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fein Zimmer. Wie er schon bei Tisch gefagt hatte, gab es für ihn heute teine dringenden Besuche.

Er betrachtete die kleine Lifte seiner Kranken, legte sich seine Wege zurecht und wollte eben den Auftrag geben, daß angespannt werde, als Dufrêne eintrat.

Dufrêne hatte sich verjüngt. Die Falten, die das Unglück zeichnet, die Müdigkeit und Sorge ins Gesicht graben, die Trockenheit der Haut und ihre fahle Farbe, der unstete, irre Blick der Augen, der bei den Unglücklichen an den der ge­hetzten, gequälten Tiere erinnert, das alles war verschwunden. Dufrêne hatte eine frische Gesichtsfarbe, einen glänzenden Bart, weiche, gepflegte Haare, einen ruhigen Mund und Augen, die vertrauensvoll und beruhigt blickten.

( Fortseßung folgt.))

( Nachdruck verboten.)

Parlamentarifches aus Byzanz. Die Bewohner des oströmischen Reiches, insbesondere die seiner Hauptstadt Konstantinopel   oder Byzanz haben sich in der Geschichte einen so schlechten Ruf als unübertreffliche Meister im Servilismus erworben, daß ihre Heimat geradezu den geläufigsten Namen für unterthänige Speichelleckerei geliefert hat. Dies üble Renommee ist im großen und ganzen nicht unverdient; daß den Byzantinern das Kotaumachen eine ganz geläufige Sache war, genügt schon, um ihnen die vielgerühmte, aber wenig praktizierte Eigenschaft des Männerstolzes von Königsthronen nicht anzudichten. Indes ist auch der Byzantinismus der Byzantiner nicht ohne Ausnahmen. Der Zufall hat es sogar gewollt, daß der eine Parlamentsbericht aus Byzanz, der uns erhalten geblieben ist, nichts weniger als byzantinisch, sondern im Gegenteil äußerst unparlamentarisch an mutet. Man muß dabei freilich mit dem Wort Parlament einen er­heblich weiteren Begriff verbinden, als es heute üblich ist. Parlamente im Sinne von gewählten Volksvertretungen hat be­kanntlich das ganze Altertum nicht gekannt, wohl aber parla­mentarische Verhandlungen. In den klassischen Zeiten der römischen Republik   fanden solche statt einmal in dem herrenhausartigen Senat, außerdem aber in den- Volksversammlungen, wo die Bürger­schaft sich in ihrer Gesamtheit versammeln sollte. Mit der letzteren Ein­richtung ward fchon unter den ersten Kaisern aufgeräumt, und der Senat blieb zwar dem Namen nach bestehen, aber bloß um als eine Körperschaft devotester Jasager dem herrschenden Absolutismus zur Folie zu dienen. Der nämliche Zustand dauerte fort, nachdem Kaiser Konstantin   das auf seinen Namen umgetaufte Byzanz an Roms Stelle zur Hauptstadt gemacht hatte, und zunächst auch noch, als Konstantinopel  ( seit 395 n. Chr.) die Kapitale nicht mehr des ganzen Römerreichs, sondern bloß des aus seinem Zerfall hervorgegangenen oströmischen Reiches war.

heit gerade gegen Ende des ersten Drittels im 8. Jahrhundert außerordentlich war: ein verschwenderischer Hof, eine bis in die höchsten Spigen torrupte Bureaukratie und eine tolle Boll- und Steuer­führten ein Schreckensregiment schlimmster Sorte: eine wahrheits­politik waren die Hauptursachen. Die regierenden Blauen" gemäße Vorstellung von der vollendeten Rechtlosigkeit, der die " Grünen" verfallen waren, giebt eben die parlamentarische Verhand­lung, von der hier die Rede sein soll. Sie spielte natürlich im Cirkus  , wo seit langem schon die Parteien bei Gelegenheit der Rennen ihre Wünsche und Beschwerden in Rede und Gegenrede zum Ausdruck brachten, gegeneinander, wie auch im Meinungsaustausch mit der Regierung.

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der uns bei dem byzantinischen Geschichtsschreiber Theophanes  Der einzige und einzigartige Bericht aus diesem Cirkusparlament, erhalten ist, datiert vom 11. Januar 532 n. Chr. Man muß sich vorstellen, daß einige hunderttausend Menschen in dem gewaltigen Oval des Cirkus fißen, nach Parteien getrennt, der Hof mit dem Kaiser Justinian   inmitten der Blauen  " in einer Loge. Hier fonnten natürlich keine wohlgebauten Reden von erprobten Barlamentariern gehalten werden, sondern die diskutierenden Parteien bedienten sich bezahlter Rufer" oder Herolde, um diese lungen­

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fräftigen Leute mit Stentorstimine in kurzen Sägen durch den weiten Raum brüllen zu lassen, was ihnen von den entscheidenden Per fönlichkeiten vorgefagt wurde. Kaum war Justinian   am 11. Januar in seiner Loge, so ließen die Grünen" ihm zurufen:" Wir erleiden Unrecht und vermögen es nicht länger zu ertragen. Gott   weiß es, doch wir scheuen uns, einen Namen zu nennen, um nicht in noch größere Gefahren zu geraten."" Daß ich nicht wüßte, ließ der Kaiser erwidern, niemand thut euch unrecht". Doch die Grünen" be­Harrten bei ihrer Behauptung, und aufgefordert, Ramen zu nennen, bezeichneten sie den Richter Kalopodius als nächstes Objekt ihres Bornes: er that sich gerade besonders durch Parteijuſtiz hervor, indem er die zahlreichen Morde, die von Blauen" auf offener Straße an Grünen" aus politischem Haß oder gewöhnlicher aus Diebes­gelüften begangen wurden, grundsätzlich wiederum Grünen" in die Schuhe schob und entsprechend das Köpfen praktizierte. Der Kaiser fühlte sich durch den Namen Kalopodius etwas er leichtert, weil er erwartet hatte, den Namen eines seiner spitzbübiſchen Minister, etwa des Reichskanzlers Tribonian   oder des Polizeipräfekten Johannes, zu vernehmen; er ließ also sagen: Kalopodius hat mit der Verwaltung nichts zu schaffen." Das war ganz fehlgeschossen; denn nun erklärten die Grünen", wer der Uebelthäter auch sei, ihm werde das Los des Judas  " bereitet werden. Bergeblich verbietet ihnen der zornige Kaiser den Mund und versteigt sich schließlich zu dem liebenswürdigen Lakonismus:" Ruhig, oder ihr werdet geköpft." Der einzige Effekt ist, daß die Grünen" für den Augenblick etwas parlamentarischer als er werden und ihre nächsten Beschwerden fach lich auseinandersetzen:" Da wir im Recht sind, so wollen wir alles rund heraus sagen. Wie es zugeht, wissen wir nicht. Aber weder der Palast, noch die Staatsverivaltung sind uns zugänglich, kaum dürfen wir es noch wagen, die Straßen der Stadt zu betreten." Der Kaiser leugnet das und bezeichnet die Grünen", die wieder behaupten, Im Laufe des fünften Jahrhunderts hat sich dann in Konstan- wo er sich nur blicken laffe, als Galgenvögel. daß jeder freie Mann ihrer Farbe mißhandelt und bestraft werde, Nun reißt den tinopel doch wieder eine Beschränkung des bureaukratischen Absolu-" Grünen" der Geduldsfaden: unsre Farbe ist geächtet. Die Ge tismus herausgebildet, die zwar nicht juristische, wohl aber that rechtigkeit hat aufgehört. Willkürlich werden wir gemordet und mit fächliche Geltung in hohem Maße besaß. Es war ein Gebilde, das dem Tode bestraft. Schon schäumt der blutige Quell über. Wäre große Aehnlichkeit mit den alten Volksversammlungen besaß. Diese Sabates( des Kaisers Bater) doch nimmer geboren, damit er keinen waren freilich als gefeßgebende Körperschaften abgeschafft und als Mörder zum Sohne hätte. Der 26. Mord ist beim Zeugma ge private oder Parteiveranstaltungen durch das Vereinsgesetz mit der schehen: morgens war der Unglüdliche noch im Theater und abends Strafe des Hochberrats belegt. Trozdem kamen aber in furzen Zwischenräumen Volksversammlungen zu stande, ward er erstochen." Zu dem Mörder" mußte Justinian   bald noch mit obrigkeitlicher Erlaubnis einen meineidigen Tyrannen" und einen Efel" schlucken. Die den größten Teil der Haupt­städtischen Bevölkerung vom Kaiser bis zum Zumpenproletarier Scene wurde immer unparlamentarischer," weil sich nun auch die Blauen" hineinmischten und den Grünen" sämt umfaßten; das waren die großen Wagenrennen im Cirkus  , die in Morde liche worin zuschoben, jenen Zeiten bekanntlich für jedermann ohne Eintrittsgeld zugänglich dreist und gottesfürchtig beipflichtete. Justinian feiner Bartei Das liebliche Gezänt Wenn es der

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waren und das Hauptvergnügen der Massen darstellten. Im Cirkus   dreist und gottesfürchtig beipflichtete. die Grünen" erklären: endigt damit, daß

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gab es seit Jahrhunderten sogenannte" Parteien", die" Blauen  ", Gewalt beliebt, verstummen wir. Alles, alles wissen wir, aber wir womit sich die Weißen" verschmolzen, und die Grünen", denen sich schweigen. Fahre hin, Gerechtigkeit! Für dich ist keine Stätte mehr. die Roten  " anschloffen: die Bezeichnungen hingen mit der Farbe Brechen wir auf. Weg von hier. Lieber uns zu den Juden be­der Anzüge zusammen, die von den Wagenlentern getragen wurden. fennen, ja, es mit den Heiden halten, als mit den Blauen  "" Un­Diese Gentlemen standen im Dienst der vier, später zwei Korpora- geheurer Lärm bricht ob dieser Kriegserklärung unter den Maſſen tionen, denen der ganze Apparat der Rennen gehörte und die um aus, die bisher mit verhältnismäßiger Ruhe den Erklärungen der den Sieg rangen; allbekannte Rennbahngebräuche veranlaßten Wortführer gelauscht haben. Fort!" brüllen die Blauen  " zu den das ganze Bublifum zur Parteinahme für die Grünen" oder Blauen". Die Gegenfäße waren relativ harmlos gewesen und wider." Die Grünen" aber verlassen in Masse den Cirkus unter Grünen" hinüber, wir verachten euch, euer Anblick ist uns zu produzierten bloß wüste Schlägereien, so lange in Konstantinopel   bem Ruf: Nieder mit allen, die zurückbleiben!" außerhalb des Kreises der Regierenden kein politisches Leben bestand. Als aber die Hauptstadt wieder heftige Interessengegensäge auf begami in Byzanz ein wütender Straßenkampf, der acht Tage Es war kein blinder Lärm. Binnen vierundzwanzig Stundent zuweisen bekam, da bemächtigte sich der dadurch hervorgerufene Trieb dauerte, die halbe Stadt in Asche legte und mehr als 30 000 Menschen zu politischer Bethätigung des Cirkus und seiner Parteien als der das Leben fostete. Der Kaiser gab eine Zeitlang seine Sache ver­einzigen fonzeffionierten Deffentlichkeit. Aus einem bloßen Tummel- loren und war im Begriff zu flüchten, schließlich aber gewannen plaz der Rosse wurde der Cirkus zur politischen Schaubühne aus seine barbarischen Söldlinge die Oberhand und stellten die Ruhe dem Wetteifer zwischen Sportsmen und Wettenden wurde der Gegen- gründlichst wieder her. Es war die Kirchhofsruhe. Sie ließ später faß zwischen Blauen   und Grünen zum erbitterten Kampf um feine Cirkusdebatten mehr zu, gleichviel ob in parlamentarischer materielle Interessen. noch lange bestanden, aber sie wetteiferten mir mehr darin, wer oder unparlamentarischer Sprache. Die beiden Parteien haben zwar beim Anblick des Kaisers am Tautesten Hurra! Hoch! schreien könne.

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Im ersten Drittel des 6. Jahrhunderts lag die Sache so, daß die Blauen  " Regierungspartei, die Grünen" Opposition waren. Zu jenen gehörten der Hof, der ganze Beamtenapparat und alles, was davon abhing, vor allem das ungeheuer zahlreiche, auf Staats­Toften lebende Lumpenproletariat, zu den Grünen" anscheinend die ganze Masse der erwerbsthätigen Bevölkerung, deren Unzufrieden­

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a. o.