Lande, machten ihr emsig ihre Aufwartung und hattm sich je zu einer Seite von ihr niedergelassen. „Ja, thu' das, Günther!" stimmte Karin bei.„Hier isi es so still und friedlich jetzt, gerade die Passende Stimmung." „Ihr habt, glaube ich, alles gehört, was ich kann!" sagte Günther, indem er sich zögernd erhob.„Nein, doch nicht, mir fällt ein, daß ich neulich ein Gedicht von Tor Hedberg las, das großen Eindruck auf mich machte. Soll ich das aussagen, denn deklamieren kann ich wirklich nicht. Dora hat immer gleich so hochtrabende Ausdrücke für alles." Er nickte der Schtvester zu und begann: „An das Leben. Als ich an Deiner Pforte stand Und mit lüsternem Sinn den Eingang fand, Versprachst Du mir alle Gaben hold, Grüne Wälder und gleißendes Gold. Wo sind die grünen Wälder, Deine schönen, grünen Wälder? Was hast Du gehalten im Laufe der Zeit? Das Gold, das Du unter uns Arme gestreut. Es war besudelt mit unserm Blut, Nahm uns Frieden, Freude und Mut. Zeig uns Deine grünen Wälder, Die schönen, grünen Wälderl Ach, Mutter, nimm zurück Dein Gold. Zeig mir noch einmal Dein Antlitz hold! Alles gebe ich Dir zurück. Behalte Dein Gold, cS bringt nicht Glück. Gieb mir die grünen Wälder dafür, Die großen, grünen Wälderl" Die jungen Leute saßen einen Augenblick ganz stumm, nachdem Günther geendet hatte. Sogar die am wenigsten ideal Angelegten unter ihnen verspürten einen Hauch von den unendlichen Wäldern der Träume und Wünsche, in denen die Phantasie so oft irre geht und von denen es so schwer ist, auf den staubigen Fahrweg der Wirklichkeit zurückzukehren. Laura, die älteste, welche schon seit langer Zeit auf öder Heide gewandelt und überhaupt nur wenig von den grünm Wäldern in ihrem Leben verspürt hatte, starrte in tiefe Ge- danken versunken auf die Spaziergänger, die dort in einiger Entfernung auf der Chaussee den Heimweg angetreten hatten. Die meisten hatten einen Waldblumenstrauß oder wenigstens etwas Grün mitgenommen, das in einer Vase auf den Tisch oder die Kommode gestellt werden und daran erinnern sollte, daß ein Ruhetag gewesen war, und daß ein solcher wieder- komnien würde, Jahr für Jahr ungefähr in derselben Weise. (Fortsetzung folgt, jj (Nachdruck verboten.) KerecKtigte forderuncfcn. Von Leon X a n r o f. Autorisierte Uebersetzung. In sorgfältig einstudierter, gesucht vornehmer Haltung betritt Madame Reliure den Salon von Madame Saintre: Ihr Gang er- höht, wenn möglich, noch den Eindruck von Vornehmheit(die Vor- nehmheit einer Gans, welche Neujahrsvisiten macht). Ihr rundes, volles Gesicht trägt einen teils gutmütig beschränkten, teils über- trieben würdevollen Ausdruck. Die dicken, von gesundem Appetit zeugenden Lippen sind fest zusammengepreßt, wahrscheinlich um eine «aristokratische Wölbung" hervorzubringen. Das schwarzwollene Kleid mit den verschiedensten, nicht zu einander passenden Besätzen, der Hut für 3,75 Frank, den eine stolze, aber schon abgetragene und augenscheinlich gar nicht zu diesem Hut gehörende Straußenfeder schmückte alles verrät, wie besorgt die brave Frau ist, einen möglichst vorteilhaften Eindruck hervorzurufen. Madame Saintre(unterdrückt ein leichtes Lächeln und bietet ihrem Gast einen der eleganten, aber dennoch bequemen Sessel des Salons ans:„Guten Tag, meine liebe Madame Reliure ! Wie früh Sie gekommen sind!" Madame Reliure(sehr geheimnisvoll):„Absichtlich, meine Liebe, absichtlich! Ich möchte Sie nämlich um etwas bitten; und da es mir peinlich wäre, wenn jemand davon erfährt, so bin ich schon vor Ihrer Besuchsstunde gekommen." Madame Saintre:„Und womit kann ich Ihnen dienen? Befindet sich vielleicht Ihr Gatte irgendwo in Verlegenheit?" Madame Reliure(entrüstet):„Mein Gatte? Was denken Sie? NeinI Gott sei Dank, Galactoire verdient sehr seines Geld, fast mehr als wir brauchen. Er verdiech rund seine »2 000 Frank." Madame Saintre(unwillkürlich lächelnd)":„12 000 Frank monatlich?" Madame Reliure(nach einem Augenblick der Ueber- legung):„Nein, nein, jährlich! Das ist auch schon recht anständig für einen Versicherungsagenten gegen Börsenverluste, nicht wahr?" Madame SaintrS:„Gewiß,,. aber Sie wollten mir doch..." M a d a m e R e l i u r e':„Ja, also.-. trotzdem er sehr schönes Geld verdient, meinen wir doch, daß man auch etwas beiseite legen muß..