«s schon lange gelungen, in den Niederlanden die Hölle auf Erden zur Erscheinung zu bringen. Die Höhe aber ward doch erst im Jahre 15S8 erreicht. Da erließ nämlich am 16. Februar das heilige Officium ein Urteil, das sämtliche Einwohner der Nieder- lande, ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht, mit Ausnahme weniger ausdrücklich namhaft gemachter Personen, als Ketzer oder Begünstiger der Ketzerei zum Tode verurteilte. Eine Proklamation König Philipps vom 26. Februar desselben Jahres bestätigte dieS Jnquisitionsdekret und befahl seine augenblickliche und rücksichtslose Ausführung. Was war mit dieser in der ganzen Weltgeschichte einzig dastehenden Verurteilung eines ganzen Volkes bezweckt? Es ist klar, daß an eine buchstäbliche Wahrmachung des schauerlichen Verdiktes nicht gedacht war; denn Philipp II. und seine Staatsmänner waren keine Blutsäufer, sondern zielbewußte Politiker und in ihrer Art ganz verschmitzt. Der Hinter- gcdanke, den man dabei hatte, als dermaßen das Damoklesschwert über jedes niederländische Haupt gehängt wurde, ist schon von den gleichzeitigen niederländischen Schriftstellern richtig erkannt worden. Sämtlicher Besitz der wegen Ketzerei Hingerichteten fiel an den Staat. Wenn nun das ganze niederländische Volk auf eine große Proskripftonsliste gesetzt wurde, so konnte jederzeit jeder, bei dem etwas zu holen war, von Jnquisitionswegen schleunigst hingerichtet, sein ganzer Besitz konfisciert werden. Auf diese Weise war dann, wenn die Prozedur systematisch betrieben wurde, eine ständige und reichliche Einnahmequelle zu erschließen. „Den König erfüllte die Hoffnung, durch die Giiterkonfiskationcn ein zweites Indien aufgetrieben zu haben," schreibt schon ein gleich- zeitiger Historiker. Philipp konnte ein solches zweites Indien gut brauchen; denn der Goldzufluß aus Westindien und Amerika hatte erheblich nachgelassen, seit die allmählich gesammelten Schätze von Mexiko und Peru ausgeraubt waren und das Gold nun mühsam gegraben werden mußte. Da inmitten des Goldfiebers nichts ge- schehen war, um Spanien ökonomisch zu entwickeln, so sah sich Philipp in den sechziger Jahren des Jahrhunderts bereits einem jährlichen Deficit von S 000 000 Dukaten gegenüber. Die spanische Staatskunst suchte verzweifelt nach Mtteln, dies Loch zu stopfen. In den industriell so hoch entwickelten spanischen Niederlanden hoffte man die neue Goldgrube entdeckt zu haben. Und darum erschien Herzog Alba im Herbst 1567 als neuer Statthalter in Brüssel : er hatte seinem königlichen Herrn das Versprechen gegeben, einen Gold- ström von Ellentiefe aus den Niederlanden nach Spanien zu leiten und zwar vermittelst der Konfiskationen. Die Holländer haben also den im Frühling 1563 unter Albas Leitung ins Leben getretenen „Rat der Unruhen" mit zweifachem Recht Blutrat getauft: dies Standgericht vergoß Ströme von Blut, und es ließ die Niederlande finanziell bluten. Die Ausrottung der Ketzer war bloß Mittel zu dem edlen Zwecke, Geld in möglichst großen Mengen zusammenzu- raffen. Mba macht daraus in seiner Korrespondenz mit Philipp nicht das mindeste Hehl. Er will z. B. deshalb keine Juristen in dem Bluttat haben,„weil' die Männer des Gesetzes nur für er- wiescne Verbrechen verurteilen, während Ew. Majestät weiß, daß Staatsangelegenheiten von Regeln geleitet werden, die von den be- stehenden Gesetzen sehr verschieden sind". Seinen Zweck erfüllte der Bluttat gründlich: Freisprechungen kamen überhaupt nicht vor. Um einen Begriff davon zu geben, was er alles für todeswürdig hielt, genügt die Anführung eines Falles: Peter de Mit aus Amsterdam wird enthauptet, weil er bei Gelegenheit von Unruhen in dieser Stadt einen Anführer abgehalten hat, auf einen Beamten zuschießen; daraus wird geschlossen, daß er bei den Rebellen Autorität