weißt ja, Dora, daß Du fleißig sein mußt". Und dann wenden sich die Mitschülerinnen um nnd gucken mich an, die Freischülerin, einige nicken freundlich, andre sehen Seniert aus, manche rümpfen die Nase, o, o, ich möchte beißen, hreien und um mich schlagen in solchem Augenblick, so außer nur bin ich." „Aber, liebe Dora, Armut ist doch keine Schande. Du nimmst alles gleich so heftig," sagte Marie Luise mit ihrer fügsamen, weichen Stimme, die einen scharfen Kontrast zu Doras aufgeregten Worten bildete, deren Ton um die Wette mit ihren heißen Gefühlen kämpfte.„Außerdem hast Du auch nur noch ein halbes Jahr nach!" fügte sie tröstend hinzu. „Na, und dann? Dann soll ich hier vielleicht sitzen wie Du und nähen und nähen, das halte ich nicht aus, nein, das kann und will ich nicht." Sie schleuderte das halbfertige Hemd von sich auf einen Stuhl und warf sich schluchzend auf das Sofa. „Aber liebe, kleine Dora," sagte Marie Luise ruhig,„Du bist wirklich nächstens zu groß für solche Ausbrüche. Und dann will ich Dir sagen, daß Du Dich nicht um die Zukunft zu sorgen brauchst. Du bekommst vielleicht einen guten Comptoirplatz oder eine Stellung als Gouvernante, wer weiß?" Dora richtete sich halbwegs auf, sie stützte das thränen- überströmte Gesicht in die Hände und lächelte plötzlich. „Ja, darin hast Du recht; wer weiß, vielleicht werde ich mich reich verheiraten." „Aber, Dora, Tu bist wirklich zu jung, um an solche Dinge zu denken." „Daran habe ich lange gedacht. Liebste. Ich finde, es wäre riesig fein, einen alten Grafen einzufangen. Er müßte bald sterben natürlich, damit ich den Alten los bin." „Schweig nun, Dora, und nähe lieber statt dessen ein wenig M' ermahnte Marie Luise strenge. Mit einem Seufzer der Erleichterung legte Marie Luise endlich nach einiger Zeit ihre Arbeit in ein Paket zusammen, griff in größter Eile nach Mantel und Hut und eilte die wohl- bekannten Straßen bis zu der großen Leinenfabrik entlang. „Ei, das ist schön, daß Sie die Hemden schon fertig haben, Fräulein!" begrüßte die Direktrice sie beim Eintreten.„Sie möchten natürlich gern gleich bezahlt haben, Fräulein, das wird sich aber wohl schwer machen lassen, denn ich wollte eben gerade schließen." „Beste Frau Eriksson," bat Marie Luise schüchtern,„ich hatte so fest darauf gerechnet, das Geld gleich zu bekommen." Die kleine, korpulente Frau sah sie mitleidig lächelnd an. „Ja so, ja, es ist ja Sonntag morgen, und am Montag bin ich nicht hier. Wieviel haben Sie zu fordern, Fräulein?" „Einundzwanzig Kronen." Marie Luise holte tief Atem. „Sind Sie sicher, daß Sie richtig gerechnet haben, Fräulein?" Frau Eriksson trat an das Pult und schlug langsam das große Anschreibebuch auf, worauf sie zu rechnen begann. Marie Luise stand daneben, nervös, blaß und abgearbeitet. Ihre Gedanken bewegten sich in ununbrochenem Kreis- lauf um diese kleine Summe. Hatte sie sich verrechnet, würde es nicht für die Ausgaben ausreichen, für die sie es bestimmt hatte. Nein, es mußte stimmen: ein Dutzend ä eine Krone fünfundsiebzig Oere. Wenn Frau Eriksson sich nur beeilen wollte: die Läden würden bald geschlossen werden. „Ja, es stimmt!" lautete es schließlich, und gewohnheits- mäßig kratzten die fetten, weißen Finger in dem Kassenfach. „Bitte, hier ist auch noch mehr Arbeit. Es ist sehr eilig." Marie Luise stürmte nach einem hastigen Adieu wieder die Treppen hinunter. Sie ging in einen Handschuhladen und kaufte ein Paar weiße ssanks de Sndde für Dora; sie wußte, daß sich diese längst ein Paar solcher gewünscht hatte, dann machte sie noch einige Einkäufe für den Haushalt und erstand schließlich noch eine Düte Bonbons für die eventuelle Ausfahrt morgen. Als sie nach Hause kam, trat Dora ihr gleich mit der Be- stellung entgegen: „Nils Hedwin ist hier gewesen und hat gefragt, ob wir morgen nachmittag mit ihnen nach Haga wollten, und ich habe ja gesagt. Er läßt Dich grüßen." „Tanke; hier habe ich etwas für Dich, kleine Tora." l Fortsetzung folgt.). (Nochdruck verboten.) Rom nach dem SUndenfall: niederländifche Lesart. Unbequeme Thatsachen pflegt der Klerikalismus, seit und soweit er nicht mehr den Arm der Staatsgewalt gegen seine Widersacher in Bewegung setzen kann, durch ausgiebiges Schimpfen aus der Welt zu schaffen. Kaum hat also die„Neue Welt" unter dem Titel „Rom nach dem Sündenfall" einige benierkenswerte Thatsachen aus der römischen Kirchengeschichte des 4. Jahrhunderts mitgeteilt, da inacht sich alsbald ein klerikaler Klopffechter an die erhebende Arbeit, die bösartige Ketzerei in der Hanptarena der Centrumspresse durch seine Anzahl eleganter Lufthiebe abzuthun. Nach jenem be» währten Rezept geht der Schimpfartiklcr der„Germania" um die geschichtlichen Thatsachen, die den wesentlichen Inhalt der an- gefeindeten Notiz bilden, herum, wie die Katze um den heißen Brei: er erwähnt sie überhaupt gar nicht, geschweige, daß er versucht, den Beweis ihrer Unrichtigkeit zu stihren. Das wäre freilich auch ein schweres Stück, wo zwei notorische Heilige Hauptgewährsmänner sind. In begreiflichem Aerger über diesen fatalen Umstand schimpft daher unser guter Mann, wie nur klerikale Vertreter der christlichen Liebe schimpfen können: als Angriffspunkt sucht er sich die einleitenden Sätze der Notiz aus. Darm hat er glücklich einen geschichtlichen Hinweis ent- deckt, der ihm anfechtbar erscheint. Er entrüstet sich darüber, daß Kaiser Konstantin für einen gewissenlosen Realpolitiker erklärt wird, der innerlich mit dem Christentum gar nichts zu schaffen hatte,' sondern nur aus politischer Berechnung die Kirche patronisierte. Das ist nun keineswegs eine rein subjektive Meinung, fondern das allgemein anerkannte und durch eine Fülle von Ouellenzeugnissen vor jeder ernstlichen Bestreitung sichergestellte Endergebnis der gesamten neueren Forschung über Konstantin . Wenn also der klerikale Retter Konstantins seinen Helden absolut mit dem Beinamen des Großen zieren will, so muß man dies groteske Unterfangen von der komischen Seite nehmen und dem an» entwegteü Verehrer des biederen Casaren zugeben, daß sein Heros groß war— nämlich im Morden; nicht in manchem Verbrecher« album wird sich ein Massenmörder finden, der, nicht zu reden von unzähligen gewöhnlichen Sterblichen, im Laufe der Zeit Schwiegcr- vater, Schwager, Neffen, Sohn um die Ecke gebracht hat, wie das der Fall des klerikalen Musterchristen Konstantin ist. Nach alledem wäre es thöricht, wenn man den Geschichts» sachverständigen der„Germania" in historischen Dingen ernst nehmen wollte: er ipricht davon, wie der Blinde von den Farben. Eins aber ist immerhin an dem spaßigen Ausbruch blinder Wut be- merkenswert: nämlich, was hauptsächlich den klerikalen Zorn erregt hat. Der teuflische„Pferdefuß", um im Jargon des Centrums- kämpen zu reden, kommt an der Stelle der Notiz in der„Neuen Welt" zum Vorschein, wo davon die Rede ist, daß die Kirche sich seit Konstantins Zeiten überall als instrumsntrrm regni, als Herrschaftswerkzeug, bethätigt habe. Der gute Mann übersieht ganz, daß wir diesen Pferdefuß mit keinem geringeren, als dem verstorbenen Papst Leo gemein haben, der nicht müde wurde, die Kirche als unfehlbare Panacee gegen den Umsturz in empfehlende Erinnerung zu bringen. Und wahr ist, daß die katholische Kirche allemal für die Herrschenden gegen Freiheitsbewegungen Partei genommen hat: mit Ausnahme jenes mittel- alterlichen Zwischenspiels, als die Päpste selbst in Umsturz machten, als sie siir die Zwecke ihrer selbstsüchtigen Weltherrschafts- bestrebungen des öfteren das Volk gegen die Fürsten ausspielten. Einen schlagenden Beweis, wie sich die katholische Kirche seitdeni als Herrschaftswerkzeug bethätigt hat, stellt gleich die erste bürgerliche Freiheitsbewegung der Sieuzeit dar: der Aufstand der Niederländer gegen die spanische Herrschaft. Die landläufige liberale Geschichtsschreibung sieht die Ursache dieser großen Erhebung in der heiligen Inquisition. Das erscheint dem amerikanischen Geschichtsschreiber Motley, der im übrigen große Verdienste um die Erforschung der älteren niederländischen Geschichte hat, so selbstverständlich, daß er es«fast kindisch" sindet,„weiter oder tiefer zu schauen". Wer sich aber trotzdem die Mühe nimmt, weiter und tiefer zu schauen und zwar mit Hilfe der eindringenden Untersnchungsmethode, die durch die materialistische Geschichts- auffassnng an die Hand gegeben wird, der gelangt zu der Gewißheit, daß die hergebrachte Vorstellung von der Ur- fache der niederländischen Revolution ganz an der Oberfläche haftet. Wenn nian den Dingen auf den Grund geht, so erscheint nicht die heilige Inquisition als ursprünglicher Antrieb, sondern der spanische Absolutismus, nicht religiöser Fanatismus, sondern Hunds- gemeine Geldgier. Die Rolle der katholischen Kirche wird dadurch freilich ganz und gar nicht ehrwürdiger. Denn die Sache steht dann nicht mehr so, daß sich der spanische Absolutismus in den Dienst der römischen Ketzerrichterei gestellt hat; vielmehr ist die katholische Kirche unter dem Deckmantel der Religion als Hand- langcrin der skrupellosesten Raubpolitik in den Niederlanden thätig gewesen. Man weiß, wie die Inquisition in den Niederlanden civilisatorisch thätig gewesen ist. Tausende und Abertausende von Ketzern hat sie schon zu Karls V. Zeiten, besonders aber seit der Thronbesteigung Philipps ll._ vom Leben gun Tode gebracht. Unter Leitung solcher gräßlichen Mord- iuben, wie des letzerbrennenden Spaßvogels Titelmans, war
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20 (2.10.1903) 193
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