(kokett), solange man jung ist..." Madame Saintre(unschuldig):„Dann müssen Sie aber schon einen netten Haufen beiseite gelegt haben!" Madame Reliure (ohne den Spott zu verstehen):„Wir fangen erst an. Um nun meinen Galactoire zu unterstützen, möchte ich mir gerne eine kleine Nebenbeschäftigung suchen. Und da dachte ich, Sie könnten mir vielleicht..." Madame Saintre:„Und... was für eine Beschäftigung haben Sie im Sinn?" MadameReliure(selbstgefällig):„Sie begreifen, daß ich bei meiner Erziehung, meiner Bildung und vor allen Dingen bei der socialen Stellung meines Gatten nicht das erste Beste annehmen kann. Es müßte etwas sein, was nach jeder Richtung hin passend wäre... in erster Reihe natürlich bezüglich des Gcldpunktes— und dann auch bezüglich der Behandlung und der Moral...(mit wilder Energie) Ol die Moral vor allem!... Sie verstehen, ich bin eine anständige Frau! Man hat mir bisher auch nicht soviel nachsagen können und man soll mir auch fernerhin nicht so viel nachsagen dürfen!"(Bei jedem„so viel" schnippt sie mit dem Daumennagel gegen die oberen Schneidezähne, eine Bewegung, welche für sie äugen- scheinlich die schwerste Beleidigung für die Tugend einer Frau aus- macht.) Madame Saintre:„Sehr schön! Aber Sie haben mir noch immer nicht gesagt, welche Art von Beschäftigung..." Madame Reliure(mit einer Umständlichkeit, als wollte sie der Dame des Hauses ein süßes Geheimnis anvertrauen):„Mein Gott ... also... Sic kennen so viele Leute... und da dachte ich... Sie könnten vielleicht... unter Ihren Bekannten... da Sie doch wissen, daß man Vertrauen zu mir haben kann, unbedingtes Vertrauen... und daß Sie es niemals werden zu bereuen brarichen, mich empfohlen zu haben...(entschlossen) kurz, ich möchte gerne eine Stelle als Gesellschafterin annehmen." Madame Saintre(ohne die von ihrem Gast äugen- schcinlich erwartete Bewunderung eines solchen Ehrgeizes zu äußern): „Also Gesellschafterin? Sehr schön." Madame Reliure:„Natürlich will ich nicht als Dienst- böte behandelt werden. Unter keinen Umständen! Sie erinnern sich, ich habe vorher die anständige Behandlung erwähnt? Darauf muß ich bestehen: Behandlung als Dame. Und dann die Moral! Wenn jemand ein unmoralisches Ansinnen an mich stellen sollte..." Madame Saintre(beruhigend):„Da seien Sie un- besorgt." Madame Reliure (mit der Miene einer Frau, welche die Männer und deren Verdcrbthcit von Grund aus kennt):„Ol ich weiß, wie es in der Welt zugeht. Deshalb möchte ich mich am liebsten nur mit Kindern beschäftigen." Madame Saintre(erstaunt):„Also Erzieherin?" Madame Reliure(verletzt):„Nein, nein l Erzieherin — das ist ja ein Dienstbote. Ich will wohl Gesellschafterin, aber nicht Dicnstbote sein." Madame Saintre(lächelnd):„Gesellschafterin für kleine Kinder?(Nach einigem Nachdenken:) Leider weiß ich unter meinen Bekannten niemand, der kleine Kinder hat." Madame Reliure (eine Stufe von der Leiter ihrer Be- dingungen heruntersteigend):„Ol sie können auch groß sein, die Kinder— das ist mir egal. Im Gegenteil: ein heranwachsendes junges Mädchen wird keine bessere Beraterin finden als mich! Ich werde wie eine ältere Schwester mit ihr verkehren, ich werde ihr die besten Ratschläge geben, ich werde sie warnen vor den gleißenden Versprechungen der jungen Männer.(Sich allmählich ereifernd:)! Wenn jemand ihr eine Liebeserklärung machen wird, werde ich ihr sagen..." Madame Saintre(gelangweilt von diesem etwas weit- ausschauenden pädagogischen Programm):„Sehr schön, aber ich kenne kein junges Madchen..." Madame Reliure(enttäuscht)k„Schade! Und einen größeren Knallen?(Kokett:) Wenn man mich alt genug für eine solche Stellung findet— meinetwegen.(Mit Würde:) Ich werde mich schon in Respekt zu setzen wissen!" Madame Saintre:„Ich zweifle keinen Augenblick darmi!" Madame Reliure(welcher diese neue Aussicht nicht zu mißfallen scheint):„Ein heranwachsender junger Mann braucht Rat und Stütze vielleicht noch nötiger als ein junges Mädchen. Ich würde ihn über das Leben, die Welt aufklären! Ich würde ihm zeigen, wie trügerisch und gefahrvoll für Leib und Seele diese so wenig edlen Vergnügungen sind, welchen man außerhalb des väterlichen HauseS nachgeht. Ich würde ihm zeigen..." Madame Saintre(sich auf die Lippen beißend):„DaS wird gewiß sehr interessant sein, meine liebe Madame Reliure ; unglücklicherweise kenne ich keine Familie, in der es einen solchen jungen Mann..." M a d a m e R e l i u r e(ganz verwirrt):„Das ist aber schadet Nun, und eine alleinstehende, erwachsene Person?(Lebhast) Eine Dame selbstverständlich! Eine durchaus anständige Dame..." Madame Saintre.(boshaft):„Muß es durchaus eine
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20 (4.10.1903) 194
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