besessen hat und also ein Führer gewesen ist. Im übrigen hatte man ja für schwierige Fälle jenes Kollekttvurteil der hl. Inquisition. So kamen ja nun hübsche Summen ein. Aber Alba selbst konnte seinem Herrn nicht versprechen auf diese Weise mehr als 500 000 Dukaten Reingelvinn jährlich herauszuwirtschaften', und das war bloß ein Tropfen auf den heißen Stein. Es ward also beschlossen, einen Schritt Iveiter zu gehen, und dieser Schritt wird vielleicht selbst dem blindesten Klerikalen die Erkenntnis durch die schwarzen Brillengläser schimmern lassen, daß die katholische Kirche thatsächlich in den Niederlanden nichts andres, als das Herrschasts- Werkzeug eines räuberischen Absolutismus gewesen ist. Im März 1569 legt Alba den Generalstaaten einen umfassenden Steuerplan vor, der so zieinlich das Ungeheuerlichste darstellt, was die Geschichte der Finanzpolittk aufzuweisen hat. Er verlangte eine einmalige Vermögenssteuer von 1 Proz., eine dauernde Steuer von 5 Proz. bei jedem Verkauf von Grundbesitz, von 10 Proz. bei jedem Besitzwechsel von beweg- lichen Gütern, von Waren aller Art. Zumal diese letzte Steuer war nun für ein Land, in dem die Warenerzeugung längst Grundlage des Wirtschaftslebens geworden war, geradezu horrend. Es ist offenbar, daß sie den völligen Ruin der Niederlande bedeuten mußte, weil sie den Güteraustausch absolut unterband. Aber nun war auch die Geduld der Niederländer zu Ende. Sie leisteten ver- zweifelten Widerstand und bedienten sich dazu vorerst der gesetz- lichen Mittel. Die Steuerbewilligung war ein Recht der General- staaten und der Stände in den Einzelstaaten. Damit war freilich nicht viel zu machen, da es sich von vornherein um einen Versuch der Krone gehandelt hatte, die ständischen Freiheiten durch den Abso- lutisnnls zu ersetzen. So lange dieser Streit in religiösen Fornien geführt worden war, hatten die Staaten sich immer weiter zurückdrängen lassen. Als aber nun der Endzweck des Ganzen offenkundig wurde, der spanische Beutezug das Land an den Rand des Unter- gangs drängte, da stellten sich die niederländischen Staaten zum un- ausweichlichen Entscheidungskampf,«ach zwei Jahren der Verhandlungen und Kompromisse ging Alba 1571 daran, sein Steuerprojekt mit Gewall durchzuführen, ohne die Einwilligung der Probinzialstände und Gencralstaaten, deren Frei- heiten infolge hartnäckiger Ketzerei erloschen sein sollten. Die Ant- wort des Landes bestand in eurer Steuerverweigerung, die auf einen Generalstteik größten Sttls herauskam. Jegliche Arbeit hörte in den Städten auf, sämtliche Geschäfte wurden von ihren Inhabern ge- schloffen, um die Zahlung des zehnten Pfennigs bei jedem Verkauf zu vernreiden: vor allem waren die Bäckereien und Schlächtereien geschlossen. Die Folge war. daß der größte Lebcnsmittelmangel ein- trat und Arbeitslose in großen Mengen die Sttaßen füllten. Nun war Holland in Nöten. Alba gedachte durch eine neue Schreckens« maßregel die Oeffnung der Läden zu erzwingen. Auf den 1. April 1572 wollte er eine Anzahl widerspänstiger Geschäfts- inhaber vor ihren Thören aufhängen lassen. Aber es kam nicht dazu; denn inzwischen brach in den nördlichen Provinzen der allgemeine Aufstand auS, und es begann der langwierige Revolutions- krieg, der damit endigte, daß die Krone Spanien etliche Millionen Unterthanen, der päpstliche Stuhl eine entsprechende Zahl von Gläubigen einbüßte. Will man noch einen Beweis für die Richtigkeit der ursächlichen Verknllpftmg, daß die römische Kirche in den Niederlanden iveiter nichts als der Handlanger, das Herrschaftswerkzeug eines räuberischen Absoluttsmus gewesen ,st. so sei nur eine Thaftache unter vielen angeführt. Gegen die Albaschcn Steuerprojekte erhob auch ein Teil der katholischen Geistlichkeit in den Niederlanden Protest unter Be- rufung