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Sagen Sie dem Fräulein, fie möchte herüberkommen, einzelte Blättchen find's, zusammengerollt, die der Wind herbeitrug. ir haben mit ihr zu sprechen." nachdem er die einsame Birke geschüttelt hatte, den fremden Gast, dessen silberweiße Haut recht häufig aus dem dunklen Föhrengrunde schimmert.

Zwei Minuten später war Herbeline mit Madeleine allein. Die Liebe und die Sorge ließen ihn erblassen. War es Traum oder Wirklichkeit? War er es, dem man dieses reizende junge Mädchen zur Frau gab? Und mit ihr alle Möglichkeiten einer sehr glänzenden Zukunft? Wie wäre die Sache geworden, wenn er zwei Tage vorher gesprochen hätte? Er hätte natürlich alle Prolongationen erhalten bei der Aus­sicht auf eine solche Verbindung. Der scharfsinnige und wag­haljige Rouvier, der das Geschäft betrieb, tüchtige Menschen zu lancieren, hätte ihm sogar einen neuen Kredit eröffnet! Ja, aber es war der Diebstahl und nur dieser allein, der die Erklärung beschleunigt hatte. Guy wußte wohl, daß er noch vorgestern nicht gewagt haben würde, um sie anzuhalten. Dieser schmutzigen Geschichte hatte es also bedurft, um ihn jo fühn zu machen; ein Verbrecher mußte er werden, um sich diese wunderbare menschliche Blüte vom Lebensbaume zu Eine Flut von Wünschen durchströmte seine Sinne. Er sah Madeleines   rote Lippen und allmählich sehnte er sich danach, sie mit den seinen zu berühren, um wenigstens einmal diese Süßigkeit gefühlt zu haben, wenn er doch sterben müßte. " Sie sehen, Mama ist gar nicht so grausam!" sprach das junge Mädchen.

pflücken!

Sie ist anbetungswürdig," antwortete er. Ich wäre ein Nichtswürdiger, wenn ich sie nicht wie eine Mutter liebte." ( Fortsetzung folgt.)

( Nachdruck verboten.)

Ein Novembertag.

Von Ernst Preczang.

Graut. phlegmatisch kriecht der Tag aus dem Osten herauf. Langsam breitet er sich über das Land. Ueber den Wiesen und Feldern wallt der Rebel in fast undurchdringlicher Schicht; er hüllt die Häuser ein und schwebt um die dunklen Kiefernkronen, in denen die Nacht sich noch festklammert und nicht flüchten mag vor dem mürrischen, unlustigen Tag.

Darf man dem Kalender trauen, so ist die Sonne längst auf gestiegen. Aber das Auge sucht sie vergeblich, sucht vergeblich auch nur einen Schimmer von intensiverer Färbung. Wie in ein graues Meer irrt der Blick nach allen Himmelsrichtungen: eine große blei­farbene Wolfenkuppel, hier und dort von etwas dunklerer Schattierung, wölbt sich unbeweglich über ihm..

Mittag. Noch immer kein Sonnenstrahl. Stumpf und glanzlos alles. Der Nebel hat sich gesenkt. Aber stehst Du auf dem Berge und blickst über den Wald hinweg, so verdichtet sich der Schleier in der Ferne doch wieder zu einer undurchsichtigen Wand. Der See, welcher im Sonnenschein blitt wie ein ungeheurer Spiegel, gleicht einer trägen, bleiernen Masse. Das graue Bild des Himmels wirft er zurüd; langsam schieben sich die Lastkähne hindurch, schwers fällig

bis auf die gelben Striche, die braunen Flecke, welche diesen Teppich Auch das Waldgras steht grün und frisch, unverändert fast­zieren und an die Vergänglichkeit gemahnen, wie das Unterholz, die kleinen Eichen mit ihrem rotbraunen Laube. Tiefer schattiert auch zeigt sich der stumme Wacholder. Wie schweigend sie um uns stehen, die schlanken Gebüsche mit dem enganliegenden Gezweig Ein fußhoher Knirps hier, ein drei Meter hohes Gewächs dort. Ernst und feierlich mutet's uns an. Und plötzlich steht's vor uns wie ein helles Wunder in dieser dunklen, nachdenklichen Umgebung. Die Wolfenkuppel hat einen Riß bekommen; ein Bündel Strahlen schießt daraus hervor und trifft einen eben noch bereiften Riesenbusch. Der steht wie in diamantene Flüssigkeit getaucht. Von jeder Nadek glänzt so ein silbernes Tröpfchen, winzig flein, durchsichtig wie Glas. Sie drängen sich auf den Zweigen beieinander zu blizenden Bächlein und sehen der blauen Beere ein Juwelenkrönchen auf. Leis haucht prächtigem Farbenspiel... Nicht lange. Das Bild erlischt. Und der Wind hindurch. Und unser Busch schaukelt sich in glitzerndem, über uns dehnt sich die graue Kuppel lückenlos Wir wandern aufwärts. Mit uns die Abenddämmerung. Abend? Wir wollen's nicht glauben. Vom Torffirchturm hallen drei Schläge herüber. In den Bäumen, im Gebüsch flüstert es und tlatscht es zuweilen. Regen. Feine, dünne Tröpfchen. Und wie wir oben auf dem freien Plateau stehen, friert uns unter der durchdringenden Feuchtigkeit, unter dem Hauch des falten, spiken Windes. Wo das Auge hinsicht: Sprühregen. Und an das Ohr dringt Geläute. Zu unsren Füßen liegt der kleine Friedhof. Ein Grab ist aufgeworfen; ein Trauerzug naht sich ihm. Das Läuten verstummt. Auf den Querbalken steht der Sarg. Dicht neben ihm auf dem gelben Sandhügel der Pastor in dem langen Talar. Tiefer das Gefolge: schwarze, wehende Schleier, helle Taschentücher; die Männer halten den Cylinder in der Hand; die Haare wehen. Die weißen Bäffchen des Pastors heben sich im Winde; er muß sie fest­halten, um sprechen zu können. Ein stilles Gebet. Die Träger greifen zu den Tüchern.

Und über den Kirchhof hinaus: da crstrecken sich frischgepflügte Felder, schwarzerdige Schollen, die bereit der kommenden Frühlings­saat harren. Und neben ihnen auf weitgedehnten Aeckern spriest's schon in neuer Kraft; zollhoch stehen die grünen Halme des Winter­forns. Und auch die Sonne giebt noch ein Lebenszeichen: ein glüh­roter Strich zeigt sich im Westen und verschwindet. Die gelben

Kalt wird's. Die Nebel steigen von neuem. Schollen poltern auf den Sarg. Aber die Sonne lebt ist nur ein wechselnd Spiel.

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,, So ift das Leben."

Schauspiel von Frank Wedekind  .

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- und alles

Es geht schon in die neunte Stunde. Ein wenig hat sich's aufgehellt; durchsichtiger ward der Nebelschleier; schärfer treten die Konturen der Bäume und Häuser hervor aus der milchigen Luft. In Perugia   bricht eine blutige Empörung aus gegen den scham­Auf den Dächern liegt's in zarter, dünner Schicht; Baum und Busch los das Gut des Volkes mit Dirnen und Bühlknaben vergeudenden tragen einen weißen Ueberzug; die Pfahltöpfe des alten windschiefen König. Siegreich dringt die Menge in den Balast und hebt aus Bretterzaunes haben sich über Nacht helle Mühchen aufgesetzt, und ihrer Mitte den Schlächtermeister Pietro auf den Thron.  ein leichter Wind geht über die Wiesen und betwegt die zitternden frischgebackene König von Volksgnaden giebt Befehl, den gestürzten Halmspizen, welche die Nacht bereifte. Gottesgnaden- König aus dem Gefängnis vorzuführen. Das Leben will er ihm lassen, wenn er feierlich auf alle Rechte verzichtet. Der aber lacht ihm ins Gesicht: Man verlange von einem Karpfen, der in der Pfanne liegt, er möge darauf verzichten, Fisch zu sein!... Töten kann auch der Blizzstrahl; aber wer als König geboren ist, stirbt nicht als Mensch! Es lege einer dieser andwerker Hand ant uns, wenn ihm nicht vorher das Blut in den Adern erstarrt! Dann mag er sehen, wie ein König stirbt." Doch was er als König nie vermocht hätte, beleidigt, seiner Rachsucht Zügel anzulegen, das vermag der neue Herrscher. Er meidet Blut­vergießen, das nicht notwendig ist für die Erhaltung des Staates; und unter Androhung der Todesstrafe, wenn er je zurückkehre, ver­weist er den ohnmächtig Drohenden des Landes. Das Schicksal des Verbannten, den die Welt gestorben glaubt, ist weiter dann der In­halt dieses seltsam bunten Maskenspiels, in dem so mancher prächtige Einfall aufbligt. Der König, dem seine Tochter in Männerkleidern folgt, bettelt auf der Straße um Arbeit; er findet Unterschlupf bei einem Schneidermeister, der sein wahrhaft bedeutendes Talent im Buschneiden von Hofgewändern entdeckt. Die Schneiderseelen in der Werkstatt, die ihm die Karriere neiden, verfolgen den Neuling mit hämischen Sticheleien. Auch sie haben ihren Standesstolz. Er, der Ungelernte, der Lehrling, muß ihnen den Suppennapf holen und hungernd warten, bis die Herrschaften gespeist haben. Du lecft den Löffel ab, wenn wir satt sind." Da bricht der lang verhaltene Born in ihm los:" D Fluch über den König, der mich hindert, diesen Schurken zu zerschmettern, da ich ihn besser begreife, als er mich begreift!" D Fluch über den König, der mich hindert, ein Mensch zu sein, wie jeder andre!"" D dreimal Fluch über den König!" Das ist flare Majestätsbeleidigung. Entsetzt und schadenfroh dringt alles auf ihn ein. Der König wird als Majestätsbeleidiger vor die Schranken geschleppt. Höchst ergößlich, wenn auch im Kern be­fremdend, ist die Ironie in der Gerichtsscene.

Nach einer andren Richtung wandert der Blick. Dorthin, wo die hellen Häuser stehen. Sind's- mehr geworden? Manche sahen wir im Sommer nicht. An ihrer Stelle häufte sich Zweiggerant und Blattgewirr. Nun steht's fahlästig um die Mauern. Die freund liche Hülle fiel, und die Wände zeigen sich in ihrer Nacktheit. Auch der Garten änderte sein Bild. Die blauen, roten, gelben Feuer der Blüten sind erloschen; schwarze, gebrochene Stründe er heben sich dort, wo noch vor kurzem das dunkle, goldbewimperte Auge der Sonnenblume auf stolzem Schaft schaukelte. Der Apfel­baum kahl; das Laub faulend am Boden; die grünen Beete ver­wandelt in eine unordentliche Masse von gelben und graubraunen Halmen. An jenem Busch noch ein vollsaftiges Blatt, das sich mit zäher Faser hielt, dort ein silberweißes, ein rotes, ein gelbes. Die Farben sind da, mannigfaltiger, in feineren Abstufungen, in zarteren Tönen als je. Aber es ist kein Glanz in ihnen, kein Leben.. Wie anders der Tannenivald! Wanderten wir nicht über die rötlichen Inseln verblühter Erika, sähen wir nicht die Verwüstungen der Herbststürme, wir wüßten kaum etwas von dem vernichtenden Schritte der Zeit. Etwas dunkler das grüne Gewand, etwas dunkler auch die Frucht, der Tannenzapfen, welcher dem ganz scharfen Auge schon einen Schimmer ins bräunliche zeigt. Sonst unverdorbene Frische in Zweig und Wipfel. Zwar liegt's auch hier zuweilen gelb in den Nadeln und trägt die Ahnung des Vergehens herein. Ber­  

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