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Endlich kam der Nachmittag und mit ihm der Baronin Siesta. Dora griff in großer Hast nach dem Matrosenhut und der kleinen braunen Jacke und schlug dann den Weg nach der Lawn Tennis- Plate ein. Es geschah ein wenig zaudernd, und fie blieb in einiger Entfernung davon stehen, doch immerhin nahe genug, um von jemand, der sie gern sehen wollte, leicht entdeckt werden zu können. Sie erkannte sofort Kandidat Becker, Fräulein Alstrand und viele andre der gestrigen Bekannten. Sie lachten und schwazten und schienen sehr vergnügt zu sein. Wenn nun der Kandidat zu ihr träte und fragte, ob sie nicht Luft hätte, mitzuspielen.„ Nein, danke," würde sie antworten, ich kann nicht spielen, aber wenn ich zusehen dürfte." Dann würde er ganz wie die Helden der Mrs. Alerander oder Mrs. Hungerford ritterlich sagen:" Dann sehe ich auch zu, wenn Sie erlauben." Und er und sie würden auf der Bank da oben sißen, und die andren würden ihn schmeichelnd bitten, und. Nein, wie sie lachten! Jetzt blickte er gewiß nach ihrem Stein herüber! Sie wurde bei diesem Gedanken glühend rot über das ganze Gesicht, denn mit ihrem lebhaften Sinn hatte sie schon für den Kandidaten zu schwärmen begonnen.
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Sie täuschte sich jedoch, er hatte sie nicht bemerkt. Sie faß da geduldig eine halbe Stunde, länger wagte sie nicht wegzubleiben, doch einen letzten Versuch machend, ging sie auf dem Rückwege unmittelbar an dem Tennisplaße vorbei. Sie ging sehr schnell, als ob sie es schrecklich eilig hätte, und als die Spielenden sie grüßten, machte sie eine so furze und edige Verbeugung, als hätte es sie außerordentlich gestört, diesen Gruß erwidern zu müssen.
Aber wie flopfte ihr kleines warmblütiges Herz, wie jagte der brausende Frühlingsstrom der Gefühle über sie hin, und wie peinigten sie alle die Mängel, welche sie plötzlich in ihrem Aeußern zu finden glaubte. Blitzschnell wandte sie noch ein einziges Mal den Kopf, es konnte ja sein, daß er sie ein zuholen versuchte, und dann ja, dann würde sie gleich wieder froh werden. Ihr war, als hätte sie ihm so viel zu erzählen. Er war der Saltpunkt, an den sich ihr junges, nach Sympathie lechzendes Gemüt flammerte.
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Am nächsten Morgen schlug der Herbstregen gegen die Scheiben, so ein ununterbrochener, durchdringender Herbstregen, der zwei oder drei Tage beansprucht, ehe er Neigung zeigt, aufzuhalten. Er strömt mit falten, dichten Tropfen über alles hin und bereitet den Weg für den Sturm mit seiner verheerenden Macht, denn die Bäume, welche eben noch in ihrem grünen Sommerschmuck standen, nehmen jetzt durch den Regen den ersten gelben Farbenton an, und wenn dann der Sturm die Aeste schüttelt, fällt das welke Zaub krank und todesmatt zur Erde.
Die Baronin Uffföjd beschloß jetzt, in ihre warme, bequeme Wohnung in der Hauptstadt zurückzukehren. Ihre Tochter, die nun ein ganzes Jahr in Italien geweser war, sollte auch Mitte September heimkommen, und bis dahin wollte die Baronin alles in Ordnung haben.
Man fing an einzupacken; es ging drüber und drunter in der friedlichen Villa, die Baronin saß in Pelzkragen und Shawls eingehüllt in ihrem Lehnstuhl und erteilte von dort aus ihre Befehle. Dora lief, die Hände voll aller möglichen Kleinigkeiten geschäftig hin und her, packte ein und mußte es wieder herausnehmen, denn die Baronin konnte sich nie entschließen, in welchen Koffer sie dies oder jenes haben wollte. ( Fortsetzung folgt.),
( Nachdruck verboten.)
Erinnerungsfälschungen.
In einem Hause wurde ein größerer Einbruchsdiebstahl verübt. Alles ist in Aufregung und die Polizei forscht nach den Verbrechern, die Spur fehlt aber völlig. Da erzählt am zweiten Tage die zwölf jährige Tochter der Bestohlenen, daß sie die Diebe gesehen und unter ihnen den Sohn eines Nachbarn erkannt hätte. Zu einer boshaften Berleumdung ist offenbar kein Grund vorhanden und so werden gegen den Verdächtigten ernste gerichtliche Schritte eingeleitet. Weitere Bernehmungen erweisen aber seine Unschuld und bei genauerem Ausfragen ergiebt sich die Wahrscheinlichkeit, daß das Mädchen den von ihm geschilderten Vorgang geträumt, den Traum aber vergessen und das Geträumte für wirklich Erlebtes gehalten habe.
Dieser Fall steht nicht vereinzelt da. In Prozeßverhandlungen ist man allerdings gegen solche Erklärungen von Zeugenaussagen sehr steptisch. Es kommen verschiedene Interessen in Betracht und es muß immer auch die Möglichkeit einer absichtlichen Täuschung des Richters angenommen werden. Furcht vor der Strafe, Parteinahme,
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Bosheit und Rache sind ja die Hauptmotive, welche Zeugen zu falschen Aussagen vor Gericht verleiten. Immer aber muß beachtet werden, daß ein falsches Zeugnis auch wider Wissen und Willen des Zeugen abgelegt werden kann, wenn er das Opfer irgend einer Täuschung geworden iſt.
Togie der Zeugenaussagen; durch zahlreiche Versuche und Beob Gerade in der Neuzeit beschäftigt man sich viel mit der Psychoachtungen ist festgestellt worden, wie leicht sich die Menschen in der Wiedergabe eines erlebten Vorganges täuschen. Ungenaue Beob achtung, Sinnestäuschungen, Suggestion bilden die häufigsten Quellen ungenauer oder falscher Zeugnisse. Das Gedächtnis fann uns aber auch derart täuschen, daß wir fest überzeugt sind, etwas gesehen und gehört zu haben, obwohl dies gar nicht der Fall ist. größeren Maße wohl alle Menschen ausgesetzt. Wir lesen ein neues Solchen Erinnerungsfälschungen sind im geringeren oder werk, das uns fesselt, und wenn wir zu Ende sind und an das Gelesene zurückdenken, glauben wir plötzlich, daß wir dasselbe schon vor langer, langer Zeit gelesen haben. Der Schriftsteller schreibt eine neue Arbeit und plötzlich taucht ihm die Erinnerung auf, daß er dasselbe schon früher einmal geschrieben habe; der Maler malt eifrig an einem Bilde und in der Ruhepause erinnert er sich, dasselbe Bild in demselben Atelier vor langer Zeit gemalt zu haben. Solche Erinnerungen sind nicht angenehm, sie erzeugen oft ein peinliches Geist seit lange bekannt. Lichtenberg, der geschätzte Physiker und fühl und sind mit Unruhe und Beklemmung verbunden. Die Sache Satyrifer, war derartigen Eindrücken so oft ausgesetzt, daß er wiederholt behauptete, er müsse schon einmal auf der Welt gewesen sein, da ihm vieles, was er gewiß noch nicht erlebt habe, so bekannt vor fomme. Später wollten einige Forscher die Sache so erklären, daß derartige Erinnerungsfälschungen zum Teil vererbte Erinnerungen wären; wir glauben, etwas erlebt zu haben, während in Wirklichkeit unsre Vorfahren es erlebt haben.
greifen, um die meisten dieser seltsamen Erinnerungen zu erklären. Man braucht aber nicht zu so ungewöhnlichen Mitteln zu In der Regel wird es damit folgende Bewandtnis haben. Das Erinnerungsbild, das in uns auftaucht, ist ungenau; wir haben nicht dasselbe gelesen, geschrieben oder gemalt, sondern etwas ähnliches; im Augenblick können wir uns aber auf die Einzelheiten nicht genau befinnen; wir haben nur das Gefühl, das wir schon einmal haften, wieder aufgefrischt und ergänzen es durch die gegenwärtigen Eindrücke.
Die Erinnerungsfälschung ist somit die Folge einer unvolls auch im Einklang, daß sie vorwiegend bei Ermüdeten eintritt. ständigen oder mangelhaften Gedächtnisthätigkeit. Damit steht es ES ist allgemein befannt, wie sehr das Gedächtnis bei Bergsteigungen leiden fann. Mosso kannte einen Professor der Botanik, der während des Aufstieges allmählich die Namen der Pflanzen vergaß und sich derfelben erst wieder erinnerte, als er abstieg. Sauffure sagt. daß er, als er von Gol de Géant abstieg, nicht mehr die Worte finden konnte, um einen Gedanken auszudrüden. Auch der Gesichtssinn leidet unter der Ermüdung. Die Gesichtsschärfe und die Lichtempfindlichkeit sind Gegenstände nicht mehr gut unterscheiden und die Entfernungen vermindert; das Auge kann schließlich die Formen der einzelnen derselben nicht genau abschätzen. Im ermüdeter Zustande beobachtet man nicht scharf und erinnert sich schlecht. Man hält sich nur an Hauptzüge des Wahrgenommenen und gelangt leicht zu dem Schlusse, es schon einmal erlebt zu haben. Der Kriminalpsycholog Hans Groß schreibt:" Ich hatte solche Erinnerungsfälschungen am häufigsten während des bosnischen Occupationsfeldzuges 1878, als wir die argen Parforcemärsche von Effeg bie Sarajewo machten. Die Fälschungen traten aber regelmäßig nur nachmittags auf, als wir schon ermüdet waren. der ich natürlich mein Leben lang eher nicht war, vollkommen be= Dann schien mir die ganze Gegend, in fannt, und als ich gleich zu Anfang einmal den Befehl bekam, einen von Türken besetzter Han zu stürmen, so dachte ich nur lediglich, da werde nicht viel los fein, das habe ich ja schon oftmale gemacht. Und es ist nie dabei etwas passiert. Damals waren wir allerdings auf das äußerste erschöpft. Selbst als wir dann in den Han eingedrungen waren, imponierte mir die seltsame Umgebung gar nicht, und ich meinte, so sähe das Innere eines Hans immer aus obwohl ich eher noch nie ein solches türkisches Straßenhotel in natura oder in Abbildung gesehen hatte."
Die Ermüdung kann aber noch andre Erscheinungen hervorrufen. Die Ermüdungsstoffe, die nach geistiger oder physischer Arbeit im Blute kreisen, haben giftige und zum Teil narkotische Eigenschaften. Es ist bekannt, daß stark Ermüdete in ein Fieber verfallen fönnen, in dem sie wie in einem Delirium phantasieren. Auf die Klinik von Profeffor Chomel in Paris wurde einmal ein entfräfteter im Fieberzustande befindlicher Jüngling gebracht. Der Professor untersuchte ihn sorgfältig und stellte die Diagnose: Thphus oder Anfang der Bocken; aber in zwei Tagen war der junge Mann wohl und munter. Er hatte nur die Strecke von Compiègne nach Paris zu Fuß in zwei Tagen zurückgelegt. Mosso bemerkte, daß Führer und Bergsteiger, die in der Hütte Königin Margerita auf dem Monte Rosa in sehr ermüdetem Zustande ankommen, sich so benehmen, daß man glauben fonnte, sie seien berauscht; andre wieder schienen, nachdem sie ausgeruht waren, wie aus einem Traume zu erwachen. Einige Rads fahrer, die eine mehrere Tage dauernde Wettfahrt gemacht hatten, benahmen sich einen Tag so erregt, daß sie für verrückt gehalten wurden. Die Ermüdung erzeugt also einen nervösen Rausch und das gilt auch von intellektueller Ueberarbeitung. Liébault berichtet von