auf die päpstliche Bulle „In coena. Domini", die das Besteuern der Geistlichkeit durch den Staat verbietet. Damit kamen die Pfaffen übel an: Alba steckte die Haupt- Rädelsführer dieser Protestbewegung hinter Schloß und Riegel. Um den Protest kümmerte er sich keinen Deut. Beim Papst aber war er doch lieb Kind. In eben diesen entscheidungsschweren Augen- blicken bekam der spanische Räuberhauptmann von Sr. Heiligkeit als Anerkennung ein salbungsvolles Lobesschreiben, einen geweihten Hut und einen dito Degen zugesandt. Auf letzterem stand geschrieben: „Empfange das heilige Schwert, ein Geschenk von Gott, womit Du die Feinde meines Voltes Israel niederwerfen wirst." Der Papst hat schlecht prophezeit. Und es ist ja seitdem so ge- blieben, daß die katholische Kirche hat teuer zahlen müssen für die Dienste, die sie den herrschenden Gewalten bis auf den heutigen Tag geleistet hat und noch leistet.— Dr. A. Conrady. kleines feuilleton. ie. Artistengagen. Der Beruf deö Artisten erfordert zwar in der Regel eine harte Arbeit, aber er gehört auch zu denen, in denen die glänzendsten Einkommen erzielt werden. Die Lage der Brettl- künstler wird durch die Mitteilungen eines englischen Sachverständigen sehr interessant beleuchtet. Welche Bedeutung der Beruf hat, geht aus der Thatsache hervor, daß die Singfpielhallen Englmids jährlich 20 Millionen in Gehältern an die Artisten bezahlen. Natürlich müssen aus diesem Bruttoeinkommen viele berufsmäßige Ausgaben bestritten werden. Die Agenten, ohne die kein Engagement ge- schloffen wird, erhalten ein Zehntel der Gehälter; Reiscunkosten, Lieder, Kostüme, Wagen, die„Requisiten" des Taschenspielers. Akrobaten und Zauberers, der Ankauf und die Erhaltung dressierter Tiere usw., das alles wird sicherlich 25 bis 30 Proz. des Ein- kommens ausmachen. In Wirklichkeit also wird der Artist von je 100 M. Verdienst etwa 60 M. Nettoeinnahme haben, welches Ver- hältnis natürlich je nach der Specialität des Einzelnen wechselt. Dazu konunt noch der Zwang, von Stadt zu Stadt zu ziehen, was den Verdienst auch mindert. Wenn man dabei aber in Bettacht zieht. daß die Varietebühne sich hauptsächlich aus der unteren Mittelklasse rekrutiert, so hat sie finanziell gewiß viel Verlockendes. Die Gehälter ändern sich je nach der Singspielhalle und dem Darsteller. Im Londoner „Empire", wo die Artisten immer„ausschließlich engagiert"' sind, erhält ein Artist selten unter 600 M. wöchentlich, und die Ge- samtsumme für eine Truppe beträgt 2000 M. und noch mehr. Be- rühmte„Sterne" des Kontinents haben schon 600 bis 800 M. für den Abend erhalten. In Varietes, in denen der Künstler nur er- scheint und dann forteilt, um an andrer Stelle noch einmal aufzutreten, bettagen die Gehälter 60 bis 800 M. wöchentlich. Ein Blick auf die Inserate der„Era" oder„Music-Hall" zeigt, daß die berühmteren Künstler an einem Abend auf drei, vier oder sogar fünf Bühnen auftreten; drei Bühnen bedeutet natürlich drei Gehälter. Akrobatcntruppen werden gewöhnlich von einem Mann geleitet, der sehr oft der Dresseur ist und nicht selbst mitwirtt; er bezahlt die Künstler wöchentlich und steckt den Ueberfchuß ein. So ist die Leitung einer solchen Truppe natürlich sehr vorteilhaft. ES wurden z. B. drei junge Mädchen, die auf dem Programm als „Schwestern" bezeichnet waren, obgleich eine aus Irland , eine aus London und die dritte aus Teutschland war, von dem Theater mit 1300 M. wöchentlich bezahlt, wovon dem Leiter über 1000 M. ver- blieben. Bon diesem anscheinend hohen Verdienst gehen allerdings die Ausgaben für den Unterhalt, die Apparate und Reisekosten ab. In den letzten Jahren sind Truppen von Tänzerinnen unter Namen wie'
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20 (2.10.1903) 193
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