mehr mit sich und seinen unreinen Gedanken, sondern verschlang seine schöne, elegante Lehrerin mit den Augen. Das Gesicht Alice Ossipowas war nach wie vor kalt. Punkt 8 Uhr jeden Abends sagte sie rnbig:Au revoir, Monsieur!" und er fühlte, daß er ihr stets so gleichgültig bleiben werde wie jetzt, dah seine Lage hoffnungs- los sei. Bisweilen begann er mitten in der Stunde zu träumen, zu hoffen, Pläne zu entwerfen, in Gedanken Liebeserklärungen zu machen. Dann erinnerte er sich, das; die Französinnen leichtsinnig, un- berechenbar seien, aber ein Blick in das Gesicht seiner Lehrerin genügte, diese Gedanken augenblicklich zu unterdrücken. Einmal hielt er es nicht mehr aus. Als sie nach der Stunde aus denr Kabinett ins Vorzimmer gehen wollte, trat er ihr in den Weg und begann atemlos eine Liebeserklärung zu stammeln: Sie sind mir teuer l Ich... ich liebe Sie I Gestatten Sie mir zu sprechen I" Alice Ossivowna erblaßte wahrscheinlich aus Furcht bei dem Gedanken, daß sie nach dieser Erklärung nicht mehr hierherkommen und einen Rubel pro Stunde verdienen könnte sie machte er­schreckte Augen und flüsterte: Ach bitte, ncinl Sprechen Sie nicht so. ich bitte Siel Das darf nicht sciu!" Worotow schlief vor Scham die ganze Nacht nicht und schalt sich. Augenscheinlich hatte er mit seiner Erklärung das Mädchen be- lcidigt, es für immer von sich gescheucht. Er beichloß, am nächsten Morgen sich ihre Adresse zu besorgen und einen Entschuldigungsbrief zu schreiben. Aber sie kam auch ohne Brief. Zuerst fühlte sie sich etwas unbehaglich, dann aber öffnete sie das Buch und begann schnell und gewandt wie immer zu übersetzen.... Sie kommt nach wie vor: vier Bücher sind bereits übersetzt, aber Worotow weiß bis jetzt nnr das eine WortMemoii-es", und wenn man ihn nach seinen französischen Sprachkenntnisien fragt, winkt er bloß mit der Hand und beginnt schnell vom Wetter zu sprechen. kleines feuilleton. tp. Wenn Herbst wird... Am Vormittage lag wie«in dumpfer Druck die Hitze über den Bäumen. Ein verspäteter Sommertag hatte sich eingestellt und tauchte schon am frühen Morgen den Wald in Licht und Wärme. Wie im letzten Glanz war's, ein Abschiednehmen. Matt hing das Laub und verblaßt; lebensmüd senkten sich die Farnwedel, die Halme und vertrockneten Blüten. ging ans Sterben. Und auch der helle, wärmende Strahl rief weder die bunten, leuchtenden Farben, noch die freudige, straffe Lebensfrische zurück. Nicht alle Blätter sterben gern. Einige seufzen und wimmern ängstlich im Wind; sie klammern sich mit zitternder Faser an den leise knarrenden Zweig, und zuweilen geht's wie ein gelinder Aufschrei von ihnen aus. Andre hängen gleichmütig, in philosophischer Ruhe, am Stengel, als kümmere sie das große Dunkel nicht, das überall mit leisem Singen lockt. Und wieder andre glaubten wohl nicht an das spurlose Vergehen und Verderben und schickten helle, zuversicht- liche Töne in die seltsame Sinfonie. Aber auch Spötter giebt's. Die kichern und lachen mit eitler Ueberhebung hinein in das Konzert und höhnen die Aengstlichen, als sei ihnen das ewige Leben sicher. Di« Fürwitzigen I Eine kurze Zeit noch, dann werden sie ächzen im tötenden Sturme... Spielt im Frühling der Regen seine stille, gleichmäßige Weise, dann ist's wie Erguickung und mühsam gedämpftes Jauchzen; wie jugendliche Neugierde tönt's hindurch und aufsteigende Straft, die in den Fesseln murrt. Wenn es Herbst wird, klagt Regen und Wald in heimlicher Wehmut. Raschelt der Sang in den Blättern, so tönt's wie ein verborgenes Schleifen heraus, und unwillkürlich schweift der Blick hinüber zum Acker, wo jüngst die gelben Halme fielen, weil scharfe Sensen klingend durch das Korn rauschten. Jetzt sieht unser Auge ans Stoppelfelder, auf graue, öde Weiten. Und doch ist's fast wie damals, als der Bauer mit dem Wetzstein über die Schneide fuhr. Nur heimlicher tönt's, versteckter; maus weiß nicht, woher es kommt. Und so milde, so vorsichtig und geruhsam ist's, «ls hätt's keine Eile damit. Als sollten erst alle in den Schlaf ge- fangen werden, ehe der große Würger kommt. Denn kommen wird er und nicht leise. Mit harter Faust wird er das Laub von den Bäumen streifen und Ast und Wipfel brechen. Aus allen Zweigen wird's schreien, und schrille Dissonanzen werden den Wald durch- heulen... Ter Einfluß des Sonnenscheins ans die BevölkernngSdichte und kulturelle Verhältnisse. Professor Lugeon von der Universität Lausanne   hat in einer vor einiger Zeit erschienenen Schrift zu zeigen versucht, daß das Maß des Sonnenscheins auf die Verteilung der Bevölkerung einer Gegend in merkwürdiger Weise einwirken kann. Er betrachtet, demGlobus  " zufolge, die Bevölkerung des Rhone  - thols zwischen Martigny   und dem Rhonegletscher und verweist darauf, daß in jenem Landesteil das linke User eine Einwohnerzahl von 20 000, das rechte aber eine solche von 34 000 Seelen habe, Dieser Unterschied in der Bevölkerungsdichte komme teilweise zweifel- los daher, daß das rechte, mehr hügelige Ufer sich besser für die Siedelung eigne; noch mehr aber hänge sie vom Maße des Sonnen- scheins ab. der auf beiden Ufern sehr verschieden sei. In gewissen Teilen des untersuchten Gebietes, wo auf beiden Usern die gleichen topographischen Verhältnisse herrschten, betrage die Bevölkerung auf der der Sonne ausgesetzten Seite gegen 3000 Seelen, während sie auf der andren Seite, die im Sonnenschatten liegt, kaum 700 bi» 800 Seelen zähle. Von einer oder zwei Ausnahmen abgesehen. lägen alle Dörfer ans dem der Sonne ausgesetzten Ufer. Dieser Einfluß des Sonnenscheins bezw. des Mangels davon äußere sich auch im physischen Charakter und in den Lebensgewohnheitcn der Bevölkerung beider Ufer. Auf dem rechten, also dem sonnigen Ufer, zeigten die Bewohner mehr Leichtigkeit, mehr Wohlhabenheit und einen höheren Kulturgrad als die auf dem andren Ufer, und jene Sonnenaristokratie" schaue mit einer gewissen Geringschätzung auf die inferiore Bevölkerung des Schattenufers herab. Das Dorf Reckingen   habe zwei verschiedene Kasten, deren Entstehung ihren letzten Grund in der Verschiedenheit des Sonnenscheins habe, dem sie ausgesetzt wären.> Geschichtliches. rc. Ein Leidens geführte Schubarts. Den Hohenasperg   nennt jeder als dieFürstengrust", in der Herzog Karl Eugen   von Württem- berg wegen heftiger Angriffe auf sein tyrannisches Regiment den fteiheitsliebenden Christian Schubart  , den ersten deutschen Jour- nalisten mehr als zehn Jahre lang<17771787) lebendig begrub. Während dieser Zeit berührt sich mit dem Lebenswege des unglück- lichen Schriftstellers die abenteuerliche Laufbahn eines Mannes, der von Anbeginn ein Leidensgefährte Schubarts genannt werden muß, obwohl er zunächst zu seinen Kerkermeistern ge- hörte, erst in den letzten Jahren sein Kerkergenosse Ivurde. Johann Steininger hieß diese merkwürdige Soldatengeftalt. Er hat zu Anfang der vierziger Jahre des vorigen Jahrhunderts selber sein buntscheckiges Kriegskncchtsleben geschildert, als er im hohen Alter aus demselben Hohenasperg   das karge Gnadenbrot eines Invaliden, wo er einstmals seine württembergische Karriere be- gönnen hatte. Das war im Jahre 1779. Steininger war aus Turin   von dem sardinischcn Regiment, bei dem er gleich seinem Vater, einem hier gestrandeten wiirttembergischeii Deserteur, in Diensten stand, fahnenflüchsig geworden, um sich ein wenig in der Welt umzuthun. Das hat er in den nächsten 30 Jahren ausgiebig besorgt. Ist er doch in dieser Zeit nicht weniger als dreizehn- mal desertiert, wie es dazumal unzählige Leute machten, die es bloß auf dasHandgeld" des Angeworbenen abgesehen hatten und dann bei erster Gelegenheit das Weite suchten, um den Trick anderswo zu erneuern. Steininger ist auf diese Weise ziemlich in aller Herren Länder umhergekommen. Der Beginn seiner Wanderjahre also brachte ihn 1779 nach der württembergischen Heimat seiner Eltern. Da er noch die sardinische Uniforn, trug, so ward er in Tübingen   gleich als Deserteur erkannt. Als solcher hatte er in jener guten, alten Zeit auf schwäbischem Boden gar keine Wahl, ivas nun weiter mit ihm werden solle. Alle Deserteure, die nach Württemberg   hereinkamen, wurden gemäß herzoglichem Befehl ohne weiteres zum Kriegsdienst gepreßt. Wer nicht wollte, wurde so lange gezwiebelt, bis er mürbe war. So ging es auch drei Handwerksburschen, die mit Steininger zusammen in Stuttgart   dem Herzog Karl vorgeführt wurden. Diese armen Teufel wollten nicht anbeißen. Da ließ sie der Herzog nach seiner Manier in einem Kerkerloch einsperren, das trotz der heißen Witterung tüchtig geheizt wurde. Hier mußten sie bei einem Minimum von Wasser und Brot so lange schwitzen, bis sie sich ins Unabänderliche fügten. Steininger machte keine Umstände und wurde als Tambour dem Regiment des Obersten Ricger zu- geteilt, des grausamen Kommandanten von Hohenasperg  , unter dem Schubart zu seufzen hatte. Nach dieser Festung mußte Steininger also hin und bekam 7 Fl. 30 Kr. Handgeld, die er alsbald, um nach militärischer Sitte sein Elend zu versaufen, in Wein umsetzte. Als er abends etwas benebelt zu Bette ging, gab er den unvorsichtigen Stoßseufzer von sich:Hier liegt auch für 7 Fl. 30 Kr. Ware!" Diese Kritik militärischer Einrichtungen hätte ihm ums Haar die erste Tracht landesüblicher Stockhiebe eingetragen. Glücklicherweise unterließ der Feldwebel die angedrohte Meldung der Sache. Nun war Steininger also wohlbestallter Festungssoldat auf Hohenasperg  . Man könnte gerade so gut sagen: Festungsgefangcner. Durfte doch kein Soldat die Wälle der Festung verlassen, damit dem Desertieren vorgebeugt werde. Diese Inhaftierung mußte ja nun die Leute erst recht auf ver- zweifelte Einfälle bringen. Daher suchte Oberst Rieger für Zer- streuungen zu sorgen. Er gab ausgiebige Gelegenheit zum Trinken und Tanzen, wozu die zahlreichen verheirateten Soldaten den übrigen ihre Frauen herleihen mußten. Die soliden Ehemänner pflegten ihre besseren Hälften frühzeitig zu Bett zu holen. Das duldete aber Rieger nicht. Wenn er nachts zu seinen Leuten kam und die Tänzerinnen verschwunden fand, so beorderte er:Im Augenblick geht fort und holt sie aus den Betten I Sie sollen auf der Stelle kommen oder ich jage sie morgen samt und sonders zur Festung hinaus". Und dann ward bis zum Morgen das Tanzbein ge- schwungen. Dem Wunsche Riegers, seine Soldaten zu zerstreuen, ver- dankte nun auch der arme Schubart vorübergehende Erleichterungen seines traurigen Loses. Es ward ihm nämlich gestattet, aus den gewecktesten Leuten der Besatzung Steininger darunter eine Schanspielertruppe zu bilden, die von Schubart   gedichtete Stücke auf einer improvisierten Bühne spielte. Manchmal war ein ganz erlesenes Publikum zugegen: der Herzog selber genierte sich nicht, den Vorstellungen fernes Opfers manchmal beizuwohnen, ohne daß er sich hätte erweichen lassen. Treue Freunde hatte Schubart