Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 248.

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Sonntag, den 20. Dezember.

( Nachdruck verboten.)

Das Verbrechen des Arztes.

Roman von J. H. Rosny.

Autorisierte Uebertragung von M. v. Berthof.

An den Tagen, wo Philibert Marguerite nicht treffen konnte, nahm er zu einem besonderen Mittel Zuflucht, um sie trotzdem zu sehen. Sein Besitz beherrschte die Gegend. Durch einen langen Durchstich fonnte man das Sandsteingebäude, das die Dufrênes bewohnten, überblicken. Mit seinem Fernglas, das er berufs­mäßig zu gebrauchen verstand, konnte er die kleinsten Einzel­heiten im Garten und auf der Wiese beobachten. Wenn Marguerite im Freien erschien und nicht gerade unter den Bäumen dahinging, war sie ihm so nahe, als stünde sie auf feiner eignen Terrasse-umsomehr als er jenes durchdringende Auge hatte, ohne das die Bilder, die man durch das Glas heranzieht, nicht sehr wirksam sind. So konnte er sie mit Muße beobachten und sich überzeugen, daß sie auch in der Einsamkeit ihren ganzen Zauber behielt.

Er mußte seine Indiskretion sehr bald büßen. In weniger als zehn Tagen war Jean Philibert toll verliebt. Weit davon entfernt, sich dagegen zu wehren, that er noch ein übriges dazu. Donzagues gehörte zu jenen Männern, dic, nicht damit zufrieden, der Liebe zu begegnen, ihr noch nach­jagen. Er machte sich aus den Gemütsbewegungen einen förmlichen Beruf und schreckte vor keinen Folgen zurück. Ihm bangte selbst nicht vor der Ehe. Reich an väterlichem Erbe und an weiteren Aussichten, war es längst bei ihm beschlossene Sache, der Frage der Mitgift nur eine sehr geringe Bedeutung einzuräumen. Während der vielen Stunden, die er auf seinen Observatorium zubrachte, prüfte er alle Möglichkeiten des neuen Abenteuers und fand keine davon abschreckend. Wenn er eine Familie gründen sollte, war es nicht herrlich, dieses entzückende Geschöpf zu dessen Stammmutter zu machen? Jean Philibert schrieb sich die Kraft zu, die Liebe jeder Frau zu erhalten, und vor allem die seiner eignen. Er übersah feine Zukunft, er sah seine Jahre in einem beglückenden Heim verfließen und ohne sich vollständig in diesen sedanken ein zuleben, befaßte er sich doch gern mit ihm.

1903

Eines Nachmittags schritt Jean Philibert langsam durch die Magnolien- Allee im Park von Mulnettes. Das Wetter war gewitterschwül; dunkles, silberumjäumtes Grau stieg vom Westen herauf, und der Himmel zeigte nur noch eine kleine Gruppe blauer Inselchen. Dieses Wetter regte den Spazier­gänger sehr auf. Er atmete mit Wollust den Duft der Bäume, er dachte an Marguerite Dufrêne.

Plötzlich sah er sie vor sich.

In diesem grünlich- violetten Schinummer hatte sie einen ganz außerordentlichen Reiz. Sie näherte sich mit ihrem jungen, elastischen Schritt, mit einem leichten Wiegen der Hüften; im wechselnden Licht schienen ihre Augen bald hell, bald dunkel. Er blieb stehen, ohne ihr ein Wort zu sagen, aber schon war sie mit einem leichten Gruß an ihm vorüber und verschwand immer mehr hinter den Magnolien.

Dieser Augenblick war entscheidend. Wie der kleine, lockere Stein die Lawine ins Rollen bringt, so hatte die Er­scheinung des jungen Mädchens alle weiteren Bedenken in den Schlund gestürzt.

Philibert fühlte, daß sein Leben für ihn keinen Reiz haben würde, wenn Marguerite es nicht teilte. Er beschleunigte. seinen Schritt, um nach Aulnettes zu gelangen, und war ganz bewegt, als er vor den Damen erschien. Er zögerte nicht, das Gespräch auf den einzigen Gegenstand hinzuleiten, der ihn interessierte, und that es ohne allen Rückhalt.

Madame Monteaur zeigte sich überrascht, aber Madeleine.. die schon seit einigen Tagen etwas Aehnliches erwartete, nahm die Eröffnung ruhig entgegen. Sie war es auch, die zunächst antwortete:

Ich glaube, daß es ein Glück für unsre kleine Freundin sein wird; und für Sie auch," fügte sie mit einem Lächeln hinzu. Aber Sie wissen, wir können Ihnen in gar keiner Eigenschaft eine Antwort geben."

D, doch!" entgegnete er lebhaft. Ich würde sogar zu F- haupten wagen, daß alles von Ihnen abhängt. Nehmen Sie meine Angelegenheit in Ihre Hand und ich halte sie für entschieden."

Wir wünschen ja nichts Besseres," antwortete Madame Herbeline. Aber wie wollen Sie das verstanden wissen? Sollen wir mit Herrn Dufrêne oder mit Marguerite oder mit beiden sprechen?"

" Zuerst mit ihr."

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Jetzt hieß es also nur noch der Sache näher treten. Zu­nächst verließ er sich auf seinen eignen Spürsin. Bei seinen zahlreichen Ausflügen auf jungfräulichem Boden hatte er sich eine gewisse Fertigkeit im Sondieren angeeignet. Er folgte Marguerite, beobachtete ihre geheimen und offenen Wege, und alles, was er sah, enthüllte ihm nur eine unschuldige, naive Existenz. Nur eines entging ihm, da er seine Besuche in Aulnettes stets am Nachmittag machte: die Zusammenfünfte Er wußte nichts andres zu antworten als: des jungen Mädchens mit Herbeline.

Fürchten Sie nicht," warf Madame Monteaux ein, daß sie noch etwas zu jung ist? Sie wissen, daß sie eben erst sechzehn Jahre alt geworden ist und ihr Vater hat ebenso wie wir selbst gar nicht die Möglichkeit ins Auge gefaßt, vor vier Jahren an ihre Verheiratung zu denken." Dieser Einwurf: Brachte Donzagues aus der Fassung.

Er versuchte es auf sehr diskrete Weise, ihr den Hof zu machen, stieß aber auf eine so verblüffende Harmlosigkeit, daß er es sich gesagt sein ließ. Nun schlug er einen andren Wer ein. Er wendete sich an Madame Monteaur, die ihm für ein erstes Verhör ganz geeignet erschien.

Mit lebhaften Farben schilderte er die verführerischen Eigenschaften des jungen Mädchens. Sie gebrauchte Worte, die nur geeignet waren, die Gefühle eines Verliebten noch zu Steigern.

Die Worte Madeleines   waren wohl weniger hochtrabend, dafür aber um so überzeugender. Sie suchte das Verhältnis Dufrênes zu ihrem Manne ins rechte Licht zu stellen. Sie lobte den Vater nicht weniger als die Tochter. Da sie die Ge­fühle Donzagues' erriet, betonte sie absichtlich die Abkunft von Dufrêne und räumte ihm einen Platz in ihrer eignen Ge­sellschaft ein.

Philibert war jetzt überzeugt, daß ein Gentleman mum entscheidend weiter gehen dürfte, und diese Ueberzeugung er höhte seine Leidenschaft. Er kam jetzt noch häufiger aufs Schloß, trotz Herbelines zurückhaltenden Benehmens, das er übrigens gar nicht merkte. Der Charakter des Doktors blieb ihm ebenso rätselhaft wie allen andren. Er hielt ihn für einen schweigsamen Berufsmenschen, für einen Mann, den die kleinen Ereignisse des täglichen Lebens gleichgültig ließen, sprach wenig mit ihm und bewies ihm eine gewisse Hochachtung.

Sie scheint aber doch eine ausgezeichnete Konstitution zu haben?"

Die hat sie auch," entgegnete die alte Dame. Aber sie ist noch nicht vollkommen entwickelt. Troy ihrer schwarzen Augen und Haare kommit Marguerite wie die Mädchen des Nordens etwas. langsam in ihrem Wachstum vorwärts. Es wäre thug, wenn sie sich jetzt noch nicht verheiratete." Philibert machte eine Geberde der Enttäuschung, sein Gesichtsausdruck wurde traurig.

Es giebt vielleicht ein Mittel, um alle Teile zu be­friedigen," fiel Madeleine ein. Würden Sie eine lange Ver­lobungszeit fürchten?"

Nein!" rief der junge Mann aufatmend. Ich will cin Jahr, auch zwei Jahre warten, wenn es sein unß, wenn ich. ihr Versprechen nur habe. Ich glaube, daß sie der Trene fähig ist

" Ich bin davon überzeugt," sagte bestimmt Madame Monteaux. Sie ist ebenso loyal wie ihr. Vater und ist noch bestimmter. Wenn sie etwas verspricht, dann hält sie es auch; wenn sie einmal liebt, dann wird ihr Herz nicht bald ab­wendig!"

" Ich will sie glücklich machen!" rief Donzagues voll Feuer." Helfen Sie mir, sprechen Sie für mich. Wenn Sie es ernstlich wollen, dann wird sie meine Frau."

Nun, rechnen Sie auf uns!" sagte Madeleine. Wir werden alles thun, was in unsrer Macht steht."