Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 255.

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Donnerstag, den 31. Dezember.

( Nachdruck verboten.)

Das Verbrechen des Arztes.

Roman von J. H. Rosny.

Autorisierte Uebertragung von M. v. Berthof. ( Schluß.)

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Nach und nach fanden sich freilich nicht in seinem Hause, aber außerhalb desselben Menschen, die erst etwas witterten und dann den Dingen nachspähten.

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1903

Jeder wird dabei unglücklich sein," antwortete sie. ,, Wir können feinem etwas ersparen," gab er düster. zurück. Schließlich kommt alles an den Tag und so auch unser Geheimnis. Und dann- Dein Glück geht allem andren voran."

So dachte er in aller Aufrichtigkeit. Da er sie vor sich selbst nicht zu schützen gewußt hatte, blieb ihm nichts andres zu thun übrig, als ihr beiderseitiges Geschick vollständig zu vereinen. Es war das letzte Mittel, das ihm übrig blieb, um seine beiden Verbrechen wieder gut zu machen ich.

Jeden Tag dachte er ernstlicher darüber

" Ich komme erst nach den andren an die Reihe," sagte traurig. Ich habe gefehlt, also es ist nur gerecht, wenu ich verzichten muß."

Einige Tage vor der Uebersiedelung begann das Ge­Heimnis in den Hütten, die Meierhöfe, die Wächterhäuschen sie einzudringen. Es stieg ins Schloß hinauf und umzingelte so in gewissem Sinne die ganze Besizung. Es gelangte bis zur Dienerschaft Herbelines und blieb dort einige Tage ruhen. Da geschah es, daß ein Stubenmädchen sich einen Diebstahl zu Schulden kommen ließ, entdeckt und fortgeschickt wurde, und das entschied über sein Schicksal. An einem Dienstag im September erhielt Madeleine einen Brief.

Du hast nicht gefehlt!" rief er mit Heftigkeit. Ich bin es, der Dich ins Verderben gezogen hat. Ich bin doppelt strafbar, ich habe in doppelter Weise Dein teures Leben be­raubt.

Mit einer Art von Wut betonte er das Wort doppelt", der Wut des Verbrechens über sich selbst, und in die Knie sinkend, küßte er die Hände des jungen Mädchens.

Es war flipp und klar eine Denunziation. Die junge Frau war allein, als man ihr den Brief übergab. Da sie " Du warst glücklich," sagte er, das glücklichste, reiz­fühlte, daß ihre Kraft diesem Schlag nicht standhalten würde, vollste, anbetungswürdigste Geschöpf dieser Welt..., und ich fand sie noch den Mut, zur Thür zu eilen und sich einzuschließen, habe es gewagt, Dich in meinen Sturz mit hinabzuziehen! dann sank sie in den nächsten Lehnstuhl hin. Ihre Ohnmachtch habe es gewagt, Dir meine Liebe aufzuzwingen. Schweige! war mur bon furzer Dauer. Sie atmete etwas Aether ein, Du hast nichts verbrochen; Du hast Dich meinem Wahnwit fam wieder zu sich und überlas noch einmal den Brief. Sie geopfert, Du hast mir Dein eigenstes Selbst gegeben, wie Du glaubte kein Wort davon, aber ihre Aufregung war so groß, mir Dein Leben hingegeben hättest. Und da es nur ein Mittel als hätte sie die Gewißheit des Verrats. giebt, dieses Verbrechen wieder gut zu machen, so muß man eben zu diesem Mittel greifen. Und dann..., das alles sind ja bloß Worte, aber ich kann einfach ohne Dich nicht weiter­leben!"

Diese junge Frau, die für bestimmte Entschlüsse ge schaffen war, zögerte keinen Augenblick. Was sie zu thun hatte, stand in ihrem Geiste ganz fest, ohne jedes sonst übliche Schwanken. Sie kannte ihre Mutter und wußte, daß sie zu schwach war, um zu ihrer Vertrauten gemacht zu werden. Sie hatte die Kraft, die ganze Sache über achtundvierzig Stunden bei sich zu verschließen, und fühlte sich seltsamerweise, ab­gesehen von der Schlaflosigkeit, kräftiger als gewöhnlich. Die ganze Zeit beobachtete sie, erinnerte sich an das vorangegangene Vorgehen ihres Mannes. Und doch hatte sie auch am über­nächsten Tage noch nichts Bemerkenswertes herausfinden können, mit Ausnahme der etwas gedrückten Stimmung Herbelines. An diesem Tage ging er kurz nach dem Früh stück fort.

Sie wartete ungefähr eine Viertelstunde, nahm einen Schlüssel zu sich, den sie schon seit dem Vorabend bereit hielt, und ließ ihren Wagen anspannen.

Im Jagdpavillon war es, wo sich die Liebenden am häufigsten trafen. Es blieb der entlegenste Ort, und sie konnten auf verschiedenen Wegen hingelangen. Kürzlich erst hatte Herbeline einige Veränderungen an der Einrichtung vornehmen Herbeline einige Veränderungen an der Einrichtung vornehmen lassen, unter dem Vorwand, daß er ihn im Herbst zu Jagd­zwecken benügen wolle, was trotz der Nähe des Schlosses gar feinen Verdacht erweckte.

An diesem Nachmittag erwartete er Marguerite. Sie fam einige Minuten nach ihm.-

Durch die Vorhänge, die das kleine Fenster des Jagd­pavillons umschlossen, betrachteten sie gemeinsam das ver­blassende Grün der großen Bäume. Ganz auf der äußersten Spike eines Zweiges ließ sich ein Sperling von Zeit zu Zeit hören, eine Elster durchforschte die Umgebung, indem sie sich bald tanzend erhob, bald regungslos auf dem Zaun saß und mit malitiösen Blicken nach den Fensterläden schaute. Und oft ging ein starker Windstoß durch die Zweige, daß es wie das Brausen des Meeres und des Flusses klang.

Sie blickte traurig durch die Spalten der Vorhänge ins Freie hinaus. Plötzlich fuhr sie zurück und wurde leichenblaß. Was giebt's?" fragte er sich aufrichtend.

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" Deine Frau!" sagte sie mit erlöschender Stimme.

Er erschrat, aber nur ganz kurz, und die Arme über die Brust gekreuzt, flüsterte er:

Um so besser! Das Schicksal hat entschieden!" Unten hörte man das Knarren des Schlosses. Man ver­nahm einen leichten und doch zögernden Schritt die Treppe heraufkommen, dann öffnete sich die Thür, und Madeleine er­schien auf der Schwelle.

sprach die festeste Entschlossenheit. Als ihr Blick die Gestalt Sie war freideweiß, aber aus ihrer ganzen Haltung des jungen Mädchens traf, hatte sie einen kurzen Zornesanfall. Sie schrie: Was habe ich Dir gethan, Du Unselige! Haben wir Dich nicht wie eine Tochter und eine Schwester bei uns auf­genommen? Wer hätte auf den Gedanken kommen sollen, daß Du es sein würdest, die mich und Deinen Mitschuldigen ins Unglück bringt. Denn daran zweifle nicht, er wird nie wieder glücklich sein! Sein Leben ist gerade so vernichtet wie

das Deine und das meine!"

Marguerite zitterte an allen Gliedern. Unfähig, auch nur ein Wort zu erwidern, von tiefstem Schmerz und Be­dauern erfüllt, wagte sie nicht einmal, ihre flehenden Blicke auf Madeleine zu richten.

Guy fühlte, daß sie diesen Auftritt nicht ertragen konnte. Trotz des tiefsten Mitleids für seine Frau, unterbrach er sie doch gebieterisch:

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,, Sie ist schuldlos! Ich allein bin der Schuldige, ich allein muß Deine Vorwürfe über mich ergehen lassen." In diesen Tagen übersiedeln wir nach Paris !" sagte Er faßte sanft Margueritens Hand und sagte: Geh' in Guy träumerisch. Ich ängstige mich davor. Ich kann ohne einer Viertelstunde werde ich zu Dir kommen**. Dich nicht leben und hundert Hindernisse werden sich uns dort Schwankend ging Marguerite hinaus. Guy und in den Weg stellen. Nein! das kann so nicht weiter fort- Madeleine warteten mit gesenkten Blicken, bis sie den gehen!" Pavillon verlassen hatte. Dann sprach er mit ruhiger Stimme:

Sie antwortete nicht. Was hätte sie auch sagen sollen? Sie hatte ihr junges Leben hingegeben, über das hinaus sah fie nicht. Ihre Unerfahrenheit verbarg ihr die Zukunft. Aber die traurige Art, in der Guy sprach, wirkte auf sie zurück. Ein leichtes Frösteln, der Schauer vor dem Scheiden, ergriff sie. " Nein!" rief er aus, nein, das tann so nicht fortgehen. Wir müssen frei einander angehören!"

" Ich erkenne mich Dir gegenüber tief schuldig, Madeleine, Meine Schuld soll und kann nicht vergeben werden..."

Sie hatte eine Rechtfertigung erwartet. Ausreden, irgend einen Versuch, das Geschehene in ein andres Licht zu bringen. Einen Augenblick durch diese bestimmte Erklärung entwaffnet, stammelte fie: