unbewußter Begleitung zu dem sanften Strom ihrer Gedanken hin und her bewegend. Als kurz vor dem Souper Günther allein an ihr vor- Überschritt, fragte sie hastig: „Wollen Sie mich zu Tische führen, Herr Lejer?" Er verbeugte sich artig. „Mit dem größten Vergnügen, gnädiges Fräulein." Alna war nicht gewohnt, daß jemand, es sei denn ein Geldfreier, diese Phrase mit mehr Wärme aussprach, diesmal indessen glaubte sie wenigstens sicher zu gehen, daß sie ebenso gern wie jede andre Dame genommen wurde, und das erfüllte sie schon mit angenehmer Befriedigung. «Tora, Dein entr� in die große Welt ist ja ein xranZ «uccds," flüsterte Ebba ihrer Freundin zu, als sie vor dem Essen ihre etwas derangierten Frisuren in Ordnung brachten. „Ja, nie in meinem Leben habe ich mich so amüsiert, denke Dir, zu fünf Ektratänzen bin ich aufgefordert." � Dora strich die langen Handschuhe glatt und zupfte an dem Gürtel, in dem Marie Luisens Rosen jetzt mit schlaffen Stengeln und braunen, zusammengerollten Blättern hingen. „Wen hast Du als Tischherrn?" Ebba war freundlich beschützend gegen dm kleinen Neil- ling, dessen sie sich angenommen hatte, sie selbst war ja all dieser Vergnügungen nächstens satt und wollte sich schon kommenden Herbst mit ihrem nicht gerade schwärmerisch ge- liebtm, aber doch hinreichend gern gesehenm Karl verheiraten. »Baron Stenhjelm," antwortete Dora auf Ebbas Frage. „Ach so, der. Findest Du ihn nett?" „Ja, Du etwa nicht? Er könnte allerdings etwas lustiger sein, aber er spricht so interessant von seinen Reism und allem möglichen." „Verliebe Dich nur nicht in ihn, liebste Dora, er ist arm wie eine Kirchenmaus." „Wie kann er dann Bälle und dergleichen mitmachen?" „Er macht Schulden, mein Engel, das ist sehr eowme >1 kaut." „Pfui, dann ist er ja kein ehrlicher Mensch." Ebba lachte über Doras entschiedene Ansichten und antwortete mit einer Erfahrung, die sie für sehr tief und gründlich hielt: „Nein, weißt Du, Dora, jetzt bist Du zu naiv. Er muß doch seiner Stellung Rechnung tragen, sonst würde es ja einen Skandal bei seinen Verwandten geben, und das ist auch nichts wert." „Er könnte arbeiten." „Ja, er schreibt auch einige Artikel für eine hippologische Zeitschrift, übrigens soll er sehr nervös sein. Komm, laß uns jetzt hineingehen und versprich mir, daß Du Deinen armen Baron nicht zu kurz abfertigm willst." Das that Dora nicht, sie hatte Mitleid mit dem bleichen, dunklen Manne, der wirklich aussah, als hätte er nicht die geringste Lebenskraft: sie hätte ihm gern etwas von ihrer Vollblutnatur abgegeben. Sie wirkte auf Kurt Stenhjelm wie Eau-de-Cologne aus einem Rafraichisseur. Er forderte sie zum Cotillon aus, da er hoffte, dann längere Zeit unauffällig mit ihr plaudern zu können, doch Dora selbst hinderte ihn hieran: ihr Sinn war zu sehr in An- spruch genommen von alleni, was sie hier umgab. „Es ist das erste Mal, daß ich auf einem größeren Ball bin," sagte sie offen und ließ ihn dabei in zwei leuchtende, kindlich glückliche Augen schauen, die nichts von dem zugleich Cynischen und Weltklugen in seinem Blick zu bemerken schienen. Sie war unschuldsvoller als die Mehrzahl der jungen Damen, mit denen er zusammenzutreffen Pflegte, und dies bereftete ihm Vergnügen, wie es einem Botaniker Vergnügen macht, eine unbekannte Blume zu erforschen. Einmal studiert wird sie dann achtlos in den Weggraben geworfen. „Ich wünschte, daß wir uns diesen Winter öfter träfen," sagte er und nahm ihren Fächer, mit dem er ihr sanft wedelnd das erhitzte, ungepuderte und ungeschminkte Gesichtchen kühlte. „Das kann ja leicht möglich sein," versetzte Dora fröhlich und guckte schräge hinter dem Fächer zu den tanzenden Paaren hinüber,„ich glaube, daß ich hier noch öfter eingeladen werde, und am Montag bin ich zum tliö dansant bei Fräulein Stjernvall, kennen Sie sie, Herr Baron?" «Ja, ich habe sogar die Ehre, zu ihrem Fest eingeladen tu fein." lSortsetzung folgt.)] „Rose ßemd" von Gerhart Hauptmann. lTeutsches Theater.)] Seit dem„Fuhrmann Hcnschel" und„Michael Kramer " ist Hauptmann solch ein Wurf wie dieses letzte Drama, über dessen starken Erfolg in der Sonnabendaufführung des Deutschen Theaters wir schon berichteten, nicht mehr gelungen. Es ist als ob der heimatliche Boden Schlesiens, zu dem der Dichter hier zurückkehrt, ihm neue Kraft gegeben. Der Dialog ist von freiester Natürlichkeit. knapp anschaulich und beziehungsvoll, die Charakteristik reich und eigenartig und in dem Ganzen weht der warme Hauch tief mensch- lichen Mitempfindens. Indessen wenn schon„Fuhrmann Henschel " in der losen Fügung der Bilder eher novellistisch als dramatisch an- mutete, so gilt das, freilich in einem andren Sinne, noch mehr von „Rose Bernd ". Nicht, als ob es den einzelnen Scenen an dramatischer Bewegung fehlte. Das Tempo der Handlung ist rascher als im„Fuhrmann" und die Milieuschilderung, die dort breit wuchert, hat Hauptmann in dem neuen Stücke sehr eingeschränkt. Wer das Wesen und das Schicksal Roses ist solcher Art. daß nur die freie, an keinerlei Schranken der Form gebundene Kunst des Erzählers uns die inneren Znsammenhänge völlig überzeugend auf- zudecken vermöchte. Die Wandlungen dieser einsam sich in sich selbst abschließenden Seele entziehen sich gerade in den entscheidenden Mo- menten dramatischer Gestaltung, die den Schauplatz nicht beliebig wechseln kann und auf die indirekten Ausdrucksmittcl des Dialogs angewiesen ist. So sieht man in dem Drama Hauptmanns nicht sowohl das Werden als den Widerschein des Gewordenen. Bon Akt zu Akt nimmt die Gestalt der Rose andre Züge an. Die Zlvischen- glieder soll die Phantasie des Zuschauers aus wenigen Andeutungen erraten. Es ist wie im wirklichen Leben, wo uns auch dieselben Menschen oft in kurzer Zeit als gänzlich veränderte gegenüber treten. wo wir auch, um die Ursachen der Aenderung uns zu erklären, auf einzelne Jndicien angewiesen sind. Aber dieser Form der Dar- stellung, die in Hauptmanns Drama nicht willkürlich gewählt ist, sondern durch die weitverzweigte eigentlich novellistische Art des Stoffes selbst bedingt erscheint, anziehend durch impressionistische Reize, haftet zugleich etwas Zerstreutes, Schwankendes an, etwas, das an nächtliche, streifenweis wechselnd durch den Scheinwerfer beleuchtete Landschaften erinnert. Manches Dunkel, mancher unge- löste Zweifel bleibt auf dem Grunde. Ein gutmütiges frisches Bauernmädel, tritt uns Rose in den ersten Scenen bor Augen. Die Liebschaft mit denn Gutsbesitzer Flamm drückt nicht allzu schwer auf ihre Seele. Sie hat sich damit abgefunden:„Was de geschehen ist, bereu ich nich: Wenn ich o Hab genug in der Stille mutzt leiden. Mags dochl Das is o jetzt nich mehr zu ändern." Es war wohl nicht recht, sich einzulassen mit dem verheirateten Mann, aber die Frau ist lange Jahre krank. gar keine rechte Frau für ihn, und sie und Christoph hatten sich doch so von ganzen Herzen lieb. Nun aber muß ein Ende sein. Denn der Vater drängt, sie möge heiraten, und warum soll sie es nicht thun? Der stille blasse Keil, der schon lange um sie wirbt, ist so ein guter Mensch. Und vor allem hat sie Mitleid mit ihm.„August hat o ausgestanden genug!— Dem sein Krankheit und dem sein Unglücke... Das tutt einen ja in der Seele leid." Der Abschied drückt ihr das Herz ab, aber sie bleibt standhaft. Kaum daß sie allein, schleicht der Verderber heran. Der Maschinist Streckmann hat die Liebesstunde, die die letzte sein sollte, belauscht. Und nun droht der Lump, wenn ihm das Mädel nicht auch einmal zu Ge- fallen sein werde, ihr Geheimnis zu verraten. Wir hören später. daß er, wie ein Bluthund sich an die Ferse Roses heftend, sein infames Ziel erreicht hat, ohne es doch bei der nur andeutenden Motivierung völlig verstehen zu können, zumal sich Rose damals schon Mütter fühlt und weih, daß sie doch einmal dem Verlobten den Fehltritt wird gestehen müssen. Im Hause Flamms ist Rose aufgewachsen, und die kluge gütige Frau, eine der schönsten Gestalten, die Hauptmann je geschaffen, hat das Mädchen ins Herz geschlossen. An ihren Rollstuhl gesefselt. sieht sie die dumpfe jagende Angst der Armen, die einst mit ihrem Kurtel gespielt hat, und. einen Teil der Wahrheit erratend, bietet sie der Verzweifelnden lind mütterlich die Hand:«Bist Du krank. Rosine ... Du hast heute Morgen Blumen gebracht. Hast o Kurtels Grab wieder am Sonntag bekränzt? Kinder und Gräber sein Weibersachen? Gelt Rose?— Ich dank Dir scheene dafir l Dein Vater der hats mit der Mission mit a Bibclstunden und all solchen Sachen. A spricht alle Menschen sein Sinder dahir und a will se alle zu Engel machen. Kann sein, a hat recht, ich verstehs ebens nich. Ich Hab ane eenzige Sache gelernt: nehmlich was ane Mutter is hier uff der Erde und wie die mit Schmerzen gesegnet is." Ueberwältigt röchelnd in stummem Geständnis sinkt Rose auf die Knie und küßt ihr die Hände. Und ruhig spricht die Kranke weiter: „Verlatz Dich uff mich. Mir sein überhaupt die Väter ganz gleich- giltig: ob's a Landrat oder a Landstreicher is. Mir miss'n de Kinder doch selber zur Welt bring'n. Da derbeine hilft uns doch keener nich." Rose hat sich aufgerichtet. Von dieser Frau, deren Ver- trauen sie so schlimm getäuscht hat, darf sie keine Hilfe annehmen. Aber die Worte haben einen neuen Mut in ihr angefacht. Sie will kämpfen und arbeiten für das Kind. Es muß einen Vater haben.
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20 (3.11.1903) 215
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