt, und sein Kollege von derarchäologischen Gesellschaft des Departements Tarn et Garonne, HerrOberstlicutenant Forel, hat sich den Dank aller Wahrheitsfreundeverdient, indem er im laufenden Hefte der Zeitschrift jener anti-guarischen Vereinigung die„Gesichte Tomas Martins im Jahre 1816"zur Kenntnis der Nachwelt brachte.*)*) Des apparötions de Thomas Martin en 1816. Par M. lelieutenant-colonel Forel, membre de la Sociötö arch�ologique.BnlJ�iu archeologique de la Socidte aroheologiqua de Tarn etGtutÄue. Montaubau, 1903. pag. 177 ff.Das Jahr 1816 war ein geeigneter Augenblick, da» Frankreichdieses Zeitpunktes eine geeignete Lokalität für contrerevolutionäreOffenbarungen. Man erinnere sich, daß der russische Zar Alexander I.vatermörderlichen Angedenkens soeben die heilige Allinanz gestiftethatte, und daß der regierende Franzosenkönig Ludwig VXlII.Mitglied des ftommen Fürftenvereins zur Bekämpfung des Umsturz-drachens geworden war. Der allerchristlichste König konnte die Unter-stützung seiner mehr oder weniger christlichen Kollegen von GottesGnaden gut gebrauchen, sintemal er überhaupt bloß ein König vonAuslands Gnaden war. 1814 hatte die Armee der verbündetenRussen, Preußen, Oestreicher und Engländer dem besiegten Frankreichdie Wiederherstellung des durch die große Revolution verjagten Bour-bonentums aufgezwungen. Die Bourbonen und ihre Verbannungs-genossen aus dem Adel und der Geistlichkeit gingen als Leute, dienichts gelernt und nichts vergessen, alsbald mit Feuereifer an dieRestaurierung der verschwundenen feudal-klerikalen Herrlichkeit ausvorrevolutionärer Zeit. So machten sie sich vor Ablauf eines Jahresbeim französischen Volkc dermaßen beliebt, daß Napoleon bei seinerRückkehr von Elba 1315 als das kleinere Uebel überall mit Freudenempfangen wurde. Die Bourbonen zogen zum zweitenmal mitihrem ganzen Anhang ins Exil. Diesmal aber nur auf hundert Tage.Dann hielten sie unter dem Schutz der preußisch-englischen Bajonette.die bei Waterloo dem napoleonischen Kaisertum den Rest gegebenhatten, von neuem ihren Einzug in Paris.Es läßt sich leicht denken, daß die Boiwbonen nach solchen Er-fahrungen alle Chöre spielen ließen, um den Umsturz dauernd zurRuhe zu bringen. Blaue Bohnen und kaltes Eisen spielten dabei dieRolle der ersten Geige. Zwar die Regierung ließ offiziell bloß wenigeGenerale erschießen, die 1814 das Bourbonenkönigtum im Stich ge-lassen hatten. Die Hauptsache besorgte die gern gesehene Lynchjustizfrommer Katholiken und eifriger Royalisten aus dem Volke. Der„weiße Schrecken" tobte widerstandslos, besonders in den südlichenProvinzen. In und um Nimes z. B. fielen die königstreuen Katho-liken über die republikanischer Gesinnung verdächtigten Protestantenher, um sie in großen Mengen zu plündern und niederzumetzeln.Die Leiter dieser planmäßigen Massenmorde warer wohlbekannt, abervor jeder Verantwortung sicher: ein Abgeordneter, der die Sache inder Kammer zur Sprache bringen wollte, ward durch das Wutgebrüllseiner Kollegen und den Ordnungsruf des Präsidenten daran ver-hindert. In der Sache war Svstcm. Zu Avignon ward der MarschallBrune als ehemaliger Republikaner vom Pöbel erschossen. Die Be-Hörden erkannten auf Selbstinord, und die Thäter gingen straflosaus. Dagegen wurden am 27. Juli 1816 n. Paris drei arme Teufelguillotiniert, nachdem ihnen zuvor die rechte Hand abgehauen wordenwar. Diese Strafe des Vatermordes traf sie deshalb, weil sie sichdurch einen Lockspitzel einen unsinniger Plan hatten einblasen lassen»die Tuilerien in die Luft zu sprengen. Das kann nicht überraschen.wenn man bedenkt, daß alle Garantien der persönlichen Freiheit zuGunsten einer grenzenlosen Polizeiwillkür abgeschafft waren, und daßschon auf bloßen auftührerischen Ausrufen barbarische Strafenstanden. Es loaren gesegnete Zeiten für die Frommen im Lande.Der Prozessionen, wie aller andren Kundgebungen rechtgläubigenKirchentumS war kein Ende. Nichts, was in chren Kräften stand.unterließ die allmächtig herrschende Klerisei, um des UmsturzdrachensHerr zu werden.Da kam also eine Offenbarung, die jedermann kundthat, daßdie regierenden Ordnungspolitiker mit ihren gottseligen Mitteln aufdem rechten Wege seien, außerordentlich gelegen. Einem einfachenBäuerlein aus der Nachbarschaft von Chartres ward sie in diesemJahre des Heils 1816 zu teil. Tomas Martin hieß der Aus-erwählte. Bis dahin— bis zu seinem vierunddreitzigsten Jahre—war weiter nichts von ihm zu melden gewesen, als daß er im DorfeGaillardon, vier Meiler von Chartres sein Gütchen bebaute und füreinen ehrlichen Mann galt, der das Pulver nicht erfunden hatte.Am 15. Januar 1816 aber passierte ihm das Wunderbare, das ihnüber Millionen seiner Mitbauern hinaushob. Er war gerade beider prosaischen Beschäftigung, aus seinem Kleeland Mist auszubreiten.Da bemerkte er plötzlich vor sich einen Fremdling von hohem, schlankemWuchs und blassem Antlitz mit hohem Hut und in langem, braunemUeberrock.„Martin," redete der Fremde ihn an,„benachrichttgenSie den König, daß seine Person und die Fürsten in Gefahr sind,daß man schlimme Pläne gegen die Regierung hat, und daß mehrereumstürzlerische Schriften in den verschiedenen Teilen seiner Staatencirkulieren." Martin verspürte zunächst keinen Appetit zu demschwierigen Auftrag und gab in seiner Antwort dem Unbekanntenanheim, die Mission selber auszuführen.„Weder ich, noch andresollen mst dem Könige sprechen." erwiderte der Fremde,„Gott willes nicht. Sie allein sollen ihn aufsuchen, wie ich Ihnen es befehle."Sprachs und verschwand vor den Augen Martins, dem die Haarezu Berge standen, wie die Gestalt drei oder vier Fuß hoch von derErde emporschwebte und sodann in die Luft zerfloß.Das war nicht das einzige Wunder dieses TageS; denn, alsMarttn nun wieder zu arbeiten begann, vollendete er mit zauber-hafter Schnelligkeit in einer Viertelstunde, wozu er sonst einen halbenTag gebrauchte. Ganz außer sich kehrte er nach Hause zurück, ohneaber an die Ausführung des ihm gewordenen Aufttags entfernt zudenken. Jndeß er ward gemahnt. Zwischen dem 13. und 24.Januar erschien ihm die geheimnisvolle Persönlichkeit bei vier Ge-legenheiten, lvarf ihm mit Strenge seine Trägheit vor und erneuerteVW